Nordrhein-Westfalen:Hells Angels und Bandidos kämpfen um die Vorherrschaft in Köln

Ein SEK-Einsatz in einem Klubheim und 40 Rocker, die versuchen, eine Geburtstagsparty zu überfallen - das sind die jüngsten Entwicklungen im Streit zwischen den rivalisierenden Gruppen.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Das Spezialfahrzeug, das die Polizei am Mittwochabend im Kölner Stadtteil Ostheim auffuhr, gleicht einem mittelalterlichen Belagerungsturm. Auf die Ladefläche eines gepanzerten Kleinlasters ist eine brückenähnliche Stahlkonstruktion geschraubt, auf ihr kauerten behelmte Polizisten des Spezialeinsatzkommandos. Die Belagerung währte nur kurz. Gegen 21 Uhr durchbrach das Fahrzeug das Eisentor zum Vereinsheim des örtlichen Motorradklubs Hells Angels. Die zwölf anwesenden Rocker leisteten den etwa hundert eindringenden Beamten keinen Widerstand.

Mit der Razzia in der Abenddämmerung reagierte die Polizei auf Auseinandersetzungen zwischen Rockergangs, die in Köln in den vergangenen Monaten bereits öfter eskaliert waren. Konkreter Anlass der Durchsuchung, bei der die Fahnder unter anderem eine großkalibrige Schusswaffe, eine Munitionskiste, mehrere Messer und Hunderte Euro Bargeld beschlagnahmten, war einer Polizeisprecherin zufolge ein Vorfall vor zwei Wochen, bei dem wegen des Einschreitens starker Polizeikräfte nichts Schlimmes passierte, der aber dennoch bedrohlich erschien: Damals hatte der örtliche Chef der Rockerorganisation Bandidos mit etwa hundert Kumpanen aus ganz Europa in einem Club im Belgischen Viertel in Köln - einer beliebten Feiermeile - seinen 30. Geburtstag gefeiert. Draußen waren derweil mehr als 40 Hells Angels aufmarschiert und hatten erfolglos versucht, eine Polizeisperre zu durchbrechen. Acht von ihnen traf die Polizei bei ihrer Razzia im Klubheim an.

Ermittelt wird wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch. Doch die Konflikte verfeindeter Rockergruppen haben einen anderen Hintergrund - nämlich die Frage, welche Gang wo das Sagen hat. So wertet die Polizei die Geburtstagsfeier des Bandido-Bosses als "Provokation". Traditionell nämlich beanspruchen die Hells Angels das linksrheinische Köln als ihr Territorium, in dem sie die rivalisierenden Bandidos nicht dulden wollen, und das eben nicht nur, weil sie die verqueren Ehrenkodizes der Szene durch das Eindringen der Rivalen verletzt sehen.

Wie sehr das Milieu der Motorradgangs mit der organisierten Kriminalität verflochten ist, zeigt ein Großprozess, der derzeit unter strengen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Kölner Landgericht läuft. Angeklagt sind acht Männer, die dem inzwischen aufgelösten Hells Angels Chapter "C-Town" zugerechnet werden. Fans aus der Szene haben sie: Am ersten Verhandlungstag saßen mehrere muskelbepackte, tätowierte Männer auf den Zuhörersitzen und spendeten den Angeklagten laut Beifall. Die gut 300-seitige Anklageschrift dreht sich um die Bildung einer kriminellen Vereinigung, um Drogenhandel, um Schutzgelder - und um versuchten Mord.

So sollen der Angeklagte Serkan A. und sein flüchtiger Bruder Erkan im Streit um Drogendeals im Juni 2015 zwei Brüder in deren Kiosk im Problemviertel Auf dem Kölnberg überfallen, zusammengeschlagen und niedergeschossen haben. Die beiden Überfallenen und deren Mutter wurden durch die Schüsse teils lebensgefährlich verletzt. Vor Gericht machten die drei Opfer jedoch keine Aussage - vermuteter Hintergrund: Sie könnten sich mit den Angreifern geeinigt haben, die Sache mit Geld zu regeln. Bei einer zweiten Schießerei in einer Bar im Stadtteil Nippes, an der Serkan und Erkan A. beteiligt gewesen sein sollen, starb im November 2015 sogar ein Mensch. Erkan A. tauchte daraufhin unter.

Einem Bericht der Bild zufolge soll er in der türkischen Stadt Izmir bei einem Mann aufgetaucht sein, der den Kölner Hells Angels lange vorstand und als "Pate von Köln" galt. Necati "Neco" A. (mit den Brüdern nicht verwandt) war 2004 zu einer neunjährigen Gefängnisstrafe verurteilt und später aus der Haft in die Türkei abgeschoben worden. Gegen den als äußerst brutal eingeschätzten Oberrocker besteht ein europäischer Haftbefehl. Er soll von Izmir aus immer noch viele Fäden im deutsch-türkischen Rockermilieu ziehen. So war auf der Beerdigung des im vergangenen Oktober erschossenen Chefs der Gießener Hells Angels, Aygün Mucuk, auch ein Kranz mit der Aufschrift "Neco" zu sehen.

Fließende Fronten in der Rockerszene

Birkan A., der kleine Bruder von Serkan und Erkan, wurde bereits im Februar wegen seiner Beteiligung an einem Betrug verurteilt. Dabei war eine alte Dame per Telefonanruf, der angeblich von der Polizei, tatsächlich aber aus der Türkei kam, aufgefordert worden, Geld abzuheben und es einem "Zivilpolizisten" zu übergeben. Da der Angeklagte gestand, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Was beim Prozess auch herauskam: Birkan A. gehörte ausgerechnet den Bandidos an, den Hells Angels seiner Brüder eigentlich spinnefeind.

Tatsächlich sind die Fronten in der Rockerszene durchaus fließend. Allein in Nordrhein-Westfalen rechnet ihr das Landeskriminalamt (LKA) etwa 2100 Rocker zu, die mehr als 90 einschlägig bekannten Motorradklubs angehören. Bei den rockerähnlichen Gruppierungen falle allerdings auf, "dass diese sehr schnell entstehen und sich ausbreiten, aber oft nach nur kurzer Zeit wieder verschwinden", heißt es in einem Lagebild des LKA. Aber "auf ein bestimmtes Klientel, häufig schlecht ausgebildete junge Männer mit Migrationshintergrund", übten solche Rockergangs " eine offensichtlich subkulturell begründete Anziehungskraft aus".

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