Buchvorstellung:Aufstand der Anständigen

Otto Wels als Redner, 1932 Ermächtigungsgesetz  SPD FOTO: SZ Photo

Otto Wels während einer SPD-Versammlung 1932 in Berlin. Der Reichstagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende der SPD stimmte mit seinen Parteifreunden gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz - Konservative und Liberale knickten ein.

(Foto: Scherl / SZ Photo)

Die SPD-Fraktion im Reichstag stellte sich 1933 geschlossen Hitlers Ermächtigungsgesetz entgegen. Der Historiker Klaus Schönhoven zeichnet die vergessenen Schicksale der Abgeordneten in einem Buch nach.

Von Markus Mayr

Willy Brandt war einer der ganz großen Sozialdemokraten. Er war jener Kanzler, der die Bundesrepublik von 1969 an den Osten annäherte und der sich daran machte, die Fronten des Kalten Krieges aufzuweichen. Jener Kanzler, der angesichts des grausamen Mordens der Nationalsozialisten im Warschauer Ghetto auf die Knie fiel, um 25 Jahre nach Kriegsende erstmals um Vergebung zu bitten für die deutschen Verbrechen im Dritten Reich.

Ob Brandt der größte SPD-Mann aller Zeiten war, ist fraglich. Auf diesen Titel hätten noch 120 andere Sozialdemokraten Anspruch: Die Mitglieder der SPD-Fraktion im Reichstag von 1933, die am 23. März als einzige geschlossen gegen das Gesetz stimmten, mit dem Adolf Hitler die Macht vollends an sich riss.

Diesen Abgeordneten hat der Historiker Klaus Schönhoven ein Denkmal gesetzt, mit seinem unlängst erschienenen Buch "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht". Darin zeichnet er das Schicksal der 1933 gewählten SPD-Reichstagsabgeordneten nach, deren Namen bis auf höchstens einen heute den wenigsten bekannt sein dürften; von denen selbst die Nachkriegs-SPD viele Jahre nichts wissen wollte. Der Titel ist ein Zitat aus einer Rede von Otto Wels. Er sprach damals für seine Partei die letzten freien Worte, die im Reichstag gesprochen werden sollten. Wels erklärte an jenem Tag im März dem anwesenden Hitler und seiner NSDAP, warum die Sozialdemokraten lieber sterben würden als für sein Ermächtigungsgesetz zu stimmen. 93 SPD-Abgeordnete standen damals direkt hinter ihm. 26 waren nicht zur Abstimmung erschienen, trugen das Veto aber dennoch mit.

"Es bleibt ihnen nur das mutige, aber auch verzweifelte Nein"

Zur Vorstellung des Buches an diesem Donnerstag in Berlin ist auch Martin Schulz gekommen, der bekanntlich hofft, als nächster sozialdemokratischer Kanzler an der Geschichte Deutschlands mitschreiben zu dürfen. Schulz hält eine bedächtige Rede. Allerdings liest er sie in weiten Teilen ab. So ist es als Zuhörer nicht ganz leicht, ihm den "Ansporn" abzunehmen, den ihm dieser Satz von Otto Wels gebe, wie er sagt. Aber auch im Wahlkampf brennt das Feuer eben nicht immer.

Der Widerstand der SPD, sagt Schulz weiter und scheint sich allmählich aufzuwärmen, sei damals leider zu spät gekommen. "Es blieb ihnen nur das mutige, aber auch verzweifelte Nein." Deshalb sei seine Lehre aus der Lektüre des Buches: "Wehret den Anfängen." Wäre der "Aufstand der Anständigen" eher gekommen, er hätte den Diktator vielleicht verhindern können. Daran müsse man sich stets erinnern.

Die SPD selbst jedoch hat es in den Nachkriegsjahren abgelehnt, öffentlich an ihre Genossen zu erinnern, die sich damals im Reichstag als einzige für Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit bekannt haben. Und die dafür verfolgt, verhaftet und ermordet wurden, fliehen oder ins Exil gehen mussten. Der Autor Klaus Schönhoven, emeritierter Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte, hat dafür eine Erklärung: Die SPD wollte wieder groß werden nach dem Krieg, zu alter Kraft zurückkehren. Deshalb "konnte sie sich nicht gegen die schweigende Mehrheit stellen", sagt Schönhoven.

"Bemerkenswerte Geschichtsvergessenheit der SPD nach 1945"

Und in der Ära Konrad Adenauers wurde konsequent geschwiegen. Die braune Vergangenheit des Landes wurde aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Kritik daran, dass NSDAP-Funktionäre in der BRD wieder auf einflussreichen Posten saßen, wurde mit den Worten abgetan, dass man sich halt mit schmutzigen Wasser waschen müsse, wenn kein sauberes da sei. Die 68er-Bewegung protestierte dagegen. Und Willy Brandt begann mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, als er 1969 ins Kanzleramt gewählt wurde.

Dennoch sei es diese "bemerkenswerte Geschichtsvergessenheit der SPD nach 1945", wie Schönhoven sagt, die ihn dazu bewogen habe, die Schicksale der Widerständler zu dokumentieren. Denn selbst heute reden die Sozialdemokraten nur von Otto Wels. "Aber wer waren denn die anderen 119 Abgeordneten?", empört sich der Autor, der bekennender Fan von Brandt ist, dem Erinnerer. Viele Jahre war Schönhoven im Vorstand der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. Anfang der 1970er Jahre sei er ihm sogar einmal begegnet, erzählt Schönhoven, bei einer Wahlkampfveranstaltung.

Sprüche wie "Brandt an die Wand" gingen so manchem Gegner der neuen Erinnerungskultur damals leicht über die Lippen. Daran habe er denken müssen, so Schönhoven, als die Ausländerfeinde von Pegida ein paar Jahrzehnte später mit Plakaten durch die Dresdner Innenstadt spazierten, die Angela Merkel, die Kanzlerin der Flüchtlinge, am Galgen zeigten. "Ja wo sind wir denn?", sagt Schönhoven, der nicht verstehen kann, wie die Macher dieser Bilder nicht für sie verurteilt wurden.

Otto Wels floh 1933 vor der Rachsucht der Nazis nach Prag, wo er eine Exil-SPD aufbaute. 1938 musste er die damalige Tschechoslowakei verlassen und floh weiter nach Paris. Dort starb er ein Jahr später im Alter von 66 Jahren, sein Grab findet sich noch heute dort. Wels' Schicksal ist eines von 120. Nicht alle gingen so glimpflich aus.

"Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Das Schicksal der 1933 gewählten SPD-Reichstagsabgeordneten" von Klaus Schönhoven ist im Verlag J.H.W. Dietz erschienen (248 Seiten).

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