Libanon:Die staatenlosen Kinder des Krieges

Libanon: Ein Camp in Baalbek. Etwa 115 000 Flüchtlingskinder sind in Libanon seit Beginn des Syrien-Kriegs zur Welt gekommen.

Ein Camp in Baalbek. Etwa 115 000 Flüchtlingskinder sind in Libanon seit Beginn des Syrien-Kriegs zur Welt gekommen.

(Foto: STR/AFP)

In Libanon wächst eine Generation syrischer Flüchtlingskinder ohne Staatsangehörigkeit heran - und damit ohne grundlegende Rechte.

Reportage von Dunja Ramadan, Saadnayel

Noura Alouk hat Angst vor der Zeit nach dem Krieg. Sie würde lieber weiter in dem weißen Nylonzelt im libanesischen Flüchtlingslager ohne eigene Toilette und Türen leben, als ihre Kinder zurückzulassen.

Alouk ist 27 Jahre alt und Mutter zweier Kinder, Mohamed und Leila. Sie sind im libanesischen Bekaa-Tal auf die Welt gekommen, 140 Kilometer entfernt von ihrer syrischen Heimatstadt Homs. Sie sind nicht registriert, haben keinen Ausweis und auch sonst keine staatliche Eintragung - weder in Libanon noch in Syrien. Noura Alouk hat Angst, weil sie weiß, dass die Zukunft ihrer staatenlosen Kinder ungewiss ist. "Jetzt können wir hier nicht weg, aber was machen wir, wenn der Krieg vorbei ist und wir zurück nach Hause wollen und man uns sagt: Ihr seid Syrer, aber eure Kinder nicht."

Die staatenlosen Kinder des Krieges

Diese beiden syrischen Kinder haben zwar eine Geburtsurkunde, aber keine Staatsbürgerschaft.

(Foto: Erol Gurian)

Noura und ihr Mann Hussein Alouk sitzen auf Matratzen in einem Zelt aus Plastikplanen und Sperrholz. Das Flüchtlingslager im Bekaa-Tal liegt am Fuß einer Bergkette, jenseits davon befindet sich Syrien. Es sind nur zwanzig Kilometer von hier bis zur syrischen Grenze, doch die Heimat könnte nicht ferner sein.

"Jeden Tag diese Berge zu sehen, zu wissen, dass Syrien so nah ist, aber man nicht zurück kann, das ist noch viel schlimmer als sehr weit weg zu sein", sagt Noura Alouk. Mit rotem Lametta und Laternen an der Wand versucht sie, das Jetzt erträglicher zu machen. Nur wenn die Plastikplane offen steht und die Nachbarn vom Zelt gegenüber reingucken können, kommt Licht herein. Sie müssen sich jeden Tag entscheiden, für die Privatsphäre oder für das Licht.

"Ich kann nicht beweisen, dass sie zu mir gehören"

Im Raum nebenan schlafen sie, dort stapeln sich Polyesterdecken mit Blumenmustern. Der einzige Hinweis, dass es sich um das Elternschlafzimmer handeln soll, sind zwei rote Plüschherzen, auf denen "Habibi" steht, mein Schatz. Doch Noura winkt ab. Privatsphäre in einem Zelt? Gibt es nicht.

"Ich habe mich an dieses Leben gewöhnt", sagt sie. "Doch diese Unsicherheit über die Zukunft meiner Kinder macht mich krank. Ich kann nicht beweisen, dass sie zu mir gehören." Ihre Augen wandern zu dem Jungen und dem Mädchen. Mohamed ist gerade in der Eifersuchtsphase, wenn seine Mutter nicht hinschaut, beißt und kratzt er seine kleine Schwester, die ihn mit großen Augen ansieht, um kurz darauf in Tränen auszubrechen.

Mohamed und Leila gehören zu der Generation syrischer Flüchtlinge, die in Libanon ohne Staatsangehörigkeit aufwächst. Von Anfang an fehlen ihnen grundlegende Rechte, sie können nicht ohne Weiteres in eine staatliche Schule gehen, haben womöglich nicht einmal Zugang zu staatlichen Krankenhäusern - ohne Hilfsorganisationen wären die Familien komplett auf sich gestellt.

Die staatenlosen Kinder des Krieges

Sechs Schritte sind notwendig, um ein syrisches Neugeborenes in Libanon zu registrieren.

(Foto: Erol Gurian)

Nach Auskunft von Hilfsorganisationen sind staatenlose Minderjährige besonders stark von Kinderarbeit bedroht. Seit Beginn der Syrienkrise 2011 sind in Libanon etwa 115 000 Flüchtlingskinder zur Welt gekommen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat herausgefunden, dass 84 Prozent der Eltern ihre Kinder nicht registrieren lassen können. Als Gründe gaben die Eltern an, dass sie die von den libanesischen Behörden geforderten Unterlagen nicht vorweisen können, etwa gültige Aufenthaltspapiere oder Heiratsurkunden.

Glaubt man ihren Pässen, sind die Alouks ledig - doch sie sind verheiratet und haben zwei Kinder

In Libanon leben etwa vier Millionen Einheimische, seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs sind mehr als eine Million registrierte syrische Flüchtlinge dazugekommen. Doch nicht alle sind dem UNHCR bekannt, die reale Anzahl dürfte wesentlich höher sein. Und schon seit Jahrzehnten leben hier eine halbe Million palästinensische Flüchtlinge - in einem Land, das nur halb so groß ist wie Sachsen-Anhalt. Keine andere Nation hat in Relation zur eigenen Bevölkerung so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie Libanon.

Ministerpräsident Saad al-Hariri sagte im vergangenen Monat, das Land habe die "Grenze der Belastbarkeit" erreicht. Er bat um internationale Unterstützung, da er sich um den inneren Frieden in seiner Heimat sorge. Libanon kam in den vergangenen Jahrzehnten nicht zur Ruhe, erst wütete 15 Jahre lang ein Bürgerkrieg, dann kam es 2006 zu einem Krieg zwischen der Hisbollah und Israel. Die wirtschaftliche Lage ist seitdem miserabel, die Arbeitslosigkeit hoch, die Infrastruktur bricht unter der wachsenden Bevölkerung zusammen.

Verloren im Bürokratielabyrinth

Die Überforderung zeigt sich auch in der Bürokratie. Sechs Schritte sind notwendig, um ein syrisches Neugeborenes in Libanon zu registrieren. Viele Flüchtlinge leben in abgelegenen Zelten, sie wissen nichts von alldem.

Die Eltern brauchen einen Geburtsbescheid aus dem Krankenhaus, den müssen sie zusammen mit ihren Ausweispapieren und einer Heiratsurkunde dem Moukhtar, einem Notar, vorlegen. Danach: lokale Registrierungsbehörde, ausländisches Melderegister, Außenministerium. Und schließlich zur syrischen Botschaft in Beirut, um die Staatsangehörigkeit für das Kind zu bekommen. Doch viele scheuen den Besuch bei der Botschaft. Oft gelten Flüchtlinge als Vaterlandsverräter, vor allem die Männer, die Militärdienst ableisten müssten. Eine weitere Erschwernis ist die Zeit: Die ersten drei Registrierungsschritte müssen vor dem ersten Geburtstag des Kindes abgeschlossen sein.

Flitterwochen auf der Flucht

Bei Noura und Hussein Alouk fing das Chaos der Registrierung schon in Syrien an. Mitten im Bombenhagel von Homs hatte Hussein um Nouras Hand angehalten. Das syrische Regime belagerte gerade die Rebellenhochburg, ihr Vater sagte, heiratet, aber schaut, dass ihr hier wegkommt. Die Eheschließung staatlich zu registrieren, das schafften sie nicht mehr. "Früher hätte die Prozedur in Syrien höchstens zwei Stunden gedauert", sagt Noura und seufzt. Glaubt man ihren syrischen Personalausweisen, sind beide noch ledig. Dass sie geheiratet und zwei Kinder bekommen haben, ist nirgendwo festgehalten.

"Die Flucht nach Libanon hat mir mein Mann als Flitterwochen verkauft", sagt Noura und wirft Hussein einen spöttischen Blick zu. Ihr Mann grinst nur und zieht an seiner Zigarette. Dass ihre "Flitterwochen" fünf Jahre dauern würden, hätte sie nie gedacht, sagt Noura. Als Mohamed vor vier Jahren auf die Welt kam, wusste sie nichts von einer Registrierung. Sie waren erst wenige Monate in Libanon, zogen von Zeltstadt zu Zeltstadt, waren weit entfernt von großen Städten wie Beirut oder Tarablus und mit vielem überfordert. Ihr Mann ist Analphabet, sie kann zwar lesen und schreiben, hat aber mit neun Jahren die Schule verlassen.

Als Leila auf die Welt kam, hatten Noura und Hussein Alouk zwar von der Registrierung erfahren, trauten sich jedoch nicht, ihre Tochter anzumelden, weil sie es davor bei ihrem Sohn versäumt hatten. Außerdem fehlte ja die Heiratsurkunde. "Ich habe mir Sorgen gemacht, dass die Behörden dann denken, Leila ist meine Tochter und Mohamed nicht. Ich wollte keinen Unterschied zwischen den beiden machen", sagt Noura. Den Geburtsbescheid vom Krankenhaus haben sie immerhin, mehr aber auch nicht.

Die Hoffnung von Noura und Hussein Alouk liegt auf dem Asylantrag, den sie kürzlich für Norwegen gestellt haben. Sie bauen darauf, dass die Norwegische Flüchtlingshilfe ihnen bei der nachträglichen Registrierung ihrer Kinder helfen kann. Doch Hussein Alouk zweifelt. Er lehnt an der Zeltwand, zündet sich eine Zigarette an und sagt, das bringe doch alles nichts. Noura unterbricht ihren Mann energisch: "Das sagt er nur so, man darf die Hoffnung nicht aufgeben". Undenkbar, dass eine ganze Generation syrischer Kinder staatenlos aufwächst und man keine politische Lösung dafür findet. "Der Krieg darf nicht auch noch ihre Zukunft zerstören", sagt sie und zieht ihre Kinder auf den Schoß.

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