Gaffer:Hohes Bußgeld für Gaffer längst überfällig

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Eine Rettungsgasse auf der Autobahn 2 in Hannover. (Foto: dpa)

Autofahrer stehen der Feuerwehr im Weg, weil sie lieber glotzen, wie ein Bus brennt; sie bilden eine Rettungsgasse so zögerlich, dass die Löschfahrzeuge Zeit verlieren - das gehört bestraft.

Kommentar von Joachim Käppner

Autofahrer stehen der Feuerwehr im Weg, weil sie lieber glotzen, wie ein Bus brennt; sie bilden eine Rettungsgasse so zögerlich, dass die Löschfahrzeuge auf dem Weg zum Unfallort Zeit verlieren, die manchmal über Leben und Tod entscheidet; etliche filmen das Geschehen mit ihren Smartphones und posten es herum. Solches Verhalten, wie wieder zu beobachten beim Busunglück mit 18 Toten in Bayern, soll nun zu Recht viel härter bestraft werden: mit bis zu 320 Euro Bußgeld, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten in der Flensburger Verkehrssünderdatei.

Manche haben schon kulturkritisch angemerkt, die Rolle des starrenden Beobachters bei Unfällen und vor Tatorten sei ein Phänomen des Netzzeitalters. Daran mag eines wahr sein: Manche Menschen, die sich angewöhnt haben, die Welt fast nur noch durch den Bildschirm zu betrachten, verhalten sich auch bei realen Tragödien so, als gehe sie das direkt gar nichts an; als sei das Drama vor ihren Augen nur ein weiterer Stoff, den es zu teilen, liken und kommentieren gelte.

Dieses digitale Zombietum ist andererseits nur eine zeitgemäße Spielart von Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Voyeurismus, die bei Unglücken schon immer ihr hässliches Gesicht zeigten. Der römische Dichter Lukrez bereits tadelte Gaffer, die bei Sturm von der sicheren Küste aus Schiffen in Seenot zusahen, "aus Wonnegefühl, selber vom Leiden befreit zu sein". Aus denselben Gründen war im Paris der frühen Neuzeit die öffentliche Hinrichtung ein Event, für den nicht wenige Zuschauer bessere Garderobe anlegten.

Ausreden von Autofahrern, die sich für Vin Diesel halten

Nun wird eine Änderung der Bußgeldordnung die condition humaine schwerlich von Grund auf bessern. Sie wird jene, die "sehenden Auges blind sind", wie es schon im 12. Jahrhundert hieß, nicht mit offenen Augen durch die Welt gehen lassen. Man mag auch bemängeln, dass Politiker wieder einmal als Erstes nach schärferen Gesetzen rufen. Aber in diesem Fall ist das überfällig. Das Recht kennt die Generalprävention, die allgemein abschreckende Wirkung einer Strafe - vor allem, wenn sie Leuten überhaupt erst verdeutlicht, dass ihr Verhalten illegal ist.

Und so mancher, der sein Auto als Waffe sonst mangelnder Selbstverwirklichung eingesetzt hat, lernte nachher in der psychologischen Zwangsschulung die Kunst, am Straßenverkehr teilzunehmen, ohne sich für Vin Diesel aus "The Fast and the Furious" zu halten. Man weiß zudem, dass Schaulustige, zur Rede gestellt, meist alle möglichen Ausreden vorbringen - also wissen, wie asozial sie sich benehmen. Ein hohes Bußgeld kann den Prozess der Erkenntnis nur beschleunigen.

Schließlich sind auch manche Medien nicht unschuldig daran, dass Leute so pietät- und respektlos das Leid anderer verfolgen, als betrachteten sie Reality TV. Wenn sich Kamerateams nach Flugzeugabstürzen am Airport um Bilder weinender Angehörigen prügeln oder Redaktionen ihre "Leserreporter" um spektakuläre Videos bitten, muss sich niemand wundern, wenn Autofahrer keine Rettungsgasse bilden. Sie hätten dann ja schlechtere Sicht.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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