Innere Sicherheit:Überall Gefahr

Landesweite Sammelabschiebung vom Baden-Airport

Ein Polizist bei einer Sammelabschiebung.

(Foto: Patrick Seeger/picture alliance/dpa)

Bayern und Baden-Württemberg treiben umstrittene Gesetze zur Terrorbekämpfung voran - mal mit den Grünen und mal gegen sie.

Von Josef Kelnberger und Ronen Steinke, München/Stuttgart

Bayerns Polizisten sollen es leichter haben. Bislang können sie einen Menschen nur dann in Gewahrsam nehmen, wenn von ihm eine Gefahr für wichtige Rechtsgüter ausgeht, etwa Leib oder Leben. In Zukunft soll es reichen, wenn er eine Gefahr darstellt für "Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten scheint". So steht es im Entwurf der CSU für ein "Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen".

Der Entwurf geht noch weiter: Wenn eine Gefahr nicht "besteht", dann soll es künftig genügen, dass sie "entsteht". Das ist sprachlich zwar nah beieinander. Doch genau genommen bedeutet es das Gegenteil: Eine Gefahr, die entsteht, ist eine Gefahr, die noch nicht besteht. Durch die vielen kleinen Änderungen am bayerischen Polizeigesetz, welche die CSU mit diesem Gesetzespaket durchbringen will, bevor sich ihr Innenminister Joachim Herrmann im Herbst nach Berlin verabschiedet, ergäben sich "massive Verschärfungen aus dem Zusammenspiel", monierte die Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Andrea Titz, vor ein paar Tagen in München. Das vielleicht Brisanteste sei eine "zeitlich kaum begrenzte Freiheitsbeschränkung" für sogenannte Gefährder. Ein Novum, und "aus Sicht der Praxis höchst bedenklich".

Alle paar Jahre werden die Landespolizeigesetze landauf, landab etwas modernisiert, ausgeweitet und verschärft. Meist geschieht dies in Wellen. Oft gehen ein, zwei Bundesländer voran. Dieses Jahr steht unter dem Eindruck der Terroranschläge in Würzburg, Ansbach und Berlin, aber auch im Zeichen des Bundestagswahlkampfs. So sind die Änderungen vielerorts besonders groß, und besonders zwei Länder preschen derzeit vor: Bayern und Baden-Württemberg.

In beiden Ländern gehören die Innenminister den Unionsparteien an. Erst am Donnerstag hatte sich die SPD bemüht, beim Thema innere Sicherheit aus dem Schatten der Union herauszutreten, mit einem programmatischen Auftritt des niedersächsischen SPD-Innenministers Boris Pistorius in Berlin. Bayern und Baden-Württemberg waren aber bereits im vergangenen Sommer treibende Kräfte, als die Union verschiedene, freilich umstrittene Forderungspapiere für mehr Sicherheit präsentierte. Sie machen sich nun daran, diese in Teilen umzusetzen.

Nebenbei, und das macht die Konstellation besonders interessant, bringen die beiden Länder so die Grünen im Süden in eine bemerkenswerte Lage. In München leisten die Grünen den größten Widerstand gegen die Gesetzesverschärfungen. Ihre Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sprach bereits von möglichen Klagen in Karlsruhe. Ganz anders in Stuttgart: Der Bundestagswahlkampf werde die dortige grün-schwarze Koalition unter "Stress" setzen, hatte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann prophezeit. Nun bemüht man sich, diesen Stress möglichst klein zu halten, auch wenn andere gegen die Gesetzesverschärfungen opponieren.

Die Grünen in Bayern laufen Sturm gegen ein Gesetz, das sie im Südwesten mittragen sollen

Kretschmanns Stellvertreter und Innenminister von der CDU, Thomas Strobl, reitet gerne vorneweg bei sicherheitspolitischen Themen. Das tat er mit seinem Asylpapier vor dem Essener Bundesparteitag 2016, ebenso mit einem rigiden Kurs bei Abschiebungen nach Afghanistan. Sein Anspruch, das CDU-Profil zu schärfen, auch als Vize der Bundespartei, wird von seinem grünen Chef in Stuttgart selten gebremst. Eher ist Kretschmann bekannt für seine Forderung, die Grünen müssten von einer "Korrektur- zu einer Orientierungspartei" werden und deshalb auch in der Sicherheitspolitik Verantwortung übernehmen. Man war sich also schnell einig, als Strobl den Grünen eine Liste mit neuen "präventiv-polizeilichen Befugnissen" vorlegte. Zwischen Innen- und Staatsministerium entstanden Eckpunkte eines Kompromisses.

Einwände kamen von der grünen Fraktion. Zwei Punkte aus dem Strobl-Papier seien den Abgeordneten nicht vermittelbar, sagt Hans-Ulrich Sckerl, der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen. Erstens: Die Vorratsdatenspeicherung - es geht um die Aufzeichnung, wann wer wie lange mit wem telefoniert hat - dürfe nicht durch die Polizei genutzt werden, bevor das Bundesverfassungsgericht darüber geurteilt hat. Im benachbarten Bayern ist dies bereits möglich. Wie aus dem Innenministerium nach den Verhandlungen in dieser Woche zu hören war, hat Strobl ein Einsehen. Selbst den pragmatischen Südwest-Grünen sei wohl nicht zuzumuten, im Land ein Bundesgesetz anzuwenden, gegen das grüne Parteifreunde in Karlsruhe Klage erhoben haben.

Zweitens machen die Grünen Bedenken gegen Onlinedurchsuchungen geltend, also verdeckte polizeiliche Zugriffe auf Computer oder Smartphones mithilfe von Hacker-Software. Auch hier hat Bayern bereits ein Gesetz, daneben aber nur noch Rheinland-Pfalz. Das Thema, so heißt es in Stuttgart, könnte nun auf eine neuerliche Reform des Polizeigesetzes Ende des Jahres vertagt werden.

Die Einführung der elektronischen Fußfessel für islamistische Gefährder, gegen die Bayerns Grüne noch Sturm laufen, soll in Baden-Württemberg dagegen auch mit den Stimmen der Grünen beschlossen werden. Und was das Haus Strobl als großen Erfolg feiern dürfte: Man will das heimliche Abfischen von Handy-Kommunikation vor der Verschlüsselung durch Messengerdienste wie Whatsapp erlauben, die sogenannte Quellen-TKÜ. "Da sollten auch wir Grüne die Polizei so ausstatten, dass sie auf der Höhe der Zeit ist", sagt Sckerl. Voraussetzung: strikte Begrenzung auf terroristische "Gefährder". "Wir alle wissen, dass die Bürgerrechtspositionen der Neunzigerjahre angesichts der aktuellen Sicherheitslage keinen Bestand mehr haben können", sagt Sckerl.

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