Interview:EU-Kommissionspräsident Juncker: "Wir müssen unseren Laden in Ordnung bringen"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

Jean-Claude Juncker bei einer Sitzung in Brüssel im Mai.

(Foto: REUTERS)

Die Welt erwarte, dass Europa international eine stärkere Rolle spiele. Im SZ-Interview spricht Jean-Claude Juncker auch über die Konflikte in der EU beim Thema Flüchtlingspolitik.

Von Daniel Brössler

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat scharfe Kritik an der Weigerung mehrerer mitteleuropäischer Länder geübt, sich an der Umverteilung von Flüchtlingen zu beteiligen. "Wer Andersfarbige oder Andersgläubige nicht aufnehmen will, kommt aus einer Vorstellungswelt, die ich nicht für kompatibel halte mit dem Ur-Auftrag der EU", sagte Juncker der Süddeutschen Zeitung. Mit der jetzt gezeigten Haltung wären Länder wie Polen und Ungarn 2004 nach Auffassung Junckers nicht in die EU aufgenommen worden. "Hätte es die Flüchtlingskrise schon gegeben, und wäre das so formuliert worden, dann wäre es wohl so gewesen, dass der Zugang versperrt geblieben wäre", sagte er.

Juncker sprach sich aber dagegen aus, Druck durch die Kürzung von Zahlungen aus den Strukturfonds auszuüben. "Manchmal hätte ich Lust, das zu tun. Ich halte aber nichts davon, jetzt mit der Drohkeule durch Europa zu rennen. Wenn wir jetzt drohen, Fördermittel zu kürzen, dann wird das nicht zur Herstellung minimaler Solidarität beitragen", warnte er. Solidarität sei aber keine Einbahnstraße.

"Geltendes Recht, auch wenn man selbst dagegen gestimmt hat"

Dabei verwies er auf die am Mittwoch eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Tschechien und Ungarn wegen deren Weigerung, sich an der in der EU beschlossenen Verteilung von Flüchtlingen zu beteiligen. "Getroffene Entscheidungen sind geltendes Recht, auch wenn man selbst dagegen gestimmt hat", sagte er.

Nach Zahlen der EU-Kommission wurden bisher von den insgesamt 160 000 für die Umverteilung aus Italien und Griechenland vorgesehenen Flüchtlingen nur 20 869 auf andere EU-Staaten verteilt. Polen und Ungarn haben keinen einzigen Flüchtling aufgenommen. Tschechien hat zwar zwölf Asylbewerber aus Griechenland einreisen lassen, hat seit einem Jahr aber keine weiteren Flüchtlinge aus dem Umverteilungsprogramm übernommen.

Ungarn hat wie die Slowakei gegen das Programm vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geklagt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán lehnt ganz offen den Zuzug von Muslimen ab. Man wolle "hier keine zahlenmäßig bedeutsamen Minderheiten haben, die sich von uns in ihren kulturellen Eigenschaften unterscheiden", sagte er 2015. "Denn wir möchten Ungarn als Ungarn erhalten." Er warnte auch vor einer Zunahme des Terrorismus.

Polens Ministerpräsident Beata Szydlo löste in dieser Woche Empörung aus, weil sie ausgerechnet bei einer Gedenkfeier am deutschen Vernichtungslager Auschwitz indirekt die polnische Flüchtlingspolitik gerechtfertigt hatte. "In unserer turbulenten Zeit müssen wir aus Auschwitz die Lehre ziehen, dass wir alles tun müssen, die Sicherheit und das Leben unserer Bürger zu verteidigen", hatte sie gesagt. Die polnische Opposition warf ihr vor, das Gedenken an die Opfer von Auschwitz für die Anti-Flüchtlings-Politik ihrer Regierung zu instrumentalisieren. "Solche Worte sollten niemals an einem solchen Ort ausgesprochen werden", sagte der aus Polen stammende EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Juncker fordert verbesserte militärische Kapazitäten der EU

Juncker warb im Gespräch mit der SZ auch für eine stärkere militärische Komponente der EU. Es gebe "weltweit die Erwartung, dass Europa international eine stärkere Rolle spielt", sagte er. "Um das glaubwürdig zu tun, müssen wir unseren Laden in Ordnung bringen. Das gilt auch für militärische Kapazitäten", betonte er. Die Amerikaner seien in der Lage, "von heute auf morgen Zehntausende Soldaten zum Einsatz bringen". Diese Fähigkeit hätten die Europäer nicht. "Wir brauchen Monate, bis wir so weit sind. Das nimmt uns in der weltpolitischen Auseinandersetzung ein Instrument aus der Hand", klagte der Kommissionspräsident.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: