Krawalle beim G-20-Gipfel:Zurücktreten wäre ehrenhafter, als mit dem Finger auf andere zu zeigen

Wenn Gruppen schwarz Maskierter ungehindert durch die Straßen ziehen, wahllos Autos abfackeln und Läden plündern, hat die Polizei schwerlich "alles richtig gemacht", wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz behauptet.

Kommentar von Joachim Käppner

Den Gewalttätern von Hamburg ist außer der Verwüstung des Schanzenviertels etwas Weiteres gelungen: Niemand spricht mehr davon, was der inhaltliche Protest gegen den G-20-Gipfel eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Es waren ja nicht ganz unwichtige Punkte dabei: der zögerliche Kampf der Industriestaaten gegen den Klimawandel, Elend in der Dritten Welt, ungerechte Strukturen der Weltwirtschaft. Als am Samstag Zehntausende friedlich gegen all das demonstrierten, nahm die Öffentlichkeit höchstens Notiz davon, dass niemand Brandsätze warf.

Den unmittelbaren Schaden haben die Stadt Hamburg, viele Hundert Verletzte, - und das Rechtsgefühl der Bürger. Wenn Gruppen schwarz Maskierter ungehindert durch die Straßen ziehen, wahllos Autos abfackeln und Läden plündern, hat die Polizei schwerlich "alles richtig gemacht", wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz behauptet.

Unvermeidlich schlägt nun, nach dem Drama, die Stunde der Besserwisser. Der Betonfraktion der inneren Sicherheit war die Polizei zu weich: Sie müsse nun alle linken Szenetreffs wie die "Rote Flora" auflösen, Gummigeschosse gegen Demonstranten einsetzen und so fort. Umgekehrt: Wenn Polizisten mit Stahlkugeln beschossen und mit Molotowcocktails beworfen werden, wobei die Täter Tote offenbar in Kauf nehmen, hindert selbst das etliche linke Politiker nicht, fixiert auf ihr Feindbild und begierig auf den Beifall der eigenen Reihen, alle Schuld nur beim Staat zu suchen.

Nur wenige brachten das Format auf, sich wie der "Rote Flora"-Sprecher öffentlich von den Politkriminellen zu distanzieren. Ein altlinker Hamburger Anwalt dagegen erklärte, er verstehe die Randalierer nicht: Wieso verwüsten die ihren eigenen Kiez und nicht die (wohlhabenden) Stadtteile Blankenese und Pöseldorf? Das war nicht nur der dümmste Satz des Gewaltwochenendes, sondern auch ein bezeichnender: So weit von Toleranz und Menschenwürde können sich Leute entfernen, die sich im Besitz eines höheren gesellschaftlichen Bewusstseins wähnen.

In Wahrheit verbieten sich einfache Schuldzuweisungen. Die Polizei stand vor einer hochkomplexen Aufgabe. Sie musste gleichzeitig eine riesige Sperrzone sowie den Gipfel und seine Tausende Teilnehmer abschirmen, die öffentliche Sicherheit gewährleisten und zahlreiche Demos bewachen. Die Sicherung der Staatsgäste ist ihr gelungen, am Rest ist sie trotz 21 000 Beamten gescheitert. Die Polizei hat die Gewaltbereitschaft der Linksradikalen unterschätzt und wirkte überfordert. Anfangs galt die "Hamburger Linie", beim kleinsten Anlass durchzugreifen. Schon am Donnerstag eskalierte die Sache beim gescheiterten Versuch, diese Linie mit Gewalt gegen den maskierten "schwarzen Block" durchzusetzen, danach verlor die Polizei die Kontrolle. Ob die Taktik der viel geschmähten Deeskalation anfangs nicht besser gewesen wäre, bleibt offen. In Berlin hat eine solche in Kombination mit gezielten Zugriffen die rituelle Randale zum 1. Mai entschärft. Das ist, zugegeben, freilich nur möglich, wenn auf der Gegenseite ein Minimum an Vernunft und Dialogbereitschaft besteht.

Auch andere sollten aus ihren Fehlern lernen. Für das im weiteren Sinne linke Milieu, das bis in bürgerliche Schichten reicht, ist die Gewalt Linksradikaler endgültig ein Thema geworden, an dem die eigene Glaubwürdigkeit hängt. Man kann nicht für eine bessere Welt eintreten und gleichzeitig endlos dehnbares Verständnis ("Ich bin auch gegen Gewalt, aber ...") oder gar klammheimliche Sympathie für Straftäter aufbringen, die nicht zuletzt linken Anliegen massiv schaden.

Scholz hat ohne Not die volltönendsten Versprechen gemacht

Bürgermeister Scholz hat den Gipfel nach Hamburg geholt, die Hochburg der linksradikalen Szene, und ohne Not die volltönendsten Versprechen gemacht ("Seien Sie unbesorgt"), man werde alles im Griff behalten. Man kann natürlich argumentieren, dass die Wahl eines Gipfelortes nicht vom Wohlwollen überreizter Autonomer abhängig sein darf, dass solche Treffen nicht abgeschottet von den Bürgern und deren Protest stattfinden sollten wie auf dem Bergschloss Elmau 2015. Aber dann muss man die Risiken sorgfältig abwägen. Demonstrationen bei Gipfeln eskalierten schon in Seattle 1999, Genua 2001 und Straßburg 2009.

In Hamburg sollen nun laut Stadtspitze plötzlich andere schuld sein daran, dass die Gewalt eskalierte - etwa die Gerichte, die Übernachtungscamps für Demonstranten zugelassen hatten. Beweise, dass diese Urteile ursächlich zur Krawallnacht führten, bleiben Scholz und sein Innensenator freilich schuldig. Aber Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht und kein Gnadenerweis einer Stadtregierung. Wenn deren Auflagen vor Gericht nicht bestehen, hat sie das selbst verursacht. Scholz sollte die Konsequenzen ziehen. Zurückzutreten wäre ehrenhafter, als mit dem Finger auf andere zu zeigen.

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