Illegale Straßenrennen:"Ein Auto ist fünf Mal gefährlicher als eine Schusswaffe"

Alkersleben 12 02 2017 Verkehrsunfall mit 2 PKW BMW und Peugeot auf der Strecke Elxleben IK

Geschwindigkeit im Autoverkehr ist der Killer Nummer eins

(Foto: imago/Bild13)

Als Physiker untersucht André Bresges die Gefahren im Verkehr. Er befürwortet härtere Strafen für Raser, das autonom fahrende Auto - und erklärt, warum sich der Mensch am Steuer oft deutlich überschätzt.

Interview von Thomas Hummel

Die Debatte, wie mit Teilnehmern an illegalen Autorennen auf öffentlichen Straßen umzugehen ist, bewegt Politik und Gerichte. Der Bundestag hat kürzlich das Strafmaß erhöht. Vor allem nach tödlichen Unfällen wartet eine erregte Öffentlichkeit auf die Urteile der Richter. Der Bundesgerichtshof hat am Donnerstag entschieden, eine Bewährungsstrafe für zwei Raser, bei deren Rennen in Köln eine Radfahrerin starb, sei zu milde.

André Breges, 46, von der Uni Köln beschäftigt sich seit Jahren mit dem Raser-Phänomen auf deutschen Straßen. Der Professor für Physikdidaktik spricht über den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Unfallgefahr und was das Rasen im Gehirn von Autofahrern auslöst.

SZ: Herr Bresges: Sie halten das schnelle Autofahren für eine unterschätzte Gefahr. Warum?

André Bresges: Wir haben gesicherte Daten darüber, dass Geschwindigkeit im Autoverkehr der Killer Nummer eins ist. Die häufigste Unfallursache ist Linksabbiegen, aber dabei kommen nicht so viele Menschen ums Leben, weil das meist mit geringer Geschwindigkeit geschieht. Unfälle wegen hohen Tempos passieren nicht ganz so häufig, aber da sterben dann Menschen. Die kinetische Energie, die durch die Geschwindigkeit entsteht, tötet.

Gibt es da eine physikalische Formel?

Wenn ich doppelt so schnell fahre wie erlaubt, dann speichere ich vier Mal mehr Energie mit dem Auto. Das heißt, mein Wagen ist dann vier Mal tödlicher als würde ich mit zulässiger Geschwindigkeit fahren.

Der Bundesgerichtshof hat nun ein Urteil eines Landgerichts aufgehoben gegen zwei Raser und bittet um Verschärfung. Der Bundestag hat einen neuen Straftatbestand eingeführt, um Teilnehmer an illegalen Autorennen härter betrafen zu können. Hat das eine abschreckende Wirkung?

Das kommt darauf an. Wir wissen aus der Psychologie, dass ein schärferes Strafmaß nur wirkt, wenn es allgemein bekannt ist und immer durchgesetzt wird.

Wie reagiert die Raser-Szene auf schärfere Gesetze und Strafandrohungen?

Die Grenze zur Straftat ist beim Autofahren nicht so richtig sichtbar. Ist jemand an einem tödlichen Unfall schuld, wird das anders wahrgenommen, als wenn er mit einer Schusswaffe mordet. Ich sage: Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Die Statistik besagt eindeutig: Ein Auto ist fünf Mal gefährlicher als eine Schusswaffe. Von daher muss die Frage erlaubt sein: Warum werde ich hart bestraft, wenn ich mit einer Schusswaffe einen Laden betrete? Aber wenn ich mein Auto als Waffe benutze, weil ich es zum Beispiel deutlicher schneller als erlaubt in der Innenstadt bewege, wird das nur mit Punkten im Verkehrszentralregister und Bußgeld bestraft. Das sehe ich nicht ein.

Kürzlich wurden zwei Raser in Berlin vom Landgericht wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt, weil ein anderer Verkehrsteilnehmer bei ihrem Rennen starb.

Ich befürworte die damit verbundene Gleichstellung mit dem Schusswaffengebrauch. Das halte ich für gerecht. Auch wenn ich es im Einzelfall tragisch und traurig finde, dass zwei Menschen ins Gefängnis müssen.

Nun ist langsam fahren bei vielen Autofahrern generell nicht gerade in Mode.

Das erklärt uns, warum die Anzahl der Unfälle zunimmt. In den vergangenen Jahren wurde durch Verbesserungen zwar viel kaschiert. Die Karosserien werden immer besser, es gibt technische Hilfen im Auto wie den Airbag, die medizinischen Helfer sind schneller am Unfallort. Aber wenn die Autos immer schneller werden, ist immer weniger zu retten - und diesen Effekt sehen wir in den Unfallstatistiken. Weil die Menschen Zugang zu immer schnelleren Fahrzeugen haben, passieren immer mehr Unfälle.

Im Jahr 2016 wurden laut Statistischem Bundesamt so wenige Menschen bei Verkehrsunfällen getötet wie nie zuvor.

Aber wir haben seit etwa 2012 deutliche Schwierigkeiten, die Abwärtstendenz zu halten. Das ist ein Kampf an der Grenzlinie. Es wird deutlich, dass die technischen Mittel fast ausgereizt sind. Der Faktor Mensch sorgt dafür, dass die Zahlen nicht deutlicher nach unten gehen.

Warum sich der Mensch am Steuer überschätzt

Würden Sie als Verkehrsminister schärfere Tempolimits einführen?

Nein. Ich würde mich an der Luftfahrt-Industrie orientieren. Ich würde das autonome Fahren massiv fördern, auch die Gesetzgebung anpassen.

Ist die Technik denn schon so weit?

Wir beobachten, dass sie langsam serienreif wird. Aber die Gesetzgebung muss Schritt halten. Autos erkennen heute schon Fußgänger, sie können ihnen auch ausweichen. Das dürfen sie aber nicht. Ein Ausweichmanöver muss vom Fahrer initiiert werden. Denn sollte beim automatischen Ausweichen ein Unfall passieren, würde der Hersteller haften, und die scheuen mit Recht dieses Risiko. Da muss ein gesellschaftliches Diskurs her: Was sollen automatisierte Autos können dürfen? Sehen Sie den Luftverkehr an: Die Piloten fliegen im sogenannten Managed Mode, sie suchen die Route aus, umfliegen Gewitter, kommunizieren nach Außen und achten auf den Spritverbrauch. Den Rest machen die Maschinen weitgehend autonom und entlasten damit die Piloten. Deshalb gehen da die Unfallraten massiv nach unten.

Autofahren hat auch mit Psychologie zu tun. Für viele steht es für Freiheit und Selbstbestimmung. Am Steuer ist der Mensch gerne autonom. Überschätzt er sich da?

Ich habe mit der Uniklinik Essen 2009 eine neurobiologische Forschung durchgeführt. Wir haben Menschen vor einen Fahrsimulator gesetzt und mittels funktionaler Magnet-Resonanz-Tomografie die Sauerstoffversorgung im Gehirn angeschaut. Da konnte man sehr schön sehen, wie die Selbstüberschätzung funktioniert. Zuerst ist alles aufregend, die Leute fahren bewusst, sie haben ein Gefühl für die räumliche Bewegung. Der entsprechende Teil des Gehirns ist stark aktiviert. Dann setzt der Prozess der Routine ein. Nach 20 Minuten wird die räumliche Wahrnehmung regelrecht abgeschaltet, diese Gehirnfunktion braucht nämlich sehr viel Sauerstoff und Energie. Das Gefühl, man fährt mit eineinhalb Tonnen Blech und 220 km/h, kommt nicht mehr beim Fahrer an. Das Gefühl für die Gefahr geht relativ schnell verloren. Es fühlt sich eher wie ein Computerspiel an, wie ein Kinofilm. Das sagt mir, dass der Mensch bei den Routinetätigkeiten im Auto entlastet werden muss. Dafür ist er nicht geschaffen.

Teilnehmer an illegalen Autorennen auf öffentlichen Straßen sind ein extremer Fall.

Psychologisch gesehen spricht man hier von "sensation seeker" - ausprobieren, was geht. Das ist für Menschen im Alltag in allen möglichen Lebenslagen normal, gerade auch für Kinder. Man schaut, wie weit man gehen kann. Beim Autoverkehr schlägt uns das aber ins Gesicht. Gerade junge Verkehrsteilnehmer haben am Anfang noch ein wenig Angst, merken aber nach einer Weile: Ach, geht doch! Ich kann mal 20 km/h zu schnell fahren und es passiert nichts. Und so weiter. Bei einem kleinen Anteil der Fahrer wird das zu einer Sucht. Gerade, wenn die Menschen die Grenzerfahrungen im Beruf, in der Liebe, im Sport oder anderswo nicht finden. Dann suchen sie ihre Grenzen zum Beispiel im Autoverkehr.

Sie haben in Nordrhein-Westfalen die Kampagne Crash Kurs NRW mit initiiert. Ihre Zielgruppe sind Jugendliche, die demnächst den Führerschein machen.

Wir haben inzwischen 250 000 Jugendliche damit erreicht. Polizisten, Feuerwehrleute, Ersthelfer an Unfallorten, aber auch Unfallopfer berichten in der Schule über ihre Erfahrungen. Das Ziel ist, die Jugendlichen für die Gefahr zu sensibilisieren. Der Freundeskreis soll mithelfen, angesichts der tödlichen Gefahr soll das Rasen uncool werden. Unser Vorbild war eine Initiative in England, woraufhin sich dort die Unfallzahlen in der jungen Altersgruppe halbiert haben. Dort kam auch der Gerichtsmediziner mit in die Schule, aber das war uns ein bisschen zu viel englischer Humor.

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