Großbritannien:Wie Mays Machtpoker den Nordirlandkonflikt verschärft

General Election 2017 aftermath

Sie scheint möglich: Eine Koalition aus den Konservativen und der nordirischen DUP.

(Foto: dpa)
  • Theresa May hat bereits einen Termin mit der Queen ausgemacht, an dem das neue Regierungsprogramm verlesen wird.
  • Das ist gefährlich, denn noch steht das Abkommen mit der nordirischen DUP nicht.
  • Sollte eine Einigung nicht gelingen, könnte die Königin die oppositionelle Labour-Partei mit der Regierungsbildung beauftragen.

Von Christian Zaschke, London

Zwar ist es Theresa May noch immer nicht gelungen, eine Übereinkunft mit der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) zu finden, doch hat sie einen Termin für die Verlesung ihrer Regierungserklärung durch die Königin festgelegt.

Am kommenden Mittwoch wird Elizabeth II. in der Queen's Speech das Programm der britischen Premierministerin vortragen. Dass May diesen Termin festgelegt hat, obwohl sie noch kein Abkommen mit der DUP geschlossen hat, gilt als gewagt. Da die konservativen Tories ihre absolute Mehrheit verloren haben, sind sie auf Unterstützung angewiesen. Die erzkonservative DUP ist die einzige Partei, die prinzipiell dazu bereit ist, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Mit ihren zehn Abgeordneten kann sie May in wichtigen Abstimmungen die nötige Mehrheit verschaffen.

Im Anschluss an die Queen's Speech wird im Parlament mehrere Tage debattiert, dann wird abgestimmt. Sollte eine Mehrheit der Abgeordneten gegen das Programm stimmen, käme das einem Misstrauensvotum gleich und die Regierung wäre de facto gescheitert. Die Frage wäre in diesem Fall, ob die Königin Oppositionschef Jeremy Corbyn damit beauftragt, sich an einer Regierungsbildung zu versuchen. Auch Neuwahlen stünden im Raum.

Beides wollen die Tories um jeden Preis verhindern. Dadurch wähnte sich die DUP in einer exzellenten Verhandlungsposition. Die Konservativen waren zunächst davon ausgegangen, dass ein Abkommen Formsache sei und rasch ausgehandelt werden könne. Dabei haben sie jedoch die Rechnung ohne die Verhandler der DUP gemacht, die in der von ewiger Kompromisssuche geprägten Politik Nordirlands gestählt worden sind. Die DUP will für ihre Unterstützung Gegenleistungen sehen.

Bereits seit Januar tagt das Parlament in Belfast nicht mehr

Dass die Tories nun einen Termin festgelegt haben, obwohl die Gespräche mit der DUP noch laufen, wird in Westminster als Teil des Pokerspiels zwischen den beiden Parteien interpretiert. Die Konservativen setzen darauf, dass auch die DUP auf keinen Fall will, dass Jeremy Corbyn die Chance zur Regierungsbildung erhält, weil dieser mit Sinn Féin sympathisiert. Die protestantisch-unionistische DUP und die katholisch-republikanische Sinn Féin sind die großen Rivalen der nordirischen Politik.

Zudem werfen die Unionisten Corbyn vor, im Nordirland-Konflikt der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nahegestanden zu haben. Das Kalkül der Tories ist daher, dass die DUP die Regierung von May auch ohne Abkommen keinesfalls stürzen würde. Es reichte den Konservativen bereits, wenn die DUP-Abgeordneten sich enthielten. Am Donnerstag setzten die beiden Parteien ihre Gespräche fort, ein mögliches Abkommen wird aber erst in der kommenden Woche erwartet.

Auch die anderen wichtigen Parteien Nordirlands waren an diesem Donnerstag zu Gast bei Theresa May, um eine nach der anderen mit der Premierministerin zu sprechen. Thema sollte sein, wie es mit der Regionalregierung in Nordirland weitergeht. Bereits seit Januar tagt das Parlament in Belfast nicht mehr, weil DUP und Sinn Féin sich überworfen haben.

Im Karfreitagsabkommen von 1998, das den blutigen Nordirland-Konflikt formal beendete, ist jedoch geregelt, dass die regionale Regierung stets gemeinsam von den beiden größten unionistischen und republikanischen Parteien gebildet werden muss, also aktuell von DUP und Sinn Féin.

Bis zum 29. Juni haben die nordirischen Parteien Zeit, sich zu einigen

Eigentlich wäre es Aufgabe der britischen Regierung, im Streit der beiden Parteien als unparteiischer Mittler zu fungieren. Da die Regierung aber gerade um die Unterstützung der DUP im Londoner Parlament buhlt, wird ihre Neutralität von Sinn Féin infrage gestellt. Die Partei ist besorgt, dass die Zusammenarbeit von DUP und Tories in London den Friedensprozess in Nordirland untergraben könne.

Bis zum 29. Juni haben die nordirischen Parteien Zeit, sich zu einigen. Gelingt das nicht, würde Nordirland direkt aus London regiert. Daran haben alle Beteiligten kein Interesse, doch die neue Abhängigkeit der Tories von der DUP hat die ohnehin vertrackte Situation in der einstigen Unruheprovinz noch komplizierter gemacht.

Es gibt ein Gedankenspiel unter den politischen Beobachtern: Traditionell nehmen die Abgeordneten von Sinn Féin ihre Sitze in Westminster nicht ein, weil sie der Ansicht sind, das Londoner Parlament solle überhaupt nichts in Nordirland zu sagen haben. Wenn die sieben gewählten Abgeordneten ihre Sitze nun aber ausnahmsweise doch einnähmen? Dann hätte Theresa May auch mit der DUP keine Mehrheit. Was sie beruhigen dürfte: Zwar scheint in der britischen Politik derzeit alles möglich zu sein, aber dass Sinn Féin tatsächlich in Westminster einzieht, muss als äußerst unwahrscheinlich gelten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: