Stadtführung:Wie Touristen auf einer Radltour München-Klischees erkunden

Radtour durch München, Mike's Bike Tours

Ein Besuch am Chinesischen Turm im Englischen Garten darf nicht fehlen.

(Foto: Florian Peljak)

Die Besucher aus den USA haben ihre Bilder von München im Kopf. Doch das eine oder andere Vorurteil lässt sich auf der Rundfahrt revidieren - spätestens bei der Einkehr im Biergarten.

Von Milena Hassenkamp

"Erschrecken Sie sich nicht vor den Nackten im Englischen Garten." Das ist einer der ersten Ratschläge, die Tourguide Jack aus Nordengland den 27 Amerikanern gibt, die mit ihm vier Stunden durch die Münchner Innenstadt fahren werden. "Deutsche baden gerne nackt, so ist das eben. Gucken sie immer nach vorn, nur so fahren sie niemanden um."

Mit der Energie eines Mannschaftstrainers, treibt er seine Truppe auf die Räder. Für den Fahrradausflug haben alle 27 Amerikaner Sportkleidung in Neonfarben angezogen, damit sie auf den hellblauen Freizeiträdern als das erkannt werden, was sie sind: Touristen. Ihr Bild von ihrem Urlaubsziel ist geprägt von Nazis, Trachten und Bier. Weil es beim Kurzbesuch in München ohnehin zu schwer wäre, versucht Tourguide Jack niemanden vom Gegenteil zu überzeugen. Stattdessen versorgt er seine Gruppe mit noch mehr Klischees - und versucht zumindest die Historie einzuordnen.

Beim Fahrradfahren sind die Augen der Touristen auf die Regenjacke ihres jeweiligen Vordermannes gerichtet. Das Fahrradklingeln wütender Einheimischer ignoriert die 27-köpfige Touristengruppe. Manchmal geht der Blick zur Seite: Aha, ein Trachtenladen. Und dort: ein Hofbräuhaus! Besondere Diskussionen löst die Frage nach dem Buchstaben "ß" im Wort "Straße" aus, das alle auf den Schildern sehen.

Tourguide Jack versucht indes, über die NS-Zeit aufzuklären. Vor der Feldherrenhalle fragt er in die Runde: "Warum war dieser Ort für das NS-Regime so wichtig?" Perry Pollet hat sich an der Treppe des Monuments in Stellung gebracht: "Wegen des Marschs auf die Feldherrnhalle", ruft der Amerikaner. Dafür erntet er vom Guide einen High five - Pollet und seine Familie heißen von jetzt an "Team Dad". Im Touristenquiz deutscher Geschichte sind sie vor ihren Mitradelnden klar führend. Die Anderen nicken anerkennend. Auch die Frage nach der Körperhaltung der Pferdestatue vor der bayrischen Staatskanzlei kann Team Dad sofort beantworten: "Hat das Pferd vier Füße auf dem Boden, dann hat der Reiter den Krieg überlebt!"

Von der deutschen Geschichte lerne man in Amerika nur, was für das eigene Land von Bedeutung sei, erzählt Perry Pollet, während er mit dem Fahrrad durch den Englischen Garten fährt. Er habe sich aber schon immer dafür interessiert. 1976 war der Mann aus Colorado zum ersten Mal in München. Damals, sagt der 57-Jährige, sei alles in Deutschland so absolut anders gewesen als bei ihnen. "Heute", lacht Perry Pollet, "sieht alles aus wie in meinem Vorgarten". McDonalds, Kentucky Fried Chicken - alles gleicht sich seinem Land an. Der Biergarten, der zur Verköstigung hungriger Touristen auserkoren wurde, ist und bleibt allerdings urdeutsch. Oder bayerisch, denn Deutschland sei nicht so wie Bayern - oder?, möchte Perry wissen, der den Rest des Landes nie gesehen hat.

Früher waren die Nazis das Problem - heute ist es Trump

Vor dem Biergartenbesuch instruiert Jack die Radler in Sachen Essen, Mass und deutscher Sprache. Zum Abschluss rufen alle im Chor: "OOOObatzda". Dann schwärmen sie aus, zu Riesenbrezn und Haxn. Unter dem Schutz des Chinesischen Turms trinkt Perry seine erste deutsche Mass seit 40 Jahren. Tochter Aviva hat sich diese Reise als Abschlussgeschenk gewünscht: Sie wollte mit eigenen Augen sehen, wovon ihr Vater erzählt hat. Schweinshaxe und Obatzda entsprechen ihren Erwartungen. Ehefrau Ilene überlegt, ihr Urteil zu revidieren. "Eigentlich wollte ich nicht hierher, wegen der Nazis." Aus Protest habe in ihrer Familie nie jemand deutsche Autos gefahren. "Aber es hat sich sicher auch viel verändert."

Jetzt sorgt sich die Familie eher darum, dass sich die Verhältnisse denen zuhause in Amerika angleichen könnten, politisch gesehen. "Wir haben euch enttäuscht", sagt Perry und bewegt das halbleere Bierglas in seinen großen Händen hin und her, als wäre alles seine Schuld. Er hatte die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA immer als Partnerschaft gesehen. Aber das mit dem neuen Präsidenten Donald Trump, das ist ihm vor Deutschen unangenehm. Auch, dass alle Deutschen glaubten, als Amerikaner könnte man nicht Fahrrad fahren, möchte er gerne entkräften: "Ich bin eine Zeitlang täglich zur Arbeit geradelt."

Das Bier macht sich rasch bemerkbar

Tourguide Jack lässt seinen Masskrug gegen alle 27 anderen klirren und treibt dann händeklatschend zur Weiterfahrt an. "Wer hat getrunken?", ruft er in die Runde. Perry hebt beide Arme. Dann geht es weiter. Die Eisbachwelle lässt Perry unbeeindruckt: "Das haben die bestimmt von den Glennwoodsprings in Colorado abgeschaut", vermutet er. Es beginnt zu regnen. Richtigen Touristen, beweisen die 27 Radler in den nächsten 40 Minuten, macht das aber nichts aus. Einzig die Mass Bier macht sich inzwischen bemerkbar: Die Gruppe kriecht im Regen die Steigung an der Isar empor. Vom Nacktbaden, das die Deutschen laut Jack eigentlich permanent machen, ließ sich während der Tour nichts beobachten - wetterbedingt.

Das kümmert den schnaufenden Perry ohnehin wenig. "Nach einer Mass kommt man ins Schwitzen - oder Perry?", ruft Tourguide Jack gut gelaunt. Die Mass Bier am Mittag hat ihre Wirkung wohl doch nicht verfehlt.

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