Karaoke:Schalala ... und jetzt alle!

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John Travolta ist zurück im deutschen Kino - mit der Karaoke Version des Films "Grease".

(Foto: Sing-a-long-a GREASE/Screenshot)

In den Kinos läuft die Karaokeversion von "Grease" - und auch sonst entwickeln die Deutschen große Lust am gemeinschaftlichen Singen. Bestes Beispiel: Kneipenchöre.

Von Christiane Lutz

Gute Gründe, in spontanes Singen auszubrechen, gibt es viele: Der Lieblingssong kommt im Radio. Oder es ist Weihnachten oder Wiesn. Mal sehen, wie laut ich mich auf der Straße zu singen traue, bevor jemand komisch guckt. Niemand anderes ist im Büro. Beim Betrachten eines Fotos von Céline Dion.

Doch obwohl wir ständig von Musik beschallt werden, sieht der öffentliche Raum erstaunlich wenig Möglichkeiten für hemmungsloses Singen vor. Aus einer Laune heraus im Supermarkt den Titelsong von "La La Land" anzustimmen, endet mit großer Wahrscheinlichkeit eher in Scham als in einer mitreißenden Sing- und Tanzveranstaltung zwischen den Regalen. Sehr viele Menschen müssen daher tagein, tagaus mit einem unterdrückten Singbedürfnis durch die Welt ziehen. Anders ist nicht zu erklären, was Menschen zu einem "Grease Sing Along" treibt - eine Film-Mitsing-Party im Kino.

Sing Along heißt: Der Filmklassiker läuft in einer speziellen Karaoke-Version auf der Leinwand, das Publikum ist aufgefordert, alle Lieder mitzusingen. Verkleiden sowieso erlaubt. Wohohooo, Honey!

Das Grease Sing Along startete am Mittwoch überall in Deutschland in den Kinos. Am ersten Abend sahen den Film rund 9500 Menschen. Im Münchner Mathäser, einem nach geschmolzenem Nachokäse riechenden Kino der Sorte Filmpalast, sind es gut 230 Menschen, die mitsingen wollen und nebenbei die Love-Story um die Rüschchenkragen tragende Sandy und den gegelten Hüftenschwinger Danny zelebrieren. Anwesend sind deutlich mehr Frauen als Männer, was eventuell daran liegt, dass auf der Ankündigung "Ladykino" steht und am Eingang Sekt ausgeschenkt wird. Manche von ihnen haben sich verkleidet, eine Frau ist die frühe Sandy in Blümchenkleid, ihre Freundin die späte Sandy in Lederoptikleggings und Lederjacke.

Zu "Summernights", der ersten Mitsing-Nummer, traut sich noch kaum jemand im Saal so richtig, nur Sandy 1 und Sandy 2 legen sofort los. Jede Zeile ein Treffer, das sind keine Anfänger. Singen ist gesund, das ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, sagt: "Es liegt uns in den Genen. Der Mensch hat eine angeborene Freude an der gemeinsamen Aktion. Beim Singen synchronisiert er sich mit anderen und fühlt sich als Teil von etwas Großem." Singen setzt im Gehirn die Hormone Oxytocin und Dopamin frei, die dafür sorgen, dass wir uns sehr gut fühlen in einer Gemeinschaft. "Lässt sich auch sehr schön im Fußballstadion beobachten", sagt Altenmüller. Das Fußballstadion ist gewissermaßen das Ladykino der Männer.

Kirchenchöre und Singkreise, die einst fürs betreute Singen erfunden wurden, reichen nicht mehr aus, das mannigfaltige Singbedürfnis zu befriedigen. Zu steif, zu leistungsorientiert, zu religionslehrerhaft, finden viele. Eine Johannespassion studiert sich auch nicht ohne Weiteres ein, da muss man mehr können, als halbwegs ordentlich "You're the one that I want" mitsingen zu können. Also schaffen sich die Menschen einfach neue Orte für ihre Lust am gemeinsamen Singen. Musikalische Vorkenntnisse nicht nötig. Sie singen im Stadion, veranstalten Sing-Star-Abende vor der Playstation und gehen eben in Sing-Along-Vorstellungen ins Kino.

"Musik muss durch den Körper durch"

Manche schreiben auch eine Mail an Jens Junker. Der ist Leiter des Münchner Kneipenchors - und Verwalter einer 200 Namen langen Warteliste. Kneipenchor, das ist ziemlich genau das, wonach es klingt: musikliebende Menschen treffen sich in ungezwungenem Rahmen und studieren gemeinsam Lieder ein, meist Popsongs oder Indie-Klassiker. Junker probt mit seinem 50 Stimmen starken Chor gerade "Ace of Spades" von Motörhead, nicht gerade das feinsinnigste Werk der Musikgeschichte. Halb München rennt ihm die Bude ein, zur Zeit nimmt der Chor niemanden mehr auf.

Auch in anderen Städten ist der Trend angekommen. In Hamburg singt der Kneipenchor "Wannabe" von den Spice Girls, der Berliner Kneipenchor durfte gar einen Song mit Bosse aufnehmen. Der schönste Moment ist immer der, wenn ein mehrstimmiger Akkord zum ersten Mal gemeinsam klingt, sagt Jens Junker. Die Kneipenchor-Sänger sind meist Akademiker zwischen 25 und 35, Menschen, die sich von der Musik mitreißen lassen und ihr Hipster-Singkreis-Image ironisch pflegen. Fast schon erstaunlich, dass es Kneipenchöre nicht schon viel länger gibt.

"Da findet eine Humanisierung des Singens statt, da werden Schwellenängste abgebaut, das ist doch großartig", sagt Musikphysiologe Altenmüller. Das gilt seiner Meinung nach sowohl für Kneipenchöre als auch für Sing Alongs und andere Formen, bei denen man sich nicht vor Bewertungen fürchten muss. Überhaupt: Es muss wieder mehr gesungen werden! Auch allein. Das nämlich sei etwas komplett anderes. "Singen ist in unserer Kultur stark mit Scham verbunden. Allein zu singen, sich mit der Stimme zu exponieren, ist für viele ein furchterregender Gedanke." Die Stimme verrate zu viel über die Persönlichkeit eines Menschen, Jugendliche sehen sie gar als eine Art Geschlechtsorgan. In der Gruppe aber taucht der Einzelne unter und schafft dennoch etwas, das größer ist als er selbst.

Das funktioniert auch bei "Grease": Je lauter der Sitznachbar singt, desto mehr traut man sich selbst. Und irgendwann singt der ganze Saal. In den USA, in Australien und Großbritannien sind Sing Alongs schon lang der Renner, im Internet findet man Aufzeichnungen karnevalesker Zustände bei Vorführungen von "Dirty Dancing", "Moulin Rouge" und "The Sound of Music". Entfesselte Alltagssänger, die "The Hills Are Alive", jauchzen. Johnny und Baby tanzen auf und vor der Leinwand. Dass keiner auf seinem Platz sitzt, ist eh klar. Da ist bei "Grease" im Mathäser wohl noch Luft nach oben - aber beim nächsten Mal klappt es sicher schon viel besser.

Zu den Kneipenchören kommen Menschen, die oft nicht wissen, was der Unterschied zwischen einer Alt- und einer Sopranstimme ist. Zum Sing Along kommen Menschen, die sich nicht dafür interessieren, dass es Alt- und Sopranstimmen überhaupt gibt. Angetrieben sind sie alle von der Freude am gemeinsamen Klingen. "Musik muss durch den Körper durch", sagt Sandy 1 nach Ende der Vorstellung mit erhitzt glänzenden rosa Wangen.

Und wie fühlt sich das jetzt an? Sandy 1 zögert keine Sekunde: "befreiend!"

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