Wie junge Unternehmer die Digitalisierung nutzen:Kraft des Neuen

Wie junge Unternehmer die Digitalisierung nutzen: Große Ziele haben alle Gründer. Auf den Postern an der Wand in den Büros des Münchner Start-ups Konux steht schwarz auf weiß, was sich die Mitarbeiter vorgenommen haben.

Große Ziele haben alle Gründer. Auf den Postern an der Wand in den Büros des Münchner Start-ups Konux steht schwarz auf weiß, was sich die Mitarbeiter vorgenommen haben.

(Foto: Robert Haas)

Ein Sensor für Schienen, ein Wunderkleber und eine Plattform für Patienten: Drei erfolgreiche Start-ups und ihre Ideen "Made in Germany".

Von Sophie Burfeind und Elisabeth Dostert

Andreas Kunze, 26, nimmt häufiger mal die Bahn, wenn er Kunden besucht. Jede Zugfahrt ist Marktforschung. Kunze sieht aus dem Fenster - auf die Schienen, Schwellen und Weichen. Er spürt jedes Ruckeln ein wenig intensiver als andere Fahrgäste und fragt sich nach dem Grund. Immer öfters, besonders auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken, entdeckt Kunze kleine warngelbe Kästen, etwa so groß wie ein rechteckiges Frühstücksbrettchen. Kunze ist Mitgründer und Vorstandschef des jungen Münchner Unternehmens Konux. Es liefert die Kästen. Die Deutsche Bahn ist ein Kunde.

In den Kästen stecken Sensoren. Sie messen Temperatur und Erschütterungen und übertragen die Daten über den Mobilfunk an einen zentralen Rechner. Die Box auf der Schwelle in der Weiche ist nur ein Teil des Systems, das Konux liefert. Kernstück ist ein Algorithmus, der die Daten aus verschiedenen Quellen auswertet, und eine Software, die berechnet, wann eine Weiche gewartet werden muss. Die vorausschauende Instandhaltung auf Basis von Daten, im Fachjargon Predictive Maintenance, soll ein Problem sehen, bevor es auftaucht und so größere Schäden vermeiden, weil Teile einer Maschine oder des Schienennetzes ausgetauscht werden, bevor sie ganz ausfallen. Für einen reibungslosen Zugverkehr sind Weichen wichtig.

Gründer wie Kunze wollen Industrien revolutionieren, alte Techniken verdrängen. Das Schienennetz, nicht nur das deutsche, ist Jahrzehnte alt. "Auf vielen Strecken sind immer noch Arbeiter zu Fuß unterwegs, um die Schienen zu kontrollieren", sagt der Gründer. Weichen, Schwellen, Schienen sind Standardprodukte. Mit Sensoren, Software und Rechnern werden sie Teil eines digital vernetzten Systems - Schiene 4.0. Die Digitalisierung erfasst alle Industrien. Im Handel ist sie weit fortgeschritten. Oft entsteht das zerstörende Neue, das Disruptive, in neuen Firmen, weil es die Vorstellungskraft bestehender Unternehmen überschreitet oder diese einfach zu träge oder zu selbstgerecht oder zu ängstlich sind - oder alles zusammen.

Kunze, Wirtschaftsinformatiker, hat die Firma 2014 zusammen mit dem Maschinenbau-Ingenieur Dennis Humhal und dem Elektroingenieur Vlat Lata gegründet. Jeder hätte einen Job in einem Konzern haben können. Das wollten sie nicht. "Ich wollte etwas machen, wo ich viel Einfluss habe, auf das, was passiert und wo ich etwas verändern kann", sagt Kunze. Ursprünglich wollten die Gründer ihr Prognosesystem allen anbieten, die Fabriken, Maschinen und Anlagen betreiben. Deutschland stehe doch weltweit für Maschinenbau. "In der digitalen Fabrik gibt es jede Menge Anwendungen für unsere Technologie", sagt Kunze. Aber schon bald haben sie sich auf Bahn-Unternehmen konzentriert.

Dass eine Fokussierung wichtig ist, haben sie von ihren Investoren gelernt. Kaum gegründet, schaffte es Konux in das Programm Founder.org des US-Investors Michael Baum. Pro Jahr werden weltweit nur 50 Unternehmen, die das Zeug haben, "die Welt zu verändern", aufgenommen. Baum ist selbst ein Seriengründer. Zu seinen Schöpfungen gehört der Software-Konzern Splunk. Ein anderer Investor ist Andreas von Bechtolsheim, Mitgründer des US-Konzerns Sun und einer der ersten Investoren von Google. Kunze hat viel von ihnen gelernt. Von "Michael", wie man aus einer Idee eine "echte Fabrik" macht, und von "Andy", wie man mit den richtigen Fragen auf Basis weniger Informationen die besten Entscheidungen lernt. Kunze lernt noch immer. Er wird nicht satt. Die Gier nach Neuem zeichnet viele Gründer aus.

Sophie Chung, 33, hastet die Stufen des Tempodroms in Berlin hinauf, sie ist spät dran. In einer Stunde soll sie auf der Bühne ihre Firma vorstellen. Chung setzt sich auf die Holztreppe, versucht, nicht in die Mittagssonne zu gucken und so schnell wie möglich zu erklären, was Junomedical, ihre 2015 in Berlin gegründete Firma, macht.

Es gebe zwei Klischees von Medizintourismus, sagt sie: der reiche Russe, der sich in der Münchner Uniklinik behandeln lässt, und die Britin, die für billige Brüste nach Thailand fliegt. "Wir wollen echte Probleme lösen." Junomedical vermittelt Patienten über eine digitale Plattform an Kliniken und Ärzte in 25 Ländern - um eine bessere Behandlung zu kommen, Kosten zu sparen oder schneller behandelt zu werden. Sinnvoller Medizintourismus also.

Firmen wir Konux fallen auch Geldgebern in den USA auf

Die Idee, erzählt Chung, hatte sie, als sie noch als Ärztin arbeitete, sie habe sich oft gedacht, wie schwierig es für Patienten sei, den richtigen Arzt zu finden. "Es gibt Jameda oder du hast Glück", sagt sie. Jameda ist ein Bewertungsportal für Ärzte. Chung will das Glück kalkulieren und entwickelte mit ihrem Mitgründer Gero Graf einen Algorithmus, um die besten Kliniken und Ärzte zu ermitteln: "Wir haben sehr viele Daten gesammelt, aus öffentlichen Datenbanken, Patientenbewertungen oder internationalen Rankings. Wir berücksichtigen Preise, die Ausbildung des Arztes, und wir fordern Daten von den Krankenhäusern an." Von 10 000 Kliniken, die sie testeten, seien 200 übrig geblieben. Für die Vermittlung zahlten die Kliniken, nicht die Patienten, 40 000 Patienten habe Junomedical schon vermittelt, die meisten kamen aus England. Chung muss los. Sie muss gleich auf die Bühne. Sechs Minuten hat sie Zeit, wie jeder andere Teilnehmer des Pitch.

Alexander Schüller, einer der Geschäftsführer des Medizintechnikunternehmens Adhesys Medical, ist jetzt wieder in den USA. In Houston im Bundesstaat Texas sitzt die US-Tochter des 2013 in Aachen gegründeten Unternehmens. Es stellt einen auf Polyurethan basierten Klebstoff her, um Wunden auf der Haut und im Körper zu schließen, etwa nach einer Operation.

Im vergangenen Jahr siegte Adhesys Medical im erstmals ausgeschriebenen Gründerwettbewerb "Gipfelstürmer" des SZ-Wirtschaftsgipfels. Mit einem Dutzend Mitarbeiter ist die Firma immer noch klein, der Anspruch ist wie bei vielen Gründern groß. Seit der Preisverleihung im November hat sich viel getan. Mitte April übernahm das Aachener Pharmaunternehmen Grünenthal das junge Unternehmen. Start-ups sind für die alten und älteren Konzerne eine Frischzellenkur, sie ergänzen die interne Suche nach Innovationen.

Die Geschichte von Adhesys Medical zeigt, wie eine Idee, die in einem Konzern entstand, dort aber keine Chance hatte, in einem flotten jungen Unternehmen gedeihen kann und wieder attraktiv wird für ein traditionelles Unternehmen. Schon für die Kunststoffsparte des Bayer-Konzerns arbeitete die Chemikerin Heike Heckroth an dem chirurgischen Klebstoff. Sie trug viele Kilo Steaks ins Labor, um den neuen Stoff zu testen. 2012 stellte Bayer aus strategischen Gründen, wie es so schön heißt, die Entwicklung ein. Im Herbst 2013 kauften Heckroth, Wissenschaftler der RWTH Aachen, und Schüller die Patente und gründeten Adhesys. Deshalb ist das Start-up auch ein Beispiel dafür, wie erfolgreich Wissenschaftler von Konzernen und Universitäten zusammenarbeiten können.

Wie viel Grünenthal für Adhesys Medical gezahlt hat, will Schüller nicht sagen. Inzwischen läuft in Europa der Zulassungsantrag für den Klebstoff, der Wunden auf der Haut verschließen soll. Er funktioniert wie eine Zwei-Komponenten-Spritze. Erst kurz vor dem Auftragen verbinden sich zwei Flüssigkeiten und härten dann auf der Haut schnell aus. Der Klebstoff wird in Deutschland hergestellt. Die USA seien zwar der größte Absatzmarkt, aber Deutschland sei als Produktionsstandort ganz wichtig, um einen effizienten Ablauf und die Qualität zu sichern.

Und was ist jetzt anders mit Grünenthal als Eigentümer? "Früher waren wir ein kleines Unternehmen mit begrenzten Ressourcen", sagt Schüller: "Heute können wir auf die Erfahrungen und das Wissen von Grünenthal bei der Zulassung von Produkten zugreifen, und unsere Kapitalbasis hat sich verbessert." Operativ, also im Tagesgeschäft, sei vieles so wie früher, sagt Schüller: "Ich glaube, dass ich bei Adhesys noch viel bewegen kann."

Gründer Kunze hat andere Pläne. Konux soll nicht verkauft werden. In zwei Finanzierungsrunden hat das Unternehmen mittlerweile 16 Millionen Dollar eingesammelt. Neben Baum und Bechtolsheim gehören der US-Risikokapitalgeber NEA zu den Geldgebern und der Münchner Investor MIG. Die Gründer und die Beschäftigten halten gut die Hälfte des Kapitals. Jeder Festangestellte ist an Konux beteiligt. Etwa 35 Mitarbeiter beschäftigt die Firma, der älteste ist Mitte 50. "Wir wussten, dass wir drei frisch von der Uni auch erfahrene Mitarbeiter brauchen", sagt Kunze.

Seit Anfang 2016 sitzt die Firma in der Werk-Stadt Sendling. Ideenfabrik heißt jetzt der Gebäudekomplex auf einem alten Produktionsgelände von Philip Morris, als könnte man Ideen einfach so produzieren wie Tabak und Zigaretten. Im Untergeschoss steht der Shaker, eine Rüttelmaschine, auf der die Sensoren getestet werden. Die Kräfte, die dort wirken, sind zweimal so hoch wie die eines ICE, sagt Kunze.

Sie reden viel bei Konux. Jeden Montag frühstücken alle gemeinsam. Einmal im Monat nehmen sie auf den hellen Holzbänken im Vorraum platz und reden darüber, was gut und was schlecht gelaufen ist. Einmal im Quartal gibt es - in alten Industrien würde man wohl sagen - einen Betriebsausflug. Im April waren sie beim Skifahren, im August geht es an den Bodensee. Kunze weiß genau, was er will. 2022 soll Konux 100 Millionen Euro umsetzen, profitabel arbeiten und an der Börse in New York notieren. Wunschtermin: 22.2.2022.

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