Flüchtlinge:Libyen zum Bollwerk gegen Flüchtlinge zu machen, ist moralisch falsch

Flüchtlinge: Von der libyschen Küstenwache gerettete afrikanische Migranten, deren Schlauchboot noch an der libyschen Küste sank, laufen in Richtung eines Lagers rund 60 Kilometer östlich von Tripolis entfernt.

Von der libyschen Küstenwache gerettete afrikanische Migranten, deren Schlauchboot noch an der libyschen Küste sank, laufen in Richtung eines Lagers rund 60 Kilometer östlich von Tripolis entfernt.

(Foto: AFP)

Außerdem ist der Plan zum Scheitern verurteilt. Doch es gibt machbare Alternativen.

Kommentar von Thomas Kirchner

Es ist erstaunlich, wie das Flüchtlingselend aus den Schlagzeilen und dem allgemeinen Interesse verschwindet, sobald man, wie etwa Deutschland, selbst nicht mehr so unmittelbar betroffen ist. Aus italienischer Perspektive sieht das ganz anders aus. Die Lager sind übervoll, und vor der Küste des Landes sind seit Anfang des Jahres mehr als 2000 Menschen ertrunken. Wenn sich nichts ändert, wird das Mittelmeer 2017 mehr Migranten verschluckt haben als je zuvor.

Und ändern wird sich vorerst nichts, das zeigte das Innenministertreffen in Tallinn vergangene Woche. Die versprochene Hilfe für Italien, etwa in Form des Verhaltenskodex für die privaten Rettungsorganisationen, ist mehr symbolischer Art. Ansonsten klangen die Appelle an Solidarität und Aufnahmebereitschaft der EU-Partner hohl wie immer.

Neue Ideen? Die gibt es nicht, und es zeigt die Verzweiflung in Europas Hauptstädten, dass die Minister ihre ganze Hoffnung inzwischen auf die Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Transitländern setzen. Vor allem Libyen soll mit aller Macht zum Bollwerk gegen den Flüchtlingsstrom aus den Gebieten südlich der Sahara ausgebaut werden. Geplant ist, Migranten schon an der Südgrenze Libyens zu stoppen oder spätestens in den Küstengewässern, wo nationale Grenzwächter sie abfangen und an Land zurückschicken sollen.

Als der Gedanke Anfang des Jahres aufgekommen war, staunten Außenpolitiker und Migrationsexperten. Libyen, war das nicht dieser kaputte Staat ohne funktionsfähige Regierung, in dem Milizen, Schmuggler und andere Kriminelle einander blutig bekriegen? Und warnten nicht Diplomaten und internationale Organisationen eindringlich vor den grauenhaften Lagern, in denen Migranten missbraucht und versklavt werden?

Leider hat sich die Lage kaum verbessert. Vor einigen Tagen berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk, es habe höchstens zur Hälfte der Lager Zugang, und auch dies nur unvollständig. Hartnäckig hält sich auch der Verdacht, die Grenzwachen seien hochkorrupt und arbeiteten ungeniert mit den Schmugglern zusammen. Dennoch preschen die Innenminister voran: Noch mehr Geld soll fließen, mehr Küstenwächter sollen schneller ausgebildet und die südlichen Grenzstationen aufgerüstet werden.

Italien muss mit EU-Hilfe über Asylanträge entscheiden können

Selbst höchste Entscheidungsträger räumen ein, dass es "nicht ganz konsistent" sei, was die EU in Libyen vorhabe. "Noch nicht", schieben sie hinterher, als könnte der Plan in einigen Monaten vielleicht aufgehen. Man müsse es wenigstens versuchen. Die EU sollte sich von dieser Illusion verabschieden, aus praktischen wie aus moralischen Gründen. Libyen ist kein Land wie die Türkei, mit der sich, trotz allem, verlässliche Absprachen treffen ließen. Die mutmaßliche libysche Lösung ist eine Sackgasse, in welche die EU gerade mit hohem Tempo hineinfährt.

Sinnvoller wäre es, direkt mit den Herkunftsstaaten weiter südlich zu kooperieren, wie es Gerald Knaus vorschlägt, der mit seinem Thinktank "Europäische Stabilitätsinitiative" schon das Türkei-Abkommen entworfen hat. Er empfiehlt, Italien mit EU-Hilfe in die Lage zu versetzen, effizienter über Asylbegehren zu entscheiden und Nichtschutzberechtigte so schnell wie möglich abzuschieben.

Dazu wären Absprachen mit Ländern wie Nigeria nötig. Sie haben bisher kein Interesse an einer Rücknahme von Migranten. Deshalb müsste die EU ihnen im Gegenzug anbieten, feste jährliche Kontingente aus jedem Land zu übernehmen. Diese müssten dann wiederum fair auf alle Staaten der Europäischen Union verteilt werden.

Langfristig könnte dies die einzige Lösung sein, die noch etwas übrig ließe von einem Grundrecht, auf das die Europäer sehr stolz sind: dem Recht auf Asyl.

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