Neue Musik von Lorde:Einmalig? Cool. Aber wäre ein bisschen mehr Gaga Perry nicht cooler?

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Lorde heißt eigentlich Ella Marija Lani Yelich- O'Connor, kommt aus Neuseeland und hat kroatisch-irische Wurzeln. (Foto: Universal Music)

Lorde war die merkwürdige Meerjungfrau der Chartmusik. Auf ihrem neuen Album "Melodrama" klingt sie aber beinahe wie die immer gleichen Druckpop-Groove-Hymnen aus dem Radio.

Von Juliane Liebert

Eine Universität hat ungehorsame Roboter entwickelt; ihr Zweck ist, all die Verhaltensweisen zu imitieren, die in zwischenmenschlichen Beziehungen stressen. Sie hängen am Rockzipfel. Sie kneifen. Sie schmieren Lippenstift ins Kissen. Statt nur die schönen Seiten von Beziehungen zu imitieren, imitieren sie den ganzen Mist, den man außerdem am Hals hat. Aber sie sind nicht nur im College unterwegs, ein paar von ihnen bevölkern auch das neue Album der Künstlerin Lorde. Produziert hat sie "Melodrama" wieder mit Jack Antonoff, aber auch große Namen des Gegenwartspops wie Frank Dukes, Malay und Andrew Wyatt waren beteiligt.

Lordes Debüt, "Pure Heroin", das sich millionenfach verkauft hat, ist vier Jahre her. Sie hat weltweit einen Haufen wichtiger Musikpreise bekommen und schätzungsweise alle Musikpreise Neuseelands, woher sie stammt, zweimal bis dreimal. David Bowie hat sie "die Zukunft der Musik" genannt. Und ein besonderer Moment der Wahrheit war gekommen, als Bruce Springsteen ihren Song "Royals" coverte.

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Denn der 64-jährige Springsteen sang den Hit der damals 17-jährigen Lorde komplett mit Mundharmonika und Altmännerpose. Eigentlich sang er fast nur einen Ton und klampfte ein bisschen auf der Gitarre. Lorde weinte (vor Rührung), wenn man den Mitschnitt jetzt hört, will man auch weinen (weil das Cover so mies ist). Interessanter ist, warum es mies ist: Ihre Zeile "You can call me Queen Bee" ändert Springsteen zu "You can call me King Bee", und man ist peinlich berührt, ist es doch die selbstverständliche Herrschaft der Frau, die den Song zeitgemäß macht. Springsteens Cover klingt, als würde jemand versuchen, einen Ferrari zu satteln. Es ist nicht schlecht, weil der "Boss" nichts kann, sondern weil er "Royals" als sozialkritischen Folkprotestsong singt. Weil es Musik ist, die er nicht versteht. Die einer Emotion entspringt, die er zwar noch bezeugen, aber nicht mehr glaubhaft darstellen kann. Goodbye, Mundharmonika.

Sie wirkte wie aus einem Tim-Burton-Film - etwas Fremdes und Besonderes

Obwohl Lorde in den Charts unglaublich erfolgreich war, war sie auch anders als die üblichen Popstars, ein merkwürdiger Teenager, der aussah wie ein Statist in einem Tim-Burton-Film. Etwas Besonderes. Das Traurige beim ersten Hören von "Melodrama" ist, dass es klingt wie alle anderen aktuellen Popalben. Als hätten sich die Produzenten gedacht, "Hey, eine wirklich einmalige Künstlerin. Voll gut. Aber wäre es nicht cooler, wenn sie noch dazu ein bisschen mehr klänge wie Gaga Perry?" Kein Verschreiber - wer viel Radio hört, wird ein Gefühl nicht los, das man mit dem Gemeinplatz "klingt doch eh alles gleich" beschreiben könnte. Das unkonkrete Gefühl hat einen konkreten Anlass: Chartpop ist oft so knallhart auf Radiotauglichkeit gemastert, dass es kaum mehr Lautstärkenunterschiede gibt. Wer im großen Stil erfolgreiche Popmusik macht, verlässt sich derzeit auf den von Taylor Swift etc. vertrauten Druckpop-Groove-Hymnen-Sound. Die Musikstile, die auf Charttauglichkeit hin verwurstet werden, sind dabei durchaus vielfältig. Trotzdem ist es so, dass es fast nur noch eklektizistische Musik in den Charts gibt, also solche, die alle möglichen Stile mehr oder weniger willkürlich auf meist weitgehend elektronischer Basis amalgamiert. Die Produktion: Wuchtig, immer auf größtmöglichen Effekt hin, meist wechselnd zwischen Fokus auf den Groove und Emotionsbombast, bis einem irgendwann die Ohren bluten. Das ist Pop 2017.

Ist Lorde die Nächste, die so klingt? Ist sie nicht. Was sie auf ihrem Album aus den immer gleichen alten Popkadenzen herausholt, ist beachtlich. "Melodrama" ist in den Details sehr aufwendig gearbeitet, voller Stimmverfremdungen und schräger Geräusche. Das gilt auch für die Details von Lordes Gesang. Manchmal wird der Kompressor aus ihrer Stimme genommen und es klingt, als würde sie gerade im Proberaum singen, dann wird plötzlich wieder die ganz große Bühne aufgemacht oder punktgenau irgendein Hardcore-Effekt reingefahren. "Melodrama" ist ein Mainstream-Album, das ab und zu kneift. Voller kleiner Ärgernisse - wie auf dem Kissen verschmierter Lippenstift. "The Louvre" beginnt mit gerasterten Gitarrenphrasen aus der Indiepop-Mottenkiste, weitet sich in Hymnenhall, "broadcast the boom boom boom and make 'em all dance to it", sprechsingt Lorde, die Zeilen werden zur Antiklimax, der Song implodiert. Und beim Aufbau des Refrains zu "Green Light" in der tiefsten Alt-Stimmlage klingt die Zwanzigjährige wie eine zweihundert Jahre alte Hexe.

Schwer Konsumierbares, das dann doch zum Welterfolg wird - das ist großer Pop

Was "Pure Heroine" betrifft, wäre es ohnehin naiv, an das übliche "Erfolg aus dem Nichts"-Geschwätz zu glauben. Damit ein Debüt so einschlägt, muss auch das Marketing von Anfang stimmen, egal wie gut die Künstlerin ist. Teenager haut durchproduzierte Platte raus - Welterfolg. Siehe The XX. Die Leute wollen unbedingt immer die Popzauberfee, die trotzdem kein Mainstream-Pop ist. So eine Art neue Björk. Lorde wurde als merkwürdige Meerjungfrau der Chartpopmusik gefeiert. Schon beim Debütalbum war da viel Projektion dabei. Dabei entstehen die größten Momente im Pop ja, wenn das, was auf den ersten Blick völlig quer zur leichten Konsumierbarkeit steht, trotzdem ein Welterfolg wird. Warum passiert das so selten? Weil im Zeitalter der universellen Verfügbarkeit im Internet sich jeder seine eigene Nische sucht? Weil man deshalb einfach keinen Mainstream mehr braucht, der dem Mainstream den Stinkefinger zeigt? Oder ist es so, dass sich alle mit der Alternativlosigkeit abgefunden haben und man aus der Not eine Tugend macht, indem man den Sound der Affirmation zum künstlerischen Statement erklärt?

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In ihrem Song "Liability" singt Lorde davon, zu viel zu sein. Ihr Liebhaber erklärt, sie sei ihm zu viel, eine Verpflichtung, eine Leistungspflicht: "You're a little much for me, you're a liability, you're a little much for me." Die Pointe des Songs, dass sie gelernt hat, sich auf sich selbst verlassen zu müssen, ist wunderschön kompatibel mit jeder Therapiesitzung und den feuchten Träumen libertärer Silicon-Valley-Milliardäre, die sich in Lordes Heimat Neuseeland riesige Ländereien zulegen, um sich gegen die Apokalypse abzusichern. Sie nennt das Album "Melodrama", die Texte sind persönlich, die Form aber so anschlussfähig, wie es nur geht. Intimität wird eingekapselt in größtmögliche Distanz schaffenden Edelpop-Zuckerguss - und hält sich damit die Peinlichkeit des Persönlichen vom Hals. Die Musik jedenfalls scheint regelrecht mit ihrer Eigensinnigkeit zu kämpfen.

Früher haben sie einem bei Kopfschmerzen Löcher in den Kopf geschlagen, damit die Dämonen entweichen konnten. Das klingt aus heutiger Sicht wie ein Irrtum, andererseits: Vielleicht hatten sie auch recht. Und jetzt, wo wir Paracetamol haben, bleiben die Dämonen im Kopf. Es ist in diesem Fall ein von einem Haufen wichtiger Popmenschen wohlfrisierter Kopf, er wippt gut im Takt, aber vielleicht ist es Zeit für ein paar Löcher, durch die "das Licht eindringt" - oder heraus. Wäre es nicht Zeit für einen Charterfolg, der diesen ganzen durchproduzierten Druckpop-Groove-Hymnen-Sound mal aufbricht? Einer der Wege dahin wäre: mehr Lorde und nicht weniger Lorde in Lordes Musik.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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