Frauengesundheit:In der Giftküche von Malawi

Der Rauch der offenen Kochfeuer macht Frauen und Kinder in dem südostafrikanischen Land krank. Doch selbst billige Herde sind für die meisten Familien zu teuer.

Von Nathalie Bertrams und Ingrid Gercama, Lilongwe

Es ist schwül und heiß. Vanessa Chirwa hustet. Sie sitzt auf einer Holzbank im Schatten eines Mangobaums, vor sich ein Feuer. Ab und zu hebt sie den Deckel des Topfes an und rührt in der köchelnden Sauce. "Ich bekomme Kopfschmerzen und meine Augen tränen. Ich muss immer wieder husten und habe ein brennendes Gefühl in der Lunge." Sie fasst sich an den Brustkorb. "Hier sitzt der Schmerz, manchmal bekomme ich keine Luft mehr."

Maggie Chirwa, ihre Schwester, deutet auf das Baby, das friedlich auf ihrem Rücken schläft: "Sie hustet immer sehr viel." Sie zeigt auf den Rippenbogen des kleinen Mädchens - "wenn ich sie hier berühre, fängt sie an zu wimmern, sie hat dann Tränen in den Augen". Ihre Banknachbarinnen - alle barfuß und im bunten Wickelrock, dem Chitenge - nicken. Sie alle kennen die stechenden Brustschmerzen. "Das ist Tradition. Als Frau hat man eben diesen Schmerz." Zum Arzt gehen sie nur selten. "Es ist einfach normal." Vanessa sagt, wenn es zu sehr qualmt, dann steht sie auf und läuft ein paar Schritte, um Luft zu holen. Dann kann sie weiterkochen.

So ist das eben. Wezzie Mumba, Leitende Ärztin im Bwaila-Maternity-Krankenhaus in der Hauptstadt Lilongwe sieht die bittere Ironie: "Da kommen all diese Frauen und Kinder in die Klinik - mit Lungenproblemen, die sonst nur starke Raucher haben. Man wundert sich: Warum hat die Frau das, wenn sie doch nicht raucht?" Sie weiß warum: "Der Ruß ist überall sichtbar in den Küchen, an den geschwärzten Töpfen." Nur 0,4 Prozent der Frauen in Malawi sind Raucherinnen - aber eine Stunde im Dunst offenen Feuers ist mit dem Rauch von 400 Zigaretten vergleichbar.

In Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, sind rund 98 Prozent der Bevölkerung auf das Kochen mit Biomasse angewiesen - auf dem Land mit Feuerholz und in städtischen Gebieten eher mit Holzkohle. Die Elektrifizierungsrate ist mit knapp zehn Prozent extrem gering, Strom fließt sowieso nur unregelmäßig und Gas zum Kochen ist unerschwinglich teuer. Es gibt im Grunde keine Alternative.

Weltweit stirbt alle acht Sekunden ein Mensch an den Folgen von Rauchbelastung durch Kochen

Wie die Frauen im kleinen Dorf Pitala im Norden Malawis kochen annähernd drei Milliarden Menschen, die Hälfte der Weltbevölkerung, über Feuern aus Holz, Holzkohle, Ernteresten oder Dung. Durch den dadurch entstehenden Rauch dringen Feinstaub, Rußpartikel und toxische Substanzen in die Atemwege. Die Lungenfunktion wird reduziert, die Anfälligkeit für Infektionen erhöht; es kann zu Asthmaanfällen, Bronchitis, Krebs und Herz- und Lungenerkrankungen kommen. Mehr als die Hälfte aller Sterbefälle bei Kindern unter fünf Jahren weltweit sind durch Lungenentzündungen verursacht. Auch zu niedriges Geburtsgewicht wird mit dem Qualm offener Feuer in Verbindung gebracht. Die WHO schätzt, dass alle acht Sekunden ein Mensch an den Folgen von Rauchbelastung durch Kochen stirbt. Über vier Millionen Tote jährlich - meist Frauen und Kinder: Das sind mehr Todesfälle als durch Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria zusammengenommen.

"Was sollen wir tun?", fragt Judith Phirie, leitende Krankenschwester im Krankenhaus von Chintheche, das für 25 000 Menschen zuständig ist. Die Leiterin der dörflichen Klinik sitzt sehr gerade auf ihrem Bürostuhl, die Hände gefaltet. Sie blickt ernst. "Wir geben allen Antibiotika. Damit werden zwar Infektionen behandelt, aber nicht die Lunge repariert. Manche Frauen kommen immer wieder. Die Probleme werden chronisch, der Körper macht nicht mehr mit - und dann sterben sie. Wir können nichts tun." So ist das eben. In Malawi gehen laut WHO jährlich 13 000 und damit knapp neun Prozent aller Todesfälle direkt auf das Konto von Kochrauch. Infektionen der unteren Atemwege sind die zweithäufigste Todesursache. Das Gesundheitsministerium aber priorisiert Malaria, TB und HIV/Aids.

Das Mulanje-Massiv ist ein gewaltiger Berg im dicht besiedelten Süden des Landes. Über die grünen Teeplantagen im Tal ragen bis zu 3000 Meter hohe Granitwände auf. Dahinter bilden sich dunkle Wolken, typisch für die Regenzeit. Später am Nachmittag wird es wieder heftige Schauer geben.

Frauen und Mädchen verbringen jeden Tag viele Stunden damit, Holz zu sammeln

Astina Nikina, Mutter von sechs Kindern, war fast sieben Stunden im felsigen Gelände unterwegs, um totes Holz und Äste zu sammeln. Sie balanciert die schwere Last auf ihrem Kopf. "Früher reichte ein 40-Kilo-Bündel Brennholz nur drei Tage, dann musste ich wieder los", sagt sie. "Jetzt komme ich zwei Wochen damit aus." Der Unterschied zu früher? Astina hat ihr offenes Feuer durch einen verbesserten Kochherd ersetzt. Er ist energieeffizienter als offenes Feuer und spart dadurch bis zu 60 Prozent Holz. Außerdem entstehen weniger Abgase. Das in Nikinas Dorf produzierte Modell besteht aus Lehmziegeln, gehalten von zwei schmalen Eisenbändern. Unten schiebt man kleine Holzscheite rein, oben sitzt passgenau ein großer Topf. Die Frauen stellen die Herde aus Lehm in einer eigens eingerichteten Werkstatt her. Der Chief konnte überzeugt werden, dass die Frauen damit Zeit und Holz sparen, das auf dem Mulanje-Massiv knapp wird.

Überall in Malawi sammeln, hacken, transportieren Menschen Holz. Frauen tragen Reisigbündel, die wie überdimensionale Vogelnester auf dem Kopf sitzen. Andere sind mit dicken Ästen oder gar ganzen Baumstämmen noch schwerer beladen. Kochen ist Frauensache. Darum verbringen sie von klein auf täglich viele Stunden damit, Wasser zu holen, Feuerholz zu suchen und dann traditionelle Essen wie Nsima und Relish, Maispüree mit Soße, zur richtigen Konsistenz zu rühren.

Auch die 21-jährige Charity Gogoda war drei Stunden am Fuß des Mulanje-Bergs zum Holzsammeln unterwegs. Zu gerne würde sie einen der holzsparenden Öfen kaufen - ihr Mann sieht aber die Investition von circa einem Euro nicht ein. Schüchtern senkt sie den Blick: "Ich wünsche mir nichts mehr für die Zukunft, als dass meine kleine Tochter einmal in der Lage sein wird, auf Holzkohle zu kochen." Davon träumen viele Frauen. Holzkohle - das bedeutet Moderne. Das Kochen darauf ist sauberer, schneller, einfacher als mit Feuerholz. Es bedeutet auch Urbanität, denn nur in den Städten wird darauf gekocht. Und Luxus, Holzkohle muss man sich leisten können. Ist Holzkohle also besser?

Kein Strom, prima Geschäfte

Malawis Wälder werden zunehmend geplündert. Die Produktion von Holzkohle ist darum illegal. Viele Dorfbewohner sind dennoch zu Köhlern geworden. Vor allem, wenn die Ernte nicht so gut ausfällt, brauchen sie Bargeld. Sie stellen den profitablen Brennstoff in selbstgebauten Kohlemeilern her. Die Ausbeute ist gering und die Holzverschwendung groß - nur etwa 15 Prozent eines gefällten Baums werden zu Holzkohle.

Die Entwaldung schreitet in Malawi rasant voran. Jährlich verliert das Land fast drei Prozent seiner Wälder. Etwa 60 Prozent der Kohle stammen illegal aus Holz von Nationalparks und Reservaten. Der Druck auf die Umwelt wird immer größer, auch durch hohes Bevölkerungswachstum und Urbanisierung. So groß, dass die Forstbehörde vor einem Jahr die Streitkräfte zu Hilfe gerufen hat, um die wichtigsten Forstreservate zu beschützen. Denn Holzkohle bedeutet vor allem das Geschäft mit einer der wertvollsten Ressourcen des Landes. Holzkohle ist nach Tabak und Tee der drittgrößte Industriezweig in Malawi. Sein Gesamtwert wird auf jährlich 57 Millionen Dollar geschätzt und beschäftigt rund hunderttausend Menschen. Der Markt wächst. Und der große Gewinn fließt in die Taschen professionell organisierter Geschäftsleute und korrupter Beamter.

Durch die Entwaldung wird das Wasser knapp, Feuchtgebiete trocknen aus, biologische Vielfalt geht verloren, Flüsse versanden. Die Wasserkraftwerke am Shire-Fluss laufen nicht in voller Stärke, den Städten fehlt Strom. Die Holzkohle-Großhändlerin Rose John aus Lilongwe sagt: "Gerade wenn es keinen Strom gibt, laufen unsere Geschäfte am besten." Steven Kakhuni, Vorsitzender des Mgona-Kohlemarktes erklärt, der Holzkohle-Handel sei illegal, "weil wir die Natur zerstören. Das ist der Grund, warum die Regierung uns drängt, es sein zu lassen - aber unsere Armut zwingt uns weiterzumachen."

Ein Teufelskreis. Dabei gehört Malawi zu den 16 Ländern in der Welt mit "extremem Risiko" für negative Klimawandel-Effekte. In den letzten zwanzig Jahren haben Dürren, extreme Regenfälle und Überschwemmungen an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Die darauf folgenden Ernteausfälle sind Hauptursache der chronischen Ernährungsunsicherheit. 2016 musste ein nationaler Notstand ausgerufen werden. Ein Komitee des Finanzministeriums hat errechnet, dass dieses Jahr mindestens 6,5 Millionen Malawier, etwa 39 Prozent der Bevölkerung, Lebensmittelhilfe zum Überleben benötigen werden - eine Steigerung von 129 Prozent im Vergleich zur letzten Saison.

Verbesserte Kochherde scheinen da eine Lösung zu sein. Die Technologie wird darum von der globalen Allianz für saubere Kochherde (Global Alliance for Clean Cookstoves) als Schlüsselwerkzeug gesehen, um Leben zu retten und die Umwelt zu schützen. In Malawi hofft das National Cook Stove Steering Committee bis 2020 in zwei der etwa drei Millionen Haushalte saubere und effiziente Öfen zu verbreiten. Bis jetzt hat sich der Herd noch nicht durchsetzen können, nur eine geschätzte halbe Million sind verkauft worden.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten seit dreißig Jahren daran, die Technologie bekannt zu machen, doch in der Vergangenheit sind viele Programme gescheitert. Der Vermarktungsradius der von Frauengruppen lokal hergestellten Lehm-Öfchen beschränkt sich häufig auf das eigene Dorf. Damit lässt sich nur wenig Geld verdienen und die Produzentinnen verlieren oft das Interesse am Geschäft. Einige Organisationen versuchen darum jetzt beispielsweise das günstige Tonmodell Chitetezo Mbaula an Tankstellen und in Supermärkten zu verkaufen, um mehr Kunden zu erreichen.

Auch der CO2-Ausgleichshandel, der einen alternativen Finanzierungsmechanismus für Projekte zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern darstellt, hat sein Versprechen nicht eingelöst. Weil zu viele Emissionsrechte im Umlauf sind, fielen die Preise zuletzt enorm und lassen so keine sicheren längerfristigen Investitionen in Kochherd-Programme zu.

Erschwingliche Herde sind nicht unbedingt weniger schädlich als die offenen Feuer

Jeder im Land kennt die Herde. Warum hat dann nicht jede Familie einen? "Der Markt kommt schon etwas in Schwung, aber die Verbreitungsrate ist doch sehr gering", sagt Blessing Mawle von Perform, einer Initiative zur Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Walddegradation. "Bis jetzt gibt es keine einheitlichen Standards für Kochherde. Wenn gesagt wird, dass sie effizient sind, muss das nicht immer stimmen. Die Leute wissen nicht, ob sie wirklich Feuerholz einsparen." Sein Kollege Luke Malembo meint, der Druck sei noch nicht groß genug: "Leute, die in der Nähe staatlicher Wälder wohnen, sehen nach wie vor viele Bäume. Für sie besteht keine Dringlichkeit: Holz liegt ja einfach umsonst draußen rum."

Vielleicht hat Cornwell Chisale vom Energieministerium recht, wenn er sagt: "Der Lehmofen ist zu indigen, er genügt einfach nicht den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft. Wir brauchen bessere Modelle." Heather Campbell von der NGO United Purpose kennt die Probleme: "Unsere Modelle sind sicher nicht die innovativsten. "Aber", fragt sie, "wer kann sich denn hier einen der von der Global Alliance befürworteten 'sauberen' 30-Dollar-Herde leisten? Dafür gibt es vielleicht einen Markt in urbanen Zentren. Auf dem Land sind die Menschen einfach zu arm." Schätzungsweise drei Viertel der Bevölkerung haben weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung. "Unsere Herde sind lokalen Bedingungen angepasst."

Rettet der Herd denn Leben? Kevin Mortimer von der Liverpool School of Tropical Medicine ist sich nicht sicher. Er kam in einer großen Studie zu dem Resultat, dass die verbesserten Kochherde im Vergleich zu offenen Feuern keine Reduzierung von Lungenentzündungen bei Kindern unter fünf Jahren bringen. Kritiker der Studie werfen Mortimer allerdings vor, dass er weder Herde mit von der WHO empfohlenen Abgasrichtlinien genutzt, noch die tatsächlichen Nutzungsraten berücksichtigt habe. Außerdem bleibt das Problem, dass Malawis Gesundheitszentren für Krankheiten durch Kochrauch weder sensibilisiert noch ausgerüstet sind.

Fakt ist, selbst die einfachsten Kochherde sparen Brennholz und Zeit beim Holzsammeln. NGOs konzentrieren sich in Malawi darum auf diesen Aspekt. Für Malawis Frauen sind Kochherde kein großer Sprung in eine bessere Zukunft. Sie sitzen weiter im Schatten eines Baumes und kochen über einem rauchenden Feuer - mit oder ohne Herd.

Die Recherche für diesen Artikel wurde vom Pulitzer Center on Crisis Reporting unterstützt.

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