Ben Bernanke:"Manchmal ist Wachstum nicht genug"

Ben Bernanke

"Trump verdient Anerkennung, dass er sich der großen Frustration der vergessenen Amerikaner angenommen hat", sagt Ex-Zentralbanker Bernanke.

(Foto: Michelle Siu/AP)

Der ehemalige Chef der US-Notenbank stellt die Ökonomen an den Pranger. Sie hätten mehr auf Ungleichheit achten müssen. Auch EZB-Präsident Draghi sagt: Es gebe zu viele Verlierer.

Von Markus Zydra, Lissabon

Die Studenten erwarten Mario Draghi im großen Saal der Wirtschafts- und Management-Universität ISEG auf einem der vielen Hügel der portugiesischen Hauptstadt. In den hohen Regalen unter der Empore stapelt sich neben den jährlichen "Diário da República", in denen die Gesetze und Verfassungsgerichtsurteile des Landes abgedruckt sind, auch ein Wälzer zu den "Großen Deutschen". Über 50 000 junge Menschen besuchen die renommierte Hochschule, einige wenige Dutzend waren auserwählt, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) am Montagnachmittag Fragen zu stellen. Eine lautete: Was können Notenbanker gegen die Ungleichheit tun?

"Die Globalisierung hat immensen Reichtum hervorgebracht", antwortete Draghi. Doch gleichzeitig gebe es viele Menschen "die nicht teilhaben, die sich kein Haus und kein Auto kaufen können", so der EZB-Präsident. Es gebe wirtschaftlich viel "Verlierer". Man habe das Thema Ungleichheit zu lange ignoriert.

Nach seiner Stippvisite bei den Studenten eröffnete Draghi im 40 Kilometer entfernten Sintra die EZB-Notenbank-Konferenz, auf der Geldpolitiker und Wissenschaftler noch bis Mittwoch ein Phänomen diskutieren, das Ökonomen wahnsinnig macht: Die Wirtschaft in Europa und den USA wächst, doch viele Menschen fühlen sich verlassen und vergessen. Sie beklagen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.

"Was immer man über Donald Trump denkt, er verdient Anerkennung, dass er sich als Präsidentschaftskandidat der großen Frustration der vergessenen Amerikaner angenommen hat", sagte der frühere amerikanische Zentralbankpräsident Ben Bernanke in seiner Rede. Er ging hart ins Gericht mit seiner Zunft. Ökonomen hätten ein Teil ihrer Glaubwürdigkeit verspielt, weil sie das Thema Ungleichheit zu wenig beachtet hätten. Man habe immer auf Wirtschaftswachstum geschaut. "Doch manchmal ist Wachstum nicht genug", sagte Bernanke.

Der frühere Notenbanker skizzierte das Bild einer ökonomisch gespaltenen US-Gesellschaft. "Die Löhne der Arbeiter stagnieren schon lange, die Chancen, aus eigener Kraft den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen, sind geschrumpft", sagte Bernanke. Beides verstärke den Trend zu einer "größeren Einkommens- und Vermögensungleichheit", die in den USA schon stärker ausgeprägt sei als in anderen entwickelten Industriestaaten. "Die Amerikaner sind mit der Wirtschaft schon seit einiger Zeit außergewöhnlich unzufrieden."

Die größte Quelle für Ungleichheit sei die Arbeitslosigkeit

Die Automatisierung und Digitalisierung der globalen Wirtschaft gefährdet die berufliche Zukunft vieler Berufsgruppen. Früher mussten Taxifahrer wissen, wo eine Adresse liegt, jetzt gibt es Navigationsgeräte. Bald könnten selbstfahrende Autos die Rolle des Chauffeurs übernehmen. Moderne Technik mag die Wirtschaft produktiver machen und das Wachstum ankurbeln. Doch um welchen Preis? Was ist heutiges Wissen morgen noch wert, wenn Computer und Roboter Tätigkeiten in der Beratung und Pflege übernehmen? Kostet Produktivitätswachstum Jobs?

"In der Industrie lässt sich beobachten, dass steigende Produktivität zu weniger Jobs geführt hat", sagte David Autor, der als Professor am Massachusetts Institute of Technology arbeitet, in Sintra. Gleichzeitig würden aber in anderen Sektoren neue Jobs entstehen. "Es entstehen viele Arbeitsplätze, die eine hohe Qualifikation der Arbeitnehmer erfordern", sagte Autor. Diese Nachfrage könne kaum bedient werden. Mehr Bildung sei die Lösung. Natürlich, aber wie muss eine moderne Bildungspolitik aussehen, wenn sich Wissen ständig verändert? "Die Automatisierung gefährdet Jobs, aber man kann noch nicht sagen, dass dadurch insgesamt Jobs verloren gehen", sagte Autor.

Draghi verbreitete unterdessen Optimismus. "Alle Zeichen deuten nun auf eine Festigung und Verbreiterung der Erholung in der Euro-Zone hin", sagte der EZB-Präsident. Er deutete sogar eine "graduelle Anpassung" der lockeren Geldpolitik an, sollten die Inflationsraten entsprechend anziehen. Der Tenor der Notenbank-Konferenz war deutlich: Es muss darum gehen, dass möglichst viele Menschen an dem Aufschwung teilhaben. Draghi hält das Thema Ungleichheit für wichtig. Die größte Quelle für Ungleichheit sei die Arbeitslosigkeit, so Draghi.

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