"Paris kann warten":Reise ins Ich

Das Debüt von Eleanor Coppola zeugt von sehr gutem Auge und behält Leichtigkeit, auch wenn ernste Themen angeschnitten werden.

Von Rainer Gansera

Sie hat ein besonderes Auge fürs Detail. Wenn Eleanor Coppola filmt, konzentriert sie sich auf Kleinigkeiten, vermeintlich beiläufige Details, in denen sich dann doch die Essenz der Dinge offenbart. Schön zu sehen war das schon in ihrer epochemachenden Dokumentation "Hearts of Darkness", die Ehemann Francis Ford bei dessen "Apocalypse Now"-Dreharbeiten zeigt. Nun präsentiert sie ihr Spielfilmdebüt - ein zauberhafter Roadtrip durch Südfrankreich, amouröses Abenteuer, Feier des Lebens, und moralische Erzählung à la Eric Rohmer.

Beim Prolog in Cannes begegnen wir Diane Lane als eleganter Mittfünfzigerin namens Anne, Ehefrau eines Hollywoodproduzenten (Alec Baldwin). Anne langweilt sich, telefoniert ab und zu mit ihrer Tochter und vertreibt sich die Zeit mit Fotografieren. Nach dem Frühstück knipst sie Großaufnahmen vom Marmeladenklecks an der Messerspitze und vom zerkrümelten Croissant. Sündteures Hotel, mieser Service! Als ihr Mann nach Budapest abdüsen muss, soll sie von Jacques (Arnaud Viard), dem französischen Kompagnon ihres Gatten, im Auto nach Paris chauffiert werden.

Gleich zu Beginn des Trips verkündet der supercharmante Jacques: "Paris kann warten" und entführt Anne auf eine Touritour der Extraklasse, immer siegreich gegen ihre leisen Proteste. Picknick im Grünen, Vier-Sterne-Restaurants und Komplimentattacken. Er zeigt ihr Viadukte aus der Römerzeit und das Musée Lumière in Lyon. Merke: Frankreich hat nicht nur das Savoir-vivre erfunden, auch das Kino! Er versucht, die Leidenschaft in ihr hervorzulocken und begeht dabei den Fehler maßloser Übertreibung. Zu viele Monumente, zu viel Rotwein, Rosen und Schoko-Desserts. Anne bleibt auf Distanz. Erst als er ein paar Gänge zurückschaltet, wird das Flirtduell der beiden spannend. Hübsch, wie sich Jacques, das heißt seine Einschätzung durch Anne, fortwährend ändert. Zuerst erscheint er als Klischee-Bonvivant, gewinnt zunehmend aber sanfte, liebenswürdige Züge. Anne gerät in einen Taumel: Wie kann man einer Verführung widerstehen, wenn sich die Welt in ihrer sinnlichen Pracht entfaltet? Immer behält die Erzählung ihre Leichtigkeit, auch wenn die beiden ernstere Themen anschneiden. Bald ist es Anne, die einen Umweg machen will, nach Vézelay, wo sie am Altar der Kathedrale eine Kerze entzündet, im Gedenken an ihr verstorbenes Kind. In ihrem Tagebuch "Vielleicht bin ich zu nah" schreibt Eleanor Coppola von ihrer Bewunderung für Filme, die eine Reise ins Ich sind. "Paris kann warten" ist eine solche Reise.

Bonjour Anne, USA/F 2017 - Regie, Buch: Eleanor Coppola. Kamera: Crystel Fournier. Schnitt: Glen Scantlebury Mit: Diane Lane, Arnaud Viard, Alec Baldwin. Tobis, 92 Minuten.

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