Modernes Kirchenfenster:Sinfonie des Lichts

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Moderne Gotik: Gerhard Richter griff bei der Gestaltung des Fensters auf traditionelle Farben zurück. (Foto: dpa)

Das vom zeitgenössischen Künstler Gerhard Richter gestaltete Fenster im Kölner Dom löste anfangs heftige Kontroversen aus. Mittlerweile sammeln sich davor die Besucher.

Von Catrin Lorch

Der Kölner Dom ist eine gewaltige Höhle. Als habe man die Spitze eines Gebirges ganz und gar ausgehöhlt, verliert sich der Blicke unter der Decke. Die feinen Steinmetzarbeiten, die Rippen und Säulen verschmelzen fast mit der gewaltigen gotischen Architektur. Und alle Gemälde wirken von der Wucht des Baus wie verschattet. Die einzigen Details, die an diesem Ort bestehen können, das sind die Buntglasfenster, durch die Licht und Farbe eindringen. Eines sticht besonders hervor, nicht nur, weil sich davor die meisten Besucher sammeln. Es schwebt im Südquerhaus gut 23 Meter hoch über ihren Köpfen und wer sich ihm zuwendet, badet - zumindest an einem sonnigen Tag - in buntem Licht. Die Sonnenstrahlen fallen klar durch das Bunt, und vorbeiziehende Wolken machen sich als sanfte Abtönungen bemerkbar: Der Kirchenraum kapselt sich hier nicht ab, sondern öffnet sich ein Stück weit der Stadt.

Das Werk bezieht sich auf die Farbfeldmalereien der Siebzigerjahre

Anders als viele Zeitgenossen, die von der Kirche eingeladen werden, Glasfenster zu gestalten, hat der in Köln lebende Maler Gerhard Richter, der im Jahr 1932 in Dresden geboren wurde, ein vollkommen abstraktes Fenster entworfen, das sich auf seine eigenen Farbfeldmalereien der Siebzigerjahre bezieht. Dabei hätte Richter, dessen Werk neben der Abstraktion mit der an Medienbilder angelehnten Malerei immer auch Figuration einbezieht, wie kein zweiter ein Bildprogramm entwickeln können. Doch der schlichte, fast mechanisch ausgeführte Entwurf wurde überwältigender, auch provozierender als jedes Motiv.

Es ist ein Glücksfall, dass es überhaupt zu dem Entwurf kam, eigentlich hätte Gerhard Richter - für den sonst die Ansage "Nichts ist unmalbar" gilt, fast abgesagt. "Ich war begeistert, aber auch erschrocken", ließ er sich von der Presse zitieren. "Ich befürchtete, der Auftrag würde mich überfordern." Immerhin war ihm schon einmal ein kirchlicher Auftrag missglückt: Sein Entwurf für eine italienische Pilgerkirche wurde vom Vatikan abgelehnt - als zu abstrakt.

Das Fenster, das Gerhard Richter auf Einladung der damaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner 2007 gestaltete, ist aus 11 263 farbigen Quadraten mit einer Seitenlänge von 9,7 Zentimetern zusammengesetzt. Sie wurden direkt miteinander verklebt, sodass keine Gitterstruktur entstand. Die insgesamt 72 verwendeten Farben hatte der Künstler den bereits vorhandenen Fenstern - sie stammen überwiegend aus dem Mittelalter und dem 19. Jahrhundert - angepasst und per Zufallsgenerator über die 106 Quadratmeter Fläche verteilt. Nur selten griff der Künstler ein.

Noch vor der Einweihung im Jahr 2007 warnte der damalige Kardinal Joachim Meisner vor einer "Entartung der Kultur". Die folgende Debatte führte zu einer enormen Popularität des Entwurfs, dessen Herstellungskosten in Höhe von 400 000 Euro - der Künstler verzichtete auf ein Honorar - von den Kölnern selbst finanziert worden war. Die Dombaumeisterin sagte zur Eröffnung, "alle Gedanken, alle Bilder, alle Heiligen" seien in diesem Fenster vereint, das beim Festgottesdienst als "Sinfonie des Lichts" apostrophiert wurde.

Inzwischen hat dieses Fenster allen anderen den Rang abgelaufen, mehr als achtzig Prozent der Besucher lieben es so sehr, dass sie es immer wieder besuchen. Anders hält es der Künstler. In einem Interview teilte er vor einigen Jahren mit, er meide das Fenster nachgerade, schon weil er selten in die Stadt gehe und lieber in seinem Atelier bleibe.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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