Urteil in Straßburg:Vollverschleierung ist kein Menschenrecht

Vollverschleierte Frauen

Frauen im Nikab in Offenbach am Main: Die meisten deutschen Verfassungsrechtler lehnen ein Vollverschleierungsverbot wie in Belgien ab.

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Das Verbot, an öffentlichen Plätzen in Belgien einen Vollschleier zu tragen, verstößt nicht gegen die Menschenrechte.
  • Das urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Dienstag.
  • Es ist nicht das erste Verbot, das der EGMR bestätigt: 2014 lehnte er auch eine Klage gegen ein Gesetz in Frankreich ab.

Von Matthias Drobinski

Das Verbot, an öffentlichen Plätzen in Belgien einen Vollschleier zu tragen, verstößt nicht gegen die Menschenrechte. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in zwei am Dienstag veröffentlichten Urteilen entschieden.

Eine solche Restriktion könne die "Bedingungen des Zusammenlebens" garantieren, die "Rechte und die Freiheit anderer" schützen und "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein", begründen die Richter ihre Entscheidungen. Im Übrigen könnten staatliche Behörden die Situation vor Ort besser bewerten als ein internationales Gericht; die Entscheidung, ob eine Vollverschleierung akzeptiert werde oder nicht, sei eine Entscheidung der Gesellschaft.

Insgesamt drei Frauen hatten gegen das Vollverschleierungsverbot geklagt. Eine muslimische Belgierin wandte sich gegen das Verbot dreier Kommunen aus dem Jahr 2008; es verletze ihre Rechte auf Religionsfreiheit, Achtung des Privatlebens und Freiheit von Diskriminierung. In einem zweiten Fall waren eine Belgierin und eine Marokkanerin gegen das nationale Verschleierungsverbot aus dem Jahr 2011 vorgegangen.

Die eine Frau führte an, sie habe gegen ihre religiöse Überzeugung auf die Vollverschleierung verzichtet, um einer Geld- oder gar Gefängnisstrafe zu entgehen; die andere sah sich in ihrer Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit gehindert, weil sie nun überwiegend zu Hause bleiben müsse. All diesen Argumenten folgte der Gerichtshof für Menschenrechte nicht. Er verwies auf ein Urteil aus dem Jahr 2014, bei dem er bereits ein Vollverschleierungsverbot in Frankreich akzeptiert hatte.

Damit entsprechen die beiden Urteile der Linie, die sich in der Rechtsprechung des EGMR zunehmend herausbildet: Die Straßburger Richter überlassen es weitgehend den einzelnen Staaten, ob und wo sie Frauen in Burka, Niqab oder auch mit weniger verhüllenden Kopftüchern akzeptieren und wo nicht. Entsprechend halten sie auch ein Verbot nicht für einen Verstoß gegen die Menschenrechte - wie sie insgesamt das Recht des Staates, die Verwendung religiöser Symbole zu reglementieren, tendenziell höher bewerten als das Recht des einzelnen Bürgers auf freie Religionsausübung. So hatte der EGMR im Januar entschieden, dass es erlaubt sei, muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht zu verpflichten - das Recht auf soziale Integration stehe höher als das Recht auf freie Religionsausübung.

Ein allgemeines Burka-Verbot wäre in Deutschland grundgesetzwidrig

In Deutschland ist seit Ende April die Vollverschleierung bei Beamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen im Dienst verboten; auch wer einen Personalausweis beantragt oder seine Identität zum Beispiel bei Wahlen nachweisen muss, darf sein Gesicht nicht verhüllen. Ein allgemeines Burka-Verbot wäre jedoch nach Ansicht der meisten Verfassungsrechtler grundgesetzwidrig; das Bundesverfassungsgericht bewertet die Religionsfreiheit oft höher als der EGMR.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich gegen ein Burka-Verbot ausgesprochen. Unklar ist, wie viele Frauen ein solches Verbot trifft. In Deutschland ist bislang kein Fall bekannt, wo eine vollverschleierte Frau einen Ausweis beantragte oder in den Staatsdienst wollte. Als 2011 das belgische Burka-Verbot in Kraft trat, hieß es, es betreffe landesweit 270 Frauen.

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