200 Jahre Fahrrad:Radfahrer erobern Mannheim zurück

Jubiläumsfeier '200 Jahre Fahrrad' in Mannheim

Abstoßen statt treten: Der Umgang mit der Draisine, die Karl Freiherr von Drais vor 200 Jahren in Mannheim erfand, ist nicht ganz einfach.

(Foto: dpa)

In der Stadt wurde vor 200 Jahren das Fahrrad erfunden. Heute dominieren die Autos. Doch nun ersetzt der Bürgermeister immer mehr Straßen durch Radwege - gegen großen Widerstand.

Von Marco Völklein

Der Mann muss vorher ordentlich geübt haben mit diesem Ding unterm Hintern. Anders kann Karl Freiherr von Drais am 12. Juni 1817 die sieben Kilometer lange Strecke von Mannheim zum Schwetzinger Relaishaus mit seinem Laufrad gar nicht absolviert haben. Der Tag gilt als Geburtsstunde des Fahrrads. Auch wenn Drais' Maschine noch keinen Kettenantrieb hatte, keine Schaltung mit zehn oder mehr Gängen und keinen Nabendynamo - das Grundprinzip des Fahrrads hatte er ersonnen: zwei Räder in einer Reihe, der Mensch dazwischen. Und das vordere Rad wird gelenkt, damit der Fahrer überhaupt eine Chance hat, die Balance zu halten.

Wer aber versucht, 200 Jahre danach Drais nachzueifern, der merkt rasch: Ganz so simpel, wie es klingt, ist Laufrad-Fahren nicht. Man eiert quer über den Mannheimer Schlossplatz, stößt sich zwar mit den Füßen ab, kommt aber nicht wirklich vom Fleck. Was vielleicht auch an den mit Blechringen beschlagenen Holzrädern liegt, die über den Asphalt kratzen. Nach der kurzen Runde auf dem Draisinen-Nachbau steigt man gern wieder um auf ein modernes Rad, um Peter Roßteutscher durch Mannheim zu begleiten.

Roßteutscher und sein Team betreuen die Festivitäten zum Radgeburtstag. Die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs nutzt das Jubiläum nicht nur, um Touristen für sich zu interessieren; vielmehr sollen die Mannheimer merken, dass Radfahren nicht nur Spaß machen, sondern auch helfen kann, Verkehrsprobleme zu lösen.

Wie in vielen Städten setzen auch in Mannheim die Verkehrsplaner seit geraumer Zeit aufs Rad. 2008 absolvierten die Mannheimer 13 Prozent aller Wege mit dem Velo, 2013 lag der Anteil bei 18 Prozent. Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) will ihn bis 2020 auf 25 Prozent steigern. Wie viele Kommunen leidet auch Mannheim unter dem Autoverkehr. Die Straßen sind oft verstopft, die Luft schlecht, etwa in Städten wie Stuttgart, München oder Düsseldorf. Die Planer, nicht nur in Mannheim, hatten über Jahrzehnte das Fahrrad, die Erfindung dieser Stadt, vernachlässigt. Vielerorts dominieren die Autos.

Aus Drais' Teststrecke wurde eine vierspurige Bundesstraße

Wie sehr, das lässt sich auf der Tour mit Roßteutscher durch Mannheim erkennen. Um sein Laufrad bekannt zu machen, wählte Drais für seine Ausfahrt die damals am besten ausgebaute Straße - und das war die Chaussee von Mannheim nach Schwetzingen, angelegt für den Kurfürsten, damit der bequem von seiner Mannheimer Residenz rasch ins Lustschloss nach Schwetzingen kam. Heute verläuft dort, wo einst Bäume den Weg säumten, eine vierspurige Bundesstraße. Radfahrer sind an den Rand gedrängt, ihnen steht ein schmaler Radweg zur Verfügung, Autos und Lastwagen brettern vorbei.

Vor einigen Jahren schon haben Touristiker eine "Drais-Radroute" angelegt; die aber verläuft wohlweislich meist etwas abseits der B 36. Etwa durch die Mönchwörthstraße, die 2012 zur ersten Fahrradstraße Mannheims umgewidmet wurde. Dort haben Radler Vorrang, sie dürfen nebeneinander fahren. Mittlerweile gibt es sieben Fahrradstraßen. Und weitere sollen dazukommen. Zudem will die Stadtverwaltung das Radwegenetz ausbauen und noch vorhandene Lücken schließen. So ziehen sich um die schachbrettartig angelegte Innenstadt mehrere überbreite Ringstraßen.

Die Autofahrer büßten zwei Fahrspuren ein

Bis vor Kurzem dominierten auch dort die Autos, Radwege oder gar separate Spuren für Radler gab es so gut wie nicht. Doch das ändert sich nun: In der Bismarckstraße etwa, direkt vor dem Schloss, gibt es seit Mitte März nun breite, teils rot markierte Fahrstreifen nur für Radler. OB Kurz feierte bei der Eröffnung den fünf Millionen Euro teuren Straßenumbau als "wichtiges Element unserer nachhaltigen Stadtentwicklung". Den Autofahrern indes stehen nun zwei Fahrspuren weniger zur Verfügung.

Das bringt Kurz und seinen Planern auch Kritik ein. Immer wieder beschweren sich Autofahrer über die breiten Radwege; nicht wenige beklagen, so würden zusätzliche Staufallen erst geschaffen. Das Problem ist: Wie in fast allen Städten ist der Platz für den innerstädtischen Verkehr begrenzt. Die Zeiten, als ganze Häuserzeilen abgerissen wurden, um Raum zu schaffen für neue Straßen - solche Zeiten sind passé.

Kontroverse Diskussionen am Runden Tisch

Es allen Seiten recht zu machen, ist schwierig. In Mannheim versucht es die Stadtspitze mit einem runden Tisch, an dem Vertreter aller Gemeinderatsfraktionen sowie Lobbygruppen sitzen. Dennoch wird fast jede größere Planung kontrovers diskutiert. So hatten beispielsweise Einzelhändler befürchtet, der Umbau der Bismarckstraße könnte sie Umsatz kosten.

Lobbyisten wie Burkhard Stork vom Radlerverband ADFC versuchen daher, das Drais-Jahr zu nutzen, um für den klaren Vorrang für Radfahrer, Fußgänger sowie Busse und Bahnen zu werben. Bei einer Sternfahrt am vergangenen Sonntag in Berlin mit laut Veranstalter 100 000 Teilnehmern forderte der Verband unter anderem vom Bund eine Aufstockung des Etats für den Radverkehr von 130 Millionen auf 800 Millionen Euro pro Jahr. Zielmarken von 25 Prozent wie in Mannheim seien zwar gut und teils ambitioniert, sagt Stork. In Städten wie Utrecht, Amsterdam oder Kopenhagen liegt die Radfahrerquote aber teilweise bei weit mehr als 50 Prozent.

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