Dombauhütte:Kreuzblume statt Funkenmariechen

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Der Erhalt des Bauwerks ist eine Daueraufgabe, die auch exotische Blüten getrieben hat.

Von Ira Mazzoni

Sisyphus müssten wir uns als einen glücklichen Menschen vorstellen: "Jeder Gran eines dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt." Was der Philosoph des Absurden, Albert Camus, für einen bewusst gottlosen Menschen annahm, das gilt für die katholischen Dombaumeister des Kölner Doms. Der Koloss - einmal das höchste Bauwerk der Welt - bestimmt ihr Leben und wird auch noch das Leben ihrer Nachfolger ausfüllen, bis in alle Ewigkeit. Alle zehn Dombaumeister seit der Wiedereinrichtung der Dombauhütte 1823 müssen wir uns als glückliche Menschen vorstellen, denen jede gipsverkrustete Steinkrabbe und jeder verrostete Eisenanker die Welt bedeutet. Auch für den jüngsten, den vergangenes Jahr gewählten Peter Füssenich ist der aus der Zeit gefallene Auftrag das schönste Amt der Welt: Der Super-Verwaltungsjob mache demütig, sagt Füssenich. Noch ist die Dombauhütte dabei, die vor über siebzig Jahren entstandenen Kriegsschäden zu beseitigen. Gleichzeitig hat sie jüngst ein Projekt für die nächsten siebzig Jahre in Angriff genommen: Die Sanierung des für die Statik wichtigen Strebewerks von Quer- und Langhaus. "Das wird auch noch die Aufgabe der nächsten Generationen sein", sagt Füssenich. Eine solche Baustellenplanung ist einmalig.

Noch immer ist die Dombauhütte dabei, Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg zu reparieren

Den Kölner Dom ohne Baugerüste kann man sich nicht vorstellen. Als im Jahre 1410 der mächtige Südturm so weit aufgeführt worden war, dass die Baumeister des ausgehenden Mittelalters das Mittelschiff der Kathedrale anschließen konnten, blieb der hölzerne Baukran auf dem Turmtorso stehen. Weithin sichtbares Zeichen dafür, dass es weitergehen sollte. Doch der Bau des Doms wurde 1560 ganz eingestellt. Seitdem wurde das Bild des unvollendeten Großbauwerks mit dem bizarren Hebewerk auf dem Turm zum sicheren Erkennungszeichen für Stadtansichten Kölns. Eines der frühesten Stadtporträts mit verlassener Dombaustelle malte Hans Memling 1489 für den Zyklus auf dem Brügger Ursula-Schrein. Der Baukran auf dem Südturm wurde ikonografisch bis zu seinem Abbruch 1868. Aber auch nach der gefeierten Vollendung 1880 blieb der Dom ein Pflegefall.

Heute beeindruckt das von den Gerüstbauern der Dombauhütte konstruierte 33 Meter hohe Hängegerüst, das in 104 Metern Höhe mit Stahlseilen an Zugankern im Helm des Nordturms aufgehängt ist und nach Fortschritt der Untersuchungen wie der Steinrestaurierungen jeweils neu positioniert wird. Seit etwa 20 Jahren läuft die Turmsanierung. Die im 19. Jahrhundert ab einer Höhe von 80 Metern verwendeten Eisenarmierungen sind gerostet. Sie müssen ausgebaut und durch Edelstahlklammern ersetzt werden. Alle Fugen müssen ausgebessert oder neu verfüllt werden. Die Turmengel zeigen erheblich verwitterte Flügel und Hände. Zwei Figuren waren so stark geschädigt, dass sie ausgebaut werden mussten und von den Steinmetzen kopiert werden. Die anderen beiden können auf 80 Meter Höhe vorsichtig gereinigt und gefestigt werden.

Im 19. Jahrhundert arbeiteten zeitweise über 500 Handwerker an der Vollendung des Doms. Dombaufreund August Reichensperger sah in der Dombauhütte ein "romantisches Gemeinschaftsideal" verwirklicht. Die Bauhütte garantiere das "Gesamtkunstwerk". Sie sei das "Muster einer antiakademischen Erziehung und Ausbildung und das gemeinsame Bollwerk von Kunst und Handwerk gegen die Industrialisierung". Man hört die Euphorie der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung! Tatsächlich belebte die Dombauhütte die Neugotik in Deutschland - sowohl im Neubau wie bei den Restaurierungen.

Heute beschäftigt die Dombauhütte 100 Angestellte, darunter 80 Handwerker und Restauratoren. Da sie selbst ausbildet, lebt sie eine Tradition, die es sonst in unserer Welt nicht mehr gibt. Noch immer bilden die Steinmetze und Steinsetzer die größte Gruppe. Es gibt eine eigene Abteilung für Gerüstbau. Eine eigene Schmiede für Werkzeuge und Klammern. Eine Schreinerei. Die 1953 gegründete Glasrestaurierungswerkstatt genießt international höchstes Renommee.

Trotz handwerklicher Kontinuität, die Philosophie der Bauhütte hat sich gewandelt. Bis etwa 1980 arbeitete die Bauhütte mitunter höchst kreativ wie im Historismus. Im Detail waren die Steinmetze frei. Statt florales Baudekor zu ergänzen, setzten sie zwei Kickern des 1. FC Köln ein Denkmal. Ein Funkenmariechen schaffte es in schwindelerregende Höhen. Skepsis machte sich breit. War der Dom denn noch der alte? "Je mehr Teile erneuert werden, desto weniger bleibt vom Original übrig, desto mehr wird der Dom Schritt für Schritt zu seiner eigenen Kopie", klagte Roland Kirbach in der Wochenzeitung Die Zeit 1985. Es wurde kolportiert, die Steine des Doms seien schon dreimal ausgetauscht worden. Das Wirken der Dombauhütte wurde in Grundsatzdebatten auch gerne einmal gegen den "Substanzfetischismus" der modernen Denkmalpflege in Position gebracht.

"Es geht nicht um Ersatz, sondern darum, das Original in seinem Zeugniswert zu erhalten", stellt Dombaumeister Füssenich klar. In Prozenten könne er den Anteil neuerer Steine nicht benennen, aber die Masse des Doms sei noch bauzeitlich, mittelalterlich oder historistisch. Seit 2013 besitzt die Dombauhütte eine eigene Steinrestaurierungswerkstatt. Ergänzungen erfolgen nur noch in Steinen, die den historischen in Farbe und Struktur nahe kommen. Die wegen ihrer Härte lange favorisierte Basaltlava ist längst tabu.

Ohne das Dombauarchiv könnte die Bauhütte nicht verantwortungsvoll arbeiten. 20 000 Baupläne und 600 historische Fotografien dokumentieren den Baufortgang im 19. Jahrhundert. Dazu kommen 1500 Grafiken. Ohne die Original-Gipsmodelle der Bildhauer des 19. Jahrhunderts und farbigen Kartons der Glasmalerei-Werkstätten, wäre eine Rekonstruktion des im Krieg Zerstörten wissenschaftlich nicht vertretbar, erklärt Füssenich. Bereitwillig haben die Kölner 100 Patenschaften für die originalgetreuen Kopien am nördlichen Mittelportal übernommen.

Inzwischen ist der Hohe Dom zu Köln in 3-D vermessen. Die Dombauhütte lässt jede Bewegung seismisch überwachen, Klimaschwankungen werden registriert: Jede Gefährdung soll rechtzeitig erkannt und gebannt werden. Gleichzeitig ist man sich der einzigartigen Handwerkstradition und - im Camus'schen Sinne - immerwährenden Glücks bewusst. So bewerben sich die Dombauhütten um Aufnahme in die Liste des Immateriellen Kulturerbes.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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