Biologie:Nachts im Gewächshaus

In Bremen bauen Ingenieure Gemüse ohne natürliches Licht und ohne Außenluft an. Die Anlage soll Polarforscher im antarktischen Winter versorgen - und künftig Astronauten auf dem Mars.

Von Helmut Stapel

Paul Zabels Favorit ist die Gurke. Dabei hätte der Luft- und Raumfahrtingenieur durchaus Alternativen. In dem neuen Gewächshaus, das er künftig betreuen soll, wachsen auch Tomaten, Rucola, Erdbeeren, Salat, Petersilie, Mangold und Basilikum. Aber er kommt nun einmal aus dem Spreewald: "Ohne Gurke geht da nichts", sagt Zabel und lacht.

Er wird bald viel Gelegenheit haben, sich fern aller Ablenkung intensiv um sein Lieblingsgemüse zu kümmern. Am Ende des Jahres zieht der 30-Jährige, der normalerweise am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) arbeitet, in die deutsche Forschungsstation Neumayer 3 in der Antarktis um. Dann wird im ewigen Eis das Gewächshaus "Eden ISS" installiert, um das Zabel sich ein Jahr lang kümmern soll, über einen ganzen einsamen Südpol-Winter und die Polarnacht hinweg. Auch bei minus 50 Grad Celsius Außentemperatur und ohne Tageslicht soll dort Obst und Gemüse wachsen. Das dient der Vorbereitung künftiger Weltraummissionen.

Noch stehen die beiden ausgebauten weißen Standardcontainer auf dem Gelände des DLR in Bremen. Die mannshohen Metallboxen werden im Dezember ohne Pflanzen mit dem Schiff in die Antarktis gebracht. "Das ist wirklich ein einzigartiges Projekt", sagt Paul Zabel, und zieht sich am Eingang zum Containergewächshaus routiniert Einwegplastikhüllen über die Schuhe. Das sei Standard, erklärt er, "damit wir keine unnötige Verschmutzung in das Gewächshaus einbringen".

Eden ISS ist zwar nicht das erste Gewächshaus für die Antarktis, wohl aber das erste, das mit einem geschlossenen Luft-und Nährstoffkreislauf arbeitet. Das Ziel des 4,5-Millionen-Euro-Projektes ist es, Nutzpflanzen unabhängig von der Umwelt anzubauen, damit Astronauten sich auf anderen Planeten selbst mit frischen Lebensmitteln versorgen können. "Wir gehen jetzt durch die Schleuse in den Servicebereich", sagt Paul Zabel; von hier aus werden die Heizung, die Klimaanlage sowie die Nährstoff- und Wasserversorgung betrieben. "Danach kommt im zweiten Container das eigentliche Gewächshaus." Er zieht eine massive Metalltür auf, und tritt in einen violett ausgeleuchteten Raum.

Biologie: Im Eden-Gewächshaus gedeiht alles Mögliche: Tomaten, Rucola, Erdbeeren. Aber Paul Zabel, der bald in der Antarktis gärtnern soll, mag die Gurken am liebsten. Sie wachsen hier rasant, in violettem Licht und ohne Erde. Das könnte auch auf dem Mars funktionieren.

Im Eden-Gewächshaus gedeiht alles Mögliche: Tomaten, Rucola, Erdbeeren. Aber Paul Zabel, der bald in der Antarktis gärtnern soll, mag die Gurken am liebsten. Sie wachsen hier rasant, in violettem Licht und ohne Erde. Das könnte auch auf dem Mars funktionieren.

(Foto: Helmut Stapel / stoppress)

Das Licht kommt aus wassergekühlten LED-Lampen, die eigens für das Projekt entwickelt wurden. Das Farbspektrum mag auf Menschen bizarr wirken, aber für das Wachstum der Pflanzen soll es optimal sein. Mit der Mischung aus blauem, rotem und weißem Licht werden die Pflanzen 16 Stunden täglich bestrahlt, acht Stunden lang ist Nachtruhe.

Die Tür öffnet sich ein weiteres Mal, DLR-Projektleiter Daniel Schubert kommt herein. Unter seiner Führung wurde das Gewächshaus entwickelt, mit allen Besonderheiten. Dazu gehört auch die Nährstoffversorgung der Antarktis-Pflanzen: Auf Erde müssen sie verzichten. Im Gewächshaus stehen sie aufgereiht in handhohen grauen Plastikkästen. Jede hat ihr eigenes Loch zum Sprießen. Daniel Schubert hebt einen der Deckel etwas an: Die Wurzeln hängen frei in der Luft.

"Aeroponik" nennt sich das. Damit erklärt sich auch das leise Zischen, das stets im Gewächshaus zu hören ist: Eine Pumpe besprüht reihum jede Pflanze alle zehn Minuten mit einem speziellen Gemisch aus Wasser und Nährstoffen. Wenn die Pumpe einsetzt, umhüllt feiner Nebel den satten weißen Wurzelballen unterhalb des Deckels und quillt aus dem geöffneten Spalt empor. "Das machen wir lieber mal wieder zu", sagt Schubert und drückt die Abdeckung sorgfältig fest.

Ohne die Erde verringert sich automatisch die Zahl der Keime im Gewächshaus. Die Luft wird über Filter gereinigt und mit UV-Strahlen sterilisiert. Das ist zwar wenig idyllisch, aber trotzdem fast bio: Auf Insektizide und Pestizide können die Forscher verzichten, per CO₂-Anreicherung der Luft wird zusätzlich gedüngt. Weil das die Fotosynthese fördert, wachsen die Pflanzen bis zu 30 Prozent schneller.

Im Grunde geht es den DLR-Forschern um Pflanzenzucht im All, Gärtnern auf einem fremden Planeten. Aber die Antarktis kommt der Sache schon recht nahe. In der deutschen Neumayer-Forschungsstation überwintern jedes Jahr neun Menschen; vier Wissenschaftler, drei Ingenieure, ein Arzt, ein Koch. Im Winter sind sie bis zu neun Monate lang komplett von der Welt abgeschnitten - teilweise in kompletter Dunkelheit und in extremer Kälte. "Authentischer kann man den Aufenthalt auf einem fremden Planeten nicht simulieren", sagt Daniel Schubert. Das Gewächshaus ist der Test für eine außerirdische Selbstversorgung mit frischen Lebensmitteln. "Unser Ziel ist der Mars."

Das Wichtigste über Pflanzen hat der angehende Südpol-Gärtner in Schnellkursen gelernt

Vorerst dürfte das Gewächshaus den Speiseplan der Antarktis-Überwinterer deutlich bereichern. Das Projekt soll auch zeigen, wie sich frisches Obst und Gemüse auf die Psyche auswirkt. Betrieben wird die deutsche Station vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Der dortige Koordinator des Gewächshausprojektes, Eberhard Kohlberg, hat selbst bereits zweimal in der Antarktis überwintert: "Ich kann Ihnen sagen, da träumen Sie irgendwann von einem griechischen Salat", sagt er. "Die Farbe Grün ist dort nicht existent." Im antarktischen Winter von Februar bis November leben die Überwinterer nur von Vorräten, von Mai bis Juli ist es komplett dunkel.

Antarktis-Gewächshaus EDEN-ISS

Die "Aeroponik"-Methode: Die Wurzeln hängen frei in der Luft und werden mit Nährstoffen besprüht.

(Foto: Ingo Wagner/dpa)

Das Gewächshaus wird in 400 Meter Entfernung zur Neumayer-Station auf einem Gerüst aufstellt. Auf dieser Konstruktion kann der Doppelcontainer bei Bedarf angehoben werden, damit er nicht im Neuschnee versinkt. Wenn Paul Zabel im Dezember in der Antarktis ankommt, wird er zusammen mit einem Team des DLR die Anlage in Betrieb nehmen. Dazu gehört auch, neue Pflanzen zu ziehen, die dann dank Aeroponik gedeihen können und Früchte tragen. Das Saatgut für das Gewächshaus wurde von einem holländischen Unternehmen ausgewählt; die Pflanzen sollen unter anderem möglichst hohe Erträge und zugleich gute, bissfeste Früchte liefern. Neue Setzlinge keimen zunächst in einem Nährboden aus Steinwolle und werden dann in die Aeroponik-Kästen eingesetzt. Das Wichtigste über das Gärtnern hat Zabel in Schnellkursen in den Niederlanden gelernt; das muss fürs Erste reichen.

Eine derart realistische Simulation extraterrestrischer Pflanzenzucht gab es bislang nicht. Aktuell ist auf der Internationalen Raumstation ISS lediglich ein System namens "Veggie" in Betrieb, mit dem untersucht wird, wie Pflanzen bei unterschiedlicher Schwerkraft wachsen. Der Plan ist, künftig auch an Bord von Raumschiffen frisches Obst und Gemüse zu züchten. Dafür gibt es innerhalb der großen Eden-ISS-Anlage ein gesondertes Mini-Modul. Wenn der Testlauf in der Antarktis gelingt, soll das weltraumtaugliche Gewächshaus an Bord der ISS eingesetzt werden.

Gut ein Jahr lang soll der Forscher in der Antarktis bleiben, im Dezember 2018 läuft das Projekt aus. Insgesamt sind 14 Partner aus acht Nationen beteiligt. Was danach mit der Testanlage passiert, ist derzeit noch offen. AWI-Koordinator Eberhard Kohlberg hätte da schon eine Idee: "Wir gucken dort weiterhin nach dem Rechten, und behalten dafür das Gemüse."

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