Panama Papers:Schwere Vorwürfe gegen Juncker

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker soll an diesem Dienstag vor dem Untersuchungsausschuss im EU-Parlament aussagen.

(Foto: AP)
  • Die Grünen im Europaparlament werfen dem EU-Kommissionspräsidenten vor, in seiner Zeit als luxemburgischer Regierungschef nichts gegen die Entwicklung des Landes zur Steueroase getan zu haben.
  • Sie tun dies auf Grundlage von Daten, die zeigen, wie Luxemburg Steuersündern half, ihr Geld im Großherzogtum in Sicherheit zu bringen. In den Panama-Papers lässt sich eine ähnliche Entwicklung feststellen.
  • Es ist nicht das erste Mal, dass Juncker von seiner Vergangenheit eingeholt wird: Auch die Lux-Leaks setzten ihn einst politisch unter Druck.

Von Lena Kampf und Alexander Mühlauer, Brüssel

Jean-Claude Juncker kennt das schon. Wenn er an diesem Dienstag ins Europäische Parlament kommt, holt ihn mal wieder seine Vergangenheit ein. Der EU-Kommissionspräsident war zwei Jahrzehnte lang Finanzminister und danach Regierungschef in Luxemburg. In dieser Zeit entwickelte sich das kleine Großherzogtum zu einem internationalen Steuerparadies. Juncker steht für die umstrittene Politik seines Landes. In Brüssel soll er nun 90 Minuten vor dem Panama-Papers-Untersuchungsausschuss zu Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung aussagen. Die Kernfrage ist: Was hat Juncker mit Panama zu tun?

Die Grünen im Europaparlament sind überzeugt: eine ganze Menge. "Luxemburg hat erst die europäischen Regeln verwässert und dann haben die Banken ein Geschäft daraus gemacht. Juncker hat die ganze Zeit tatenlos zugesehen", sagt der finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Sven Giegold. Die Grünen haben Beweise gesammelt. Auf Grundlage von Daten der Bank of International Settlements wollen sie zeigen, wie Luxemburg auf Kosten der anderen EU-Staaten Steuersündern half, ihr Geld im Großherzogtum in Sicherheit zu bringen - und das, während Juncker als Premier- und Finanzminister amtierte.

Die Geschichte beginnt Anfang der Nullerjahre mit einer eigentlich guten Idee. Gemeinsam gegen Steuerflucht in Steueroasen, so wollten die Mitgliedsstaaten voranschreiten. Ihr Instrument dafür war die sogenannte EU-Zinsrichtlinie. Die Mitgliedsstaaten wollten sich gegenseitig über die Einlagen ihrer Bürger informieren. Doch Luxemburg nahm eine Ausnahmeregelung in Anspruch. In der Folge, das geht aus den Daten der Grünen hervor, stiegen die Bankeinlagen von Ausländern in Luxemburg - seit Beginn der Verhandlungen über die Richtlinie Ende 2000 bis zur Finanzkrise 2007 - deutlich an. Oder anders gesagt: Das Geschäft mit der Steuerflucht in Luxemburg wurde offenbar durch die Anstrengungen der anderen EU-Staaten, ebendiese zu verhindern, regelrecht befeuert. Und zwar zum Schaden all jener Mitgliedsstaaten, die sich auf eine Regulierung einließen.

Auch ein hochrangiger Beamter des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums, Norbert Naulin, sieht das so. Naulin war schon zu Gast im Panama-Papers-Untersuchungsausschuss. Er erklärte in seiner Vernehmung im November: "Wir sehen an dem Zeitpunkt, an dem die meisten Offshore-Firmen eingerichtet wurden, dass es gezielt darum ging, die EU-Zinsrichtlinie zu beschneiden." Und, noch deutlicher: "Diese Beihilfe zu Steuerflucht, die wir bei unseren Ermittlungen bei Banken gesehen haben, ist eine systematische und organisierte Form von Wirtschaftskriminalität", erklärte Naulin.

Luxemburg handelte sich eine lohnenswerte Ausnahme heraus

Wer verstehen will, wie es soweit kommen konnte, muss zurück nach Luxemburg. Anfang der Nullerjahre kämpfte das Großherzogtum auf EU-Ebene darum, das Bankgeheimnis des Landes mit allen Mitteln zu verteidigen. Von Beginn an hatte sich der Kleinstaat gegen einen automatischen Informationsaustausch und stattdessen für die Erhebung einer Quellensteuer auf Kapitalerträge ausgesprochen, die dann anonym an die Finanzämter abgeführt werden sollte. Zwar war das Großherzogtum nicht das einzige EU-Land, das sich gegen den Informationsaustausch wehrte - auch Belgien und Österreich weigerten sich. Doch Luxemburg wollte die Quellensteuer auch besonders niedrig ansetzen. Höchstens zehn Prozent sollten erhoben werden.

Am Ende konnte sich das Land nicht durchsetzen, eine Staffelung mit zunächst 15 Prozent wurde vereinbart. Und doch war es wiederum Luxemburg, das für sich und die anderen beiden Länder eine weitere Ausnahme heraushandelte: Die Quellensteuer sollte nur für natürliche Personen gelten, nicht für Firmenkonten. Auch Versicherungen waren nicht mit eingeschlossen. Somit nicht betroffen von der Richtlinie: Firmenkonten mit einer Adresse in Ländern, in denen die Richtlinie nicht gelten würde. Wer also eine Tarnfirma in Panama, Hongkong oder Guernsey gründete, konnte die Abführung einer Steuer und die Berichtspflicht vermeiden.

Insbesondere deutsches Geld floss nach Luxemburg

Die Daten der Grünen im EU-Parlament zeigen: Insbesondere deutsches Geld floss in der Folge nach Luxemburg. Schon während der Verhandlungen über die Richtlinie, insbesondere aber seit deren Inkrafttreten 2005 stiegen die Einlagen von rund 100 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 264 Milliarden Dollar im Jahr 2007. Erst mit der Finanzkrise brachen die Einlagen wieder ein. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in den Panama-Papers nachlesen. Aus den geleakten Unterlagen der Firma Mossack-Fonseca, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden, geht hervor, dass die Einrichtung von Tarnfirmen in Luxemburg während der Verhandlung über die Richtlinie anstieg und mit deren Inkrafttreten einen Höhepunkt erreichte.

Zwar hat Deutschland laut Bundesfinanzministerium aus der Quellensteuer aus Luxemburg 12,9 Millionen Euro im Jahr 2005 und bis zu 72,1 Millionen Euro auf dem Höhepunkt 2008 erhalten. Laut den Grünen hätten es aber insgesamt 197,99 Millionen US-Dollar, umgerechnet 177 Millionen Euro, mehr sein müssen. Das ist der Schaden, den die Parlamentarier nach vorsichtigen Berechnungen für den deutschen Fiskus ermittelt haben.

Auch die Lux-Leaks setzten Juncker einst politisch unter Druck

Mit der Ausnahmeregelung war es dann 2014 vorbei, kurz nachdem Juncker als Premier ausgeschieden und in die EU-Kommission gewechselt war. Seitdem gilt der automatische Informationsaustausch. Giegold fordert Juncker auf, den entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Er solle ein Gesetz vorlegen, das die EU-Staaten dazu verpflichte, sich untereinander zu helfen. Dann müsste man sich nicht mehr nur auf den Ankauf von CDs mit Steuerdaten verlassen.

Juncker dürfte das vertraut vorkommen. Bereits vor anderthalb Jahren musste er sich ähnlichen Anschuldigungen stellen. Damals ging es um Lux-Leaks, also jene Enthüllungen, die Steuerabsprachen großer Unternehmen in Luxemburg offenbarten und Juncker politisch unter starken Druck setzten. Das ist nicht mehr so. Seit der Luxemburger an der Spitze der EU-Kommission steht, versucht er sich als Kämpfer gegen Steuerflucht darzustellen.

Tatsächlich kam einiges in Bewegung. Juncker nutzte das politische Momentum der Panama Papers und legte gleich mehrere Gesetzesinitiativen vor. Sie alle hängen nun im EU-Getriebe fest und die üblichen Verdächtigen sind munter dabei, zu verwässern. Allen voran die Niederlande, Malta und Junckers Heimatland Luxemburg.

Wenn es an diesem Dienstag zur Frage der politischen Verantwortung kommt, könnte der Kommissionspräsident auf das verweisen, was er schon vor dem Lux-Leaks-Ausschuss gesagt hat: "Ich habe in Luxemburg kein System der Steuerhinterziehung, der Steuerhintertreibung oder der Steuervermeidung zu Lasten anderer europäischer Staaten erfunden." Da würde man seine Talente überschätzen, sagte Juncker damals. In Luxemburg habe die Steuerverwaltung geltendes Recht angewendet; die Regierung habe darauf keinen Einfluss gehabt. Was zu beweisen wäre. Allerdings: Politische Konsequenzen hatte seine Aussage auch damals nicht.

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