Umweltschutz im Wahlkampf:"Nölen vor dem Fernseher"

Leben wir im Trugbild der Beständigkeit? Der Sozialpsychologe Harald Welzer über die Zukunft der Demokratie in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit. .

C. Weber

SZ: Die Welt redet über den Klimawandel, warum spielt er im deutschen Wahlkampf kaum eine Rolle?

Welzer: Alle anderen Zukunftsfragen kommen in diesem Wahlkampf ja auch nicht vor. Dabei wissen die Politiker so wie die meisten Bürger, dass mit dem Klimawandel ein Riesenproblem anrollt. Aber es scheint vorstellungswidrig, dass unsere Welt ganz schnell ganz anders aussehen könnte. Historiker wundern sich immer, dass niemand die Katastrophe des ersten Weltkrieges oder den Holocaust vorhergesehen hat. Aber Geschichte ist ein Prozess, und als Teil dieses Prozesses ist man extrem schlecht darin, seine möglichen Folgen zu überblicken. Die Routinen unseres Alltags erzeugen ein Trugbild der Beständigkeit: Jeden Morgen steckt die Zeitung im Briefkasten, das Auto springt an und das Büro wartet auf uns. Desaster werden erst wirklich wahrgenommen, wenn das Universum der Normalität kollabiert.

SZ: In Europa vertrauen vermutlich viele Menschen darauf, dass der Klimawandel sie nicht so hart treffen wird.

Welzer: Selbst wenn wir das annehmen, wird das im Süden der Welt anders werden. Die Katastrophen dort werden unter anderem zu einer massiven Migration nach Norden führen. UN-Organisationen prognostizieren 150 Millionen Umweltflüchtlinge in den nächsten Jahren. Was wird passieren, wenn im Jahr 2050 mehr als zwei Milliarden Menschen unter Wasserknappheit leiden? Oder wenn Megastädte wie Lagos mit 17 Millionen Menschen überflutet werden? Immer mehr Flüchtlinge werden sich nach Europa aufmachen. Bereits jetzt ertrinken jedes Jahr Tausende im Mittelmeer.

SZ: Wieso umgehen auch informierte Politiker das Thema?

Welzer: Sie kommen aus einer Welt, in der man stets optimistisch in die Zukunft blickte. Nun ahnt man zum ersten Mal: Die Gegenwart ist womöglich besser als die Zukunft. Dazu fällt denen nichts ein. Auch bei der Bewältigung der Weltwirtschaftskrise geht es nur darum, den Status quo um jeden Preis zu erhalten. Man stellt keine Weichen für eine Ökonomie, die mit weniger oder ohne Wachstum auskommen könnte. Die meisten Politiker und Manager denken, dass wir lediglich eine zyklische Krise durchleben. Dabei steuern wir an Funktionsgrenzen unseres Systems. Das war gute 200 Jahre extrem erfolgreich, weil es seine Rohstoffe von außen bezogen hat. In dem Augenblick, wo sich dieses Wirtschaftsprinzip globalisiert, geht es zugrunde, weil eine globalisierte Welt kein Außen hat.

SZ: Ein Problem bei solchen Horrorprognosen ist, dass man sie seit Thomas Malthus immer wieder gehört hat.

Welzer: Völlig richtig. Man sollte den Weltuntergang nicht mehrmals vorhersagen, das führt zu Abstumpfung. Andererseits haben sich viele Prognosen bestätigt, das Artensterben und der Klimawandel finden ja statt. Weitere Voraussagen werden mit Verzögerung eintreffen. Die Grundannahmen der Umweltbewegung stimmen: Ressourcen sind endlich, Wachstum hat Grenzen. Die Globalisierung macht die Grenzen sichtbar.

SZ: Wissenschaft und Technologie haben diese Grenzen immer weiter hinausgeschoben. Mittlerweile wird ernsthaft über Geoengineering diskutiert, also großtechnische Lösungen wie Reflektoren im Weltall ...

Welzer: Ich bin nicht technikfeindlich, aber wie kann man darauf vertrauen, dass immer zur rechten Zeit etwas zur Hand sein wird, dass unseren Status quo sichert? Was das Geoengineering angeht: Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass alle Großtechnologien unerwartete Nebenwirkungen zeigen. Und jetzt will man auf globaler Ebene experimentieren: Wir düngen jetzt mal das Meer und alles wird gut? Das ist so ein naiver Daniel-Düsentrieb-Optimismus.

Zukunftsmodell Öko-Diktatur?

SZ: Um dem Klimawandel vorzubeugen, müssten wir jetzt viel investieren für erhoffte Effekte im Jahr 2050 oder 2100. Das ist schwer durchzusetzen.

Welzer: Das sind immerhin die Lebenszeiträume unserer Kinder und Enkel. Aber es stimmt: Der Klimawandel hat eine Zeitstruktur, in der Ursache und Wirkung weit auseinanderliegen. Das ist ein weiterer Grund, wieso ihn Demokratien mit ihren Legislaturperioden so schwer in den Griff bekommen. Wenn sie das allerdings nicht schaffen, dann könnten die kommenden Krisen die Demokratie gefährden. Unser politisches System legitimiert sich derzeit stark durch seine Leistungen. Wenn aber die Versorgungserwartungen nicht mehr erfüllt werden, erodiert die Loyalität zur Demokratie.

SZ: Bislang nahm die politische Theorie an, dass Demokratien prinzipiell leistungsfähiger sind als andere Systeme.

Welzer: Der wirtschaftliche Erfolg der chinesischen Gesellschaft beruht nicht auf Demokratie. Offenbar bringt es einen Vorteil, wenn man einfach planen und exekutieren kann, ohne langwierige Verfahren, so wie bei uns.

SZ: Können autoritäre Systeme auch Umweltprobleme effektiver angehen?

Welzer: Das ist die heiße Frage. China ist eben nicht nur eine Diktatur autistischer Politbonzen. Offenbar ist das System gar nicht so schlecht darin, zu registrieren, wo die Schuhe drücken und dann relativ schnell gegenzusteuern, auch bei Themen wie dem Umbau der Energieversorgung. So investieren die Chinesen mittlerweile massiv in erneuerbare Energien. Sie befürchten unter anderem, dass das Abschmelzen der Himalaya-Gletscher zu Problemen mit der Wasserversorgung führt, die zur Umsiedlung von Millionen Menschen zwingen könnten. Außerdem wollen sie so ihre Autarkie stärken.

SZ: Sind das Argumente für eine Öko-Diktatur?

Welzer: Auf keinen Fall. Außerdem ist es noch nicht ausgemacht, ob autoritäre Systeme tatsächlich flexibel genug sind, um auf die steigende Entwicklungsgeschwindigkeit der Welt zu reagieren. Sie sind unflexibel, wenn etwas Überraschendes passiert. Ich glaube schon, dass die parlamentarische Demokratie die kommenden Probleme besser lösen kann, aber nur wenn sie ein Korrektiv aus einer Zivilgesellschaft politisch engagierter Menschen bekommt. Zuviele beschränken ihr politisches Engagement auf das Nölen vor dem Fernseher.

SZ: Woher soll die Politisierung kommen?

Welzer: Menschen sind nicht durch die Bank unpolitisch, zukunftsblind und verantwortungslos. Es gibt tiefverwurzelte Konzepte von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, von Mitgefühl und Generationenverantwortung. Viele Leute tun bereits mehr als sie müssten - im Naturschutz, im Verbraucherschutz, in Sport, Kultur oder im Sozialem. Dieses zivilgesellschaftliche Potenzial muss repolitisiert werden.

Klimawandel

SZ: Mit dem Ehrenamt gegen die Apokalypse?

Welzer: Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen. Aber Engagement kann sehr vielfältig sein. Das beginnt schon beim Konsum, indem man nur Produkte mit einer guten Umweltbilanz kauft.

SZ: Wie kommt man vom Einkaufswagen zu einem Welt-Klimaabkommen?

Welzer: Zivilgesellschaftliche Initiativen müssen Politik und Gesetzgebung unter Druck zu setzen, um eine höhere kulturelle Wandlungsgeschwindigkeit zu erreichen. Ein gutes Beispiel ist das Einspeisegesetz, nachdem Privatleute ihren etwa durch Solarzellen erzeugten Strom in das allgemeine Stromnetz einspeisen dürfen. Das haben nicht Beamte im Ministerium erfunden. Es entstand, weil private Windkraftbetreiber Prozesse geführt und Solarinitiativen Kampagnen gemacht haben, die von der Politik aufgegriffen wurden.

SZ: Ein klimaverträglicher Lebensstil verlangt eine gewaltige Senkung von Emissionen und Energieverbrauch: Wie wollen Sie zum Verzicht bewegen?

Welzer: Man denkt zu selten darüber nach, welchen Verzicht der jetzige Lebenstil bedeutet. Die Folgekosten der Mobilität zum Beispiel sind enorm: Wenn man sich klar macht, wie unser ganzes Land zugekleistert ist von Autobahnen, Parkplätzen, Blech in den Straßen, dass wir Stunden im Stau stehen und uns immer noch jährlich mehr als 4000 Verkehrstote leisten ...

SZ: Es macht trotzdem Spaß, mit dem Cabrio durch Südfrankreich zu fahren.

Welzer: Allerdings. Aber wir halten spontane Mobilität für eine Selbstverständlichkeit, dabei wurde das Auto nicht von den Römern erfunden. Als Massenverkehrsmittel hat es sich erst nach dem Krieg etabliert. Das kommt einem nur normal vor, weil man es nicht anders kennt. Vielleicht muss man sagen, es war zwar schön, mit dem Cabrio herumzuheizen, aber es gibt auch Dinge, die gehen nicht mehr. Ist denn jede Form von Freizeitgestaltung ein Menschenrecht?

SZ: Wollen Sie definieren, was falsche und was richtige Bedürfnisse sind?

Welzer: Keinesfalls. Ich fordere nur dazu auf, ehrlich Bilanz zu ziehen, worauf jeder einzelne aufgrund des jetzigen Lebensstils de facto schon verzichtet. Mich persönlich nervt zum Beispiel die ständige Herumreiserei, die schrecklichen Mitreisenden in den Wochenendzügen, die Demütigungsrituale beim Sicherheitscheck am Flughafen. Für mich wäre weniger Mobilität Luxus und CO2-Reduktion zugleich. So sollte jeder für sich Handlungsspielräume suchen, die zu einem klimafreundlicheren Lebensstil führen und ihn dabei sogar bereichern! Und wer vom Cabrio wirklich nicht lassen kann, muss vielleicht überlegen, ob er in anderen Bereichen kompensieren kann.

SZ: Es geht also ohne größere Verluste?

Welzer: Wer weiß das schon? Das Projekt eines Gesellschaftsumbaus, wie er notwendig wird, können wir uns ohnehin heute nicht im Detail vorstellen. Auf jeden Fall werden wir unser Lebensstil ziemlich umstellen müssen. Die Frage ist nur, ob man das als Horrorszenario empfindet oder als eine Herausforderung, die zu bewältigen, sogar Spaß macht.

Von Harald Welzer und Claus Leggewie erschien soeben das Buch: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie. S.Fischer, Frankfurt 2009, 19,95 Euro.

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