"The Napoleon Hotel" in London:Drei Bars und ein Zimmer

Betreutes Trinken der besonderen Art: Im Finanzdistrikt von London hat ein sehr promillelastiges Mini-Luxushotel eröffnet. Ein Besuch.

Von Evelyn Pschak

An seinen ersten Auftrag für das Getränke-Konzept eines Restaurants in Baku erinnert sich Thomas Aske genau. Kein Wunder, erwirtschafteten der heute 34-Jährige und sein Geschäftspartner Tristan Stephenson doch damit das nötige Kapital, um 2010 eine Bar in London zu eröffnen. "Das hat unser Leben verändert", sagt der Brite. Inzwischen gehören dem Barkeeper-Duo vier Bars in der britischen Hauptstadt, ein Surfer-Restaurant an der Küste von Cornwall - und seit April auch "Londons kleinstes Grand Hotel", wie sie es selbst bewerben. Sie haben es The Napoleon Hotel genannt, "weil Napoleon ja auch so klein war", wie Thomas Aske mit breitem Grinsen sagt. Das Besondere an dem Hotel ist allerdings weniger seine Größe als vielmehr das ungewöhnliche Verhältnis zwischen Beherbergung und sonstigem Business: The Napoleon Hotel verfügt über ein einziges Zimmer - und drei Bars.

"Wir sind Barbetreiber und keine Hoteliers", stellt der Unternehmer denn auch gleich klar. "Wir sind gut darin, Trinkumgebungen zu erschaffen." Die beiden Gastronomen bespielen das komplette Haus Nummer 9 der Christopher Street im Finanzdistrikt. Drei Bars verteilen sich auf die Stockwerke: Das ebenerdige "Sack" ist einem Tabanco nachempfunden, einem typischen Sherry-Ausschank, wie man ihn auch in Andalusien findet. Im Keller warten 250 Whiskys im "Black Rock" auf Erkundungswillige. Der 5,50 Meter lange Stamm einer 185-jährigen englischen Eiche dient als Bartisch. Darin eingebrannt sind Rinnen, in denen unter Glas der hauseigene Whisky-Blend lagert. Aus Zapfhähnen am Tischende kann man ihn ins Glas füllen. Die dritte Bar ist "Devil's Darling" in der ersten Etage, in der es klassische Cocktails gibt. Aske sagt: "Die meisten klassischen Cocktailbars gehören zu Hotels. Wir haben es anders herum gemacht: eine Suite zu unseren Bars geschaffen."

So gelangt man nun über eine Stiege über der Cocktailbar zum Napoleon-Hotel, zu 40 in buntem Farbmix eingerichteten Quadratmetern mit Palmentapete, hellblau gekacheltem Bad - und einem Serviceaufzug, der das Zimmer mit den drei Bars des Hauses verbindet und so auf Knopfdruck die gewünschten Drinks direkt von den Tresen auf die zweite Etage bringt.

An diesem Londoner Frühsommerabend steht Tom Aske, ein klein gemustertes Einstecktuch rechts vom Revers, am runden Stehtisch vor seiner Sherry-Bar und nippt an blassgelbem Fino. Die Banker, die sich an die Bar lehnen, bestellen Schinken-Bocadillos und Sherry. "In London geht man direkt nach der Arbeit aus", sagt er, daher laufe sein Geschäft hauptsächlich von Montag bis Freitag. Das Ausgehviertel rund um Hoxton Square ist nur eine halbe Meile entfernt, aber für Londoner Verhältnisse ist das eben schon viel.

Das Napoleon liegt auf der Grenze zwischen den beiden Stadtteilen City of London und Shoreditch. Die Straßen hier sind eingestaubt vor lauter Bautätigkeit. Der Übergang von den konformen, glatten Architekturen der Bankentürme zu der von Graffiti übersäten Hinterhofatmosphäre von Shoreditch wirkt abrupt, dabei merkt man dem einstigen Künstlerrebellenhabitat das Geld der nahen Banken an. Etwa im durchkommerzialisierten Zugang zur Straßenkunst, der sich zum Beispiel darin zeigt, dass etablierte Unternehmen comicartige Wandbilder als Werbebanner an die bröckelnden Mauern der Great Eastern Street sprühen lassen.

Doch vom Lärm und Staub der Stadt dringt wenig in die Napoleon-Suite. Die Wilson Street vor dem Haus ist verkehrsberuhigt, wer sich aus dem Fenster beugt, sieht wenige Autos und dafür eine Batterie an Leihrädern. Mit Bezug des Zimmers erhält man einen Schlüssel, mit dem man sie nutzen kann. Im Gebäude gegenüber wippen Anzugträger in ihren Freischwinger-Bürostühlen. In der Zimmerbar warten die selbst gemachten Trüffelnüsse aus dem Devil's Darling, eine Whiskyselektion, professionelles Barbesteck sowie die Bandbreite an flaschenfertigen Cocktails mit schrägen Namen wie Sesame and Popcorn Daiquiri, die Aske und Stephenson über eine Kaufhauskette vertreiben. Auch die kleine Teeküche im Eingang bietet bartechnische Spielereien: Aus einem strohhalmbreiten Wasserhahn kommt kochend heißes Wasser. Und am Kleiderschrank hängen Menükarten aus - wer einen Drink ankreuzt und die Karte per Lift in das jeweilige Stockwerk der Bar schickt, kann seine Bestellung wenig später bequem im eigenen Zimmer zu sich nehmen, ein kleines Bimmeln des Lifts kündet von der Ankunft des Getränks. Eine halbe Flasche Tio Pepe und Oliven aus der Sherry-Bar? Oder doch lieber Austern und ein Highball aus dem Black Rock?

"Wir mögen Kitsch", sagt Thomas Aske über das Interieur der Suite: "Knallige Farben und blumige Muster. Das ist alles mit einem Augenzwinkern gemeint." Und auch die Cocktailbar würde gut in Wes Andersons Kinokomödie "Grand Budapest Hotel" passen: plüschige Sitzgruppen, polierter Intarsienboden, eine holzgetäfelte Bar mit Marmortresen. Dahinter steht Romeo de Wit in lila Barschürze und platziert, noch bevor er die Bestellung aufnimmt, eine mit Prosecco gefüllte Champagnerschale, ein Glas Eiswasser und eine silberne Etagere mit Oliven und getrüffelten Nüssen vor jedem Gast, "damit der sich schon einmal einrichten kann", wie der 23-Jährige sagt. Hinter dem Amsterdamer ist ein Monumentalgemälde von Jacques-Louis David an der Wand angebracht, darauf krönt Napoleon I. als Kaiser der Franzosen gerade selbst seine Gattin Joséphine, dem hinter ihm sitzenden Papst Pius VII. bleibt nur die müde Segnung der Zeremonie. Selbsterhöhung - sie gehört in einer guten Bar beiderseits des Tresens zum Geschäft.

In der Devil's Bar gibt es ausschließlich Klassiker. "Wir wollen dorthin, wo alles begann", erklärt de Wit. Detailtreue sei wichtig. Der Barkeeper hat etwas von einem spleenigen Historiker, wenn er ausführt, wie viele Rezepte für Cocktails mit Picon es beispielsweise gibt, dass aber über die Jahre die Zusammensetzung dieses Aperitifgetränks aus getrockneten Orangen geändert wurde und es deshalb schwierig sei, eine Cocktailkreation aus den 1930ern derart nachzumixen, dass sie genau wie damals schmeckt: "Einen ordentlichen klassischen Cocktail zu mixen, das stellt man sich so einfach vor," sagt der Barmann, "aber dahinter steht immer mehr."

Auch das Frühstück erreicht den Hotelgast über den Aufzug. Es steht dort allerdings schon seit ein Uhr nachts, bereitet, bevor die Barangestellten nach Hause gingen. Die Croissants schmecken dann auch so. Am Frühstück müssten sie noch feilen, gibt Tom Aske zu. Mal überlegen: Es gibt da einen Cocktail, der English Breakfast heißt. Mit geschlagenem Eiweiß, Orangenmarmelade und Zitronensaft. Und, oh, Gin. Aber gut, The Napoleon ist ja genau genommen auch kein Frühstückshotel, sondern eine Trinkumgebung. Also, Cheers!

The Napoleon Hotel, 9 Christopher Street, London EC2A 2BS, das Zimmer für zwei Personen kostet ab 180 Britische Pfund pro Nacht (ca. 207 Euro), www.napoleon-hotel.com

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