EZB:Auf der Suche nach dem Schlüsselwort

EZB: Die Statements zu den EZB-Sitzungen sind sehr ähnlich. Man muss schon sehr genau hinhören, um zu merken, ob Draghi ein Wort durch ein anderes ersetzt.

Die Statements zu den EZB-Sitzungen sind sehr ähnlich. Man muss schon sehr genau hinhören, um zu merken, ob Draghi ein Wort durch ein anderes ersetzt.

(Foto: AP)

EZB-Chef Draghi könnte an diesem Donnerstag eine mögliche Zinswende intonieren. Aber wie macht er das?

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es ist gut möglich, dass Mario Draghi in dieser Woche ein erstes Signal gibt, dass die EZB ihre lockere Geldpolitik in absehbarer Zeit beenden wird. Die Wirtschaft in Europa wächst, und der Notenbank fehlen immer häufiger gute Gründe für eine Fortsetzung der Nullzinspolitik und Hilfen in Billionenhöhe. Die Bundesbank drängt schon lange auf ein Ende.

Auf ihrer Ratssitzung, die an diesem Donnerstag in der estnischen Hauptstadt Tallinn stattfindet, dürften die 25 EZB-Notenbanker daher diskutieren, wie man die Öffentlichkeit auf die mögliche Zinswende vorbereitet. Die Finanzmärkte diskutieren schon, welches Schlüsselwort Draghi in seiner "Erklärung" vor der Presse nutzen könnte, um den Richtungsschwenk der EZB zu intonieren.

Draghis Auftritt folgt einem Ritual. In dem Moment, da die Blitzlichter der Fotografen erloschen sind, beugt der EZB-Präsident den Kopf nach unten und beginnt einen Text zu verlesen. Es ist die offizielle Grundsatzerklärung der EZB, in der sie die Gründe für ihre Geldpolitik erläutert. In aller Regel sind es 1000 bis 1200 Wörter, für die Draghi zwischen zehn und dreizehn Minuten Redezeit braucht.

Das "Introductory statement", wie es die EZB nennt, hat zwei Stolperfallen: Zum einen verstehen Laien wegen der vielen Fachtermini kein Wort. Zum zweiten: Wer sich die Statements zu den vergangenen Sitzungen anschaut, stellt fest, dass sich die Texte sehr ähnlich sind. Man muss schon sehr genau hinhören, um zu merken, ob Draghi das eine Wort durch das andere ersetzt hat.

Die echten Profis werden deshalb die Grundsatzerklärung vom EZB-Ratstreffen im April ausgedruckt vor sich liegen haben, um es dann Wort für Wort mit dem Statement abzugleichen, das Draghi jetzt nach dem Juni-Treffen vortragen wird.

Es gibt schon Mutmaßungen darüber, an welchen Schrauben die EZB verbal drehen könnte

Natürlich gibt es schon einige Mutmaßungen darüber, an welchen Schrauben die EZB verbal drehen könnte. Etwa hier: Nach der Ratssitzung Ende April sagte Draghi noch, dass bei den Wachstumsaussichten für die Euro-Zone "die Abwärtsrisiken überwiegen." Sollten diese drei Worte nun am Donnerstag ersatzlos gestrichen werden - die Finanzmärkte könnten diesen Akt als ersten Schritt zur Zinswende interpretieren. Oder hier: Im April erklärte die EZB, dass die Leitzinsen für längere Zeit "auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben". Wenn Draghi den Passus "oder einem niedrigeren Niveau bleiben" streicht, dann schließt er damit weitere Zinssenkungen aus, was als geldpolitische Wende interpretiert werden könnte.

Es gibt im EZB-Statement einige solcher Textpassagen, die mittels kleinster Korrekturen große Signalwirkung entfalten könnten. Der EZB geht es darum, den eigenen Spielraum so wenig wie möglich zu beschneiden, gleichzeitig möchte man den Börsen aber einen klaren Hinweis geben. Es ist schon passiert, dass die Finanzmärkte nach Draghis Vortrag panisch reagiert haben, weil sie nicht wussten, woran sie waren. Fazit: Es kommt auf Draghis Worte an, aber auch auf deren Exegese.

Manchmal ist die Verwirrung aber auch komplett, weil man nur einen Moment nicht aufmerksam genug war. Das wurde nach dem EZB-Treffen im April deutlich: "Wenn ich das richtig sehe, fehlt in ihrem Eingangs-Statement ein Satz, der letztes Mal noch drin war", merkte ein Journalist bei der Pressekonferenz an. Draghi schüttelte sofort den Kopf und sagte, der Satz sei drin und verwies auf Seite zwei. Allerdings, so der EZB-Präsident danach, fehle ein anderer Satz, was aber bis zu dem Zeitpunkt niemandem aufgefallen war.

Das "Introductory statement" ist ein offizielles Dokument, bei dem die 25 EZB-Ratsmitglieder im Ernstfall um jedes Wort ringen. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet bereitet zu jeder Ratssitzung einen Entwurf vor, dem Telefonate mit den Ratskollegen vorausgehen. Man möchte vorab möglichst viel Einigkeit haben. Ausgangspunkt des Entwurfs ist stets die Erklärung vom letzten Mal. Man diskutiert nur die entscheidenden Passagen, den Rest lässt man unverändert. Für Rhetoriker ist das ein Graus, gilt doch die angezeigte Verwendung von Synonymen, um dem Text mehr Pep zu geben, bei der EZB als schlechter Stil. Man fürchtet, die Finanzmärkte könnten das eingefügte Synonym als vermeintliches Signal missverstehen.

Das Dokument ist heilig. Draghi klebt daran. Wenn ein Journalist meint, er habe etwas nicht verstanden, kommt es vor, dass Draghi sagt: "Komm, wir lesen die Passage im Statement zusammen." Die ersten EZB-Präsidenten Wim Duisenberg und Jean-Claude Trichet haben es ähnlich gehalten, mit einem Unterschied. Draghi begrüßt die Presse, bevor er loslegt. Duisenberg und Trichet gaben sich mitunter geschäftiger. Ihre ersten Worte waren: "Wir sind hier, um über das Ergebnis des Ratstreffens zu berichten."

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