Digitalisierung:Nicht nur was für Nerds

Thomas Bachem ist 31 Jahre alt und erfolgreicher Gründer. Weil Start-ups und Internetkonzernen IT-Spezialisten fehlen, hat er in Berlin eine staatlich anerkannte Hochschule für Programmierer gegründet.

Von Sophie Burfeind, Berlin

Im Grunde, sagt Thomas Bachem, habe er die Hochschule gegründet, an der er selbst gern studiert hätte. Praxisbezogen, keine Noten, dafür Levels wie in Computerspielen. Eine Hochschule für Programmierer, digitale Designer, für technikaffine Unternehmer, die in Start-ups oder Internetkonzernen arbeiten wollen. Weil es so etwas nicht gab, studierte Bachem damals BWL. Dann gründete er mehrere Start-ups und einen Verband. Weil es die erträumte Ausbildungsmöglichkeit auch zwölf Jahre später immer noch nicht gab, gründet der Gründer nun eine Hochschule.

Von Oktober an wird sich Bachem, 31, also offiziell Hochschulkanzler der "Code University of Applied Science" in Berlin nennen. 75 Studenten, drei Studiengänge, sieben Professoren, gelehrt wird auf dem Gründer-Campus der Factory Berlin, die Bewerbungsverfahren laufen, in den kommenden Wochen soll die Hochschule staatlich anerkannt werden. Wie ein typischer Hochschulkanzler sieht Bachem mit seinem schwarzen Pullover und den schwarzen Chucks nicht aus, eher wie ein Student.

Gelehrt und gelernt wird auf einem Gründer-Campus in Berlin-Mitte

Am Rande einer Konferenz in Berlin erzählt Bachem, wieso er eine staatliche Hochschule gründen wollte und wieso sein Konzept so ist, wie es ist. Weil all das sehr eng mit seiner eigenen Geschichte zusammenhängt, bietet es sich an, mit seiner Kindheit in Köln anzufangen.

Digitalisierung: Bewerbung mal anders: Interessenten für die "Code University of Applied Science" beim Auswahlverfahren im April in Berlin.

Bewerbung mal anders: Interessenten für die "Code University of Applied Science" beim Auswahlverfahren im April in Berlin.

(Foto: Max Threlfall)

Thomas Bachem ist sieben, als er seinen ersten Computer bekommt. Mit zwölf fängt er an, zu programmieren, bessert sein Taschengeld auf, indem er für den Apotheker und den Bäcker um die Ecke Websites baut. Nach dem Abitur überlegt er, Informatik zu studieren, er programmiert ja so gerne, entscheidet sich aber dagegen: zu viel Mathe, zu viel Theorie. Und dann ist da noch dieses Klischee des Softwareentwicklers: "Der Nerd, der keine Freunde hat, in dunklen Gewölben sitzt und dem nur Algorithmen vor den Augen schweben."

Bachem studiert also lieber Betriebswirtschaftslehre, er findet: "Da macht man ja nichts falsch mit", und entscheidet sich für eine kleine private Businessschool in Köln. Vom ersten Tag an, sagt er, habe er sich aber gefragt, wieso es eigentlich so viele private Businessschools gibt, aber kaum private Tech-Schools.

2005, erstes Semester. Bachem ist 19, im selben Jahr gründet er sein erstes Start-up: Sevenload, eine Art deutsches Youtube. Zwei Jahre später hat seine Firma 100 Mitarbeiter, 2009 verkauft er sie. Er gründet ein Start-up für ein Online-Spiel, das er vier Jahre später an Burda verkauft. "Ich war immer viel auf Gründer-Konferenzen und habe festgestellt, dass alle ständig meckern, dass Politiker von Start-ups keine Ahnung haben." Nächstes Projekt: Noch im selben Jahr gründet er mit Florian Nöll den Bundesverband Deutsche Start-ups. Als eine Freundin ihn bittet, ihren Lebenslauf zu überarbeiten, programmiert er ein Online-Programm, um Lebensläufe zu erstellen, Ende 2014 verkauft er es an Xing.

Digitalisierung: Thomas Bachem, 31, in Köln geboren und aufgewachsen, gründete während seines Studiums die ersten Start-ups. Jetzt will er auch die Bildung verändern: mit einer staatlich anerkannten Hochschule für Programmierer in Berlin.

Thomas Bachem, 31, in Köln geboren und aufgewachsen, gründete während seines Studiums die ersten Start-ups. Jetzt will er auch die Bildung verändern: mit einer staatlich anerkannten Hochschule für Programmierer in Berlin.

(Foto: Manuel Dolderer)

Zehn Jahre später: Thomas Bachem ist Ende 20 und Millionär. Eine private Hochschule für Programmierer, so wie er sie gern hätte, gibt es immer noch nicht.

"Ich habe als Arbeitgeber oft gemerkt, dass ein Informatikabschluss im Lebenslauf der Bewerber wenig darüber aussagt, ob sie gute Softwareentwickler sind", sagt Bachem. Seine Erfahrung: die Guten seien meist die, die es sich selbst beigebracht hätten. Er beschließt, die guten Leute, die ihm und anderen Internetunternehmern fehlen, an einer Hochschule auszubilden - an einer Hochschule, so wie er sie sich damals gewünscht hätte. Mehr Praxis statt Theorie, mehr Internet statt Mathe. Es gebe zwei Bereiche in der IT-Welt, sagt Bachem, die EDV-Branche mit Firmen wie SAP und die Internetbranche mit Firmen wie Zalando oder Check 24. "Beide haben andere Anforderungen. Wir konzentrieren uns auf das Internet."

Bachem ist nicht der einzige mit dieser Idee. Im kommenden Jahr will auch Christopher Jahns, der ehemalige Präsident der European Business School, eine private Hochschule zum Thema Digitalisierung eröffnen. Der Bedarf ist da: Es gibt in Deutschland viel zu wenige IT-Spezialisten. Der Digitalverband Bitkom ging Ende 2016 von 51 000 unbesetzten Stellen aus, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Problem ist auch: Etwa die Hälfte der Informatikstudenten brechen das Studium schon im Grundstudium wieder ab - auch wegen der fehlenden Praxis.

Damit das Studium Spaß macht, soll Theorie immer anhand der Praxis vermittelt werden

"Im klassischen Bildungssystem kommt erst mal nur Theorie mit dem Versprechen, dass du sie irgendwann anwenden kannst", sagt Bachem. Bis es soweit sei, habe man sie aber wieder vergessen. An seiner Hochschule soll Theorie deswegen im Kontext von Praxis vermittelt werden, die Studenten sollen projektbezogen arbeiten, in Kooperation mit Unternehmen. Bachems Mitgründer, Manuel Dolderer, kennt sich mit Lehrkonzepten aus - er hat schon einmal eine private Hochschule im Medizinbereich aufgebaut.

Gipfelstürmer

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Besonders stolz ist Bachem darauf, dass sie ein Fach anbieten, das man so noch nicht studieren kann. Es heißt "Produktmanagement" und soll "Technologie und Business" verbinden. Die Idee: Leute ausbilden, die sich mit unternehmerischen und technologischen Aspekten auskennen, was beispielsweise ein CTO (Chief Technology Officer), ein technischer Leiter, können muss.

Ein Studium an der "Code University" ist nicht ganz billig, 27 000 Euro bis zum Bachelor-Abschluss - die Studenten können die Gebühren zurückzahlen, wenn sie anfangen zu arbeiten. Bisher gebe es 1200 Bewerber, sagt Bachem, genommen würden aber nicht nur Programmierer, sondern auch Künstler. "Wir wollen auch Kreative und nicht nur diese homogene Studiengruppe der jungen männlichen Nerds. Die ist gut, aber sie wird noch besser, wenn sie mit anderen angereichert wird."

Am Anfang hat Bachem die Hochschul-Gründung selbst bezahlt, mittlerweile hat er Geldgeber, die die Hochschule mit fünf Millionen Starthilfe fördern. Darunter Investoren wie Frank Thelen oder Trivago-Gründer Rolf Schrömgens.

Eine Hochschule in Deutschland zu gründen, ist, was niemanden überraschen dürfte, mit viel Bürokratie verbunden. Vor einem Jahr haben sie angefangen, Anträge zu stellen, 150 Seiten allein beim Wissenschaftsrat, sagt Bachem, der überprüft, ob die Hochschule trotz anderem Lehrkonzept akademischen Standards entspricht. Weil ihm die Mehrheit der Anteile der Hochschule gehört, wird Bachem der Hochschulkanzler, so etwas wie ein "Superhausmeister", sein Mitgründer Manuel Dolderer wird Hochschulpräsident.

Mit dem Gipfelstürmer-Wettbewerb zeichnet die der Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung am 19. November deutsche Gründer aus. Die Serie begleitet den Wettbewerb. Bewerbung noch bis zum 15. Oktober. Weitere Infos unter: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer.

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