Theater:Zürich will leuchten

Das Schauspielhaus holt sich seine zwei Chefs aus München. Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg kommen von den Kammerspielen. Sie sollen "politisch relevantes Theater" machen, das weit über die Schweiz hinaus ausstrahlt.

Von Till Briegleb

Kurswechsel in Zürich. Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg werden als Intendanten-Duo von der Spielzeit 2019/20 an das Schauspielhaus Zürich leiten. Der Hausregisseur und der leitende Dramaturg der Münchner Kammerspiele sind an das größte Schweizer Sprechtheater berufen worden. Mit dieser Personalentscheidung stellt sich die Stadt Zürich den Veränderungen im zeitgenössischen Theater. Stemann und von Blomberg werden mit Barbara Frey einer Intendantin nachfolgen, die sich ebenso wie ihr Vorgänger Matthias Hartmann eher einer traditionellen Stadttheater-Idee verpflichtet sieht.

Der erste Wunschkandidat der Findungskommission war der Schweizer Dokumentar-Regisseur Milo Rau. Schon mit dieser Wahl hätte sie sich für eine internationale Ausrichtung entschieden und für eine Theateridee, die sich sehr politisch und ästhetisch experimenteller angelegt ist, als die Züricher Spielpläne der vergangenen 13 Jahre nach dem Abschied von Christoph Marthaler. Aber Rau übernahm lieber die Leitung des viel kleineren Theaters NT Gent in Belgien, wo die strukturellen Voraussetzungen für einen international vernetzten Spielbetrieb schon gegeben sind.

Die Berufung von Stemann und von Blomberg wird nun ausdrücklich in denselben Kontext gestellt. Als politisches Zeichen gegen die Abschottungstendenzen und die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz haben Findungskommission und Aufsichtsrat des Theaters zu der Wahl erklärt: "In und für Zürich soll ein künstlerisch unverwechselbares, politisch relevantes Theater entstehen, das sowohl national wie international ausstrahlt."

Das nun vorgestellte Konzept sieht vor, ein künstlerisches Ensemble einzurichten, das "in seiner Diversität die unterschiedlichen Lebens- und Herkunftserfahrungen der Stadtbevölkerung repräsentiert". Damit solle ein Ort geschaffen werden, "an dem der Theaterprozess als eine im Kern partizipative und soziale Kunstform wieder erlebbar gemacht wird". Dieses Konzept vereint deutliche Einflüsse des "postmigrantischen" Theaters am Maxim Gorki in Berlin und der grenzverwischenden Kunststätte, die Matthias Lilienthal an den Kammerspielen herzustellen versucht.

Diese Orientierung an politischen und sozialen Konflikten und freien performativen Erzählformen birgt natürlich die Gefahr, das angestammte, in Zürich durchaus "älter" zu nennende Theaterpublikum zu verprellen. Der Neuanfang, den das Duo Stemann und von Blomberg vorschlägt, könnte stattdessen ein junges urbanes Publikum locken, das sich aber primär digital vernetzt erlebt und vom Theater als relevanter Kunstform erst noch überzeugt werden will. Die designierten Intendanten haben jetzt zwei Jahre Zeit, ihre Definition des Stadttheaters als Ort für alle Bürger Zürichs so in einen ersten Spielplan umzusetzen, dass nicht nur eine Klientel gegen eine andere ausgetauscht wird. Eine Herausforderung.

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