Trend zur Selbstversorgung:Mein Haus, mein Kraftwerk

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Immer mehr Menschen installieren einen Stromspeicher, um Geld zu sparen und unabhängiger zu sein. Hersteller und Investoren erwarten einen Boom nach 2020.

Von Stefan Mayr, Nürnberg/Wildpoldsried

Stefan Geitner steht im Wohnzimmer seiner Doppelhaushälfte, schaut auf sein Handy und sagt schmunzelnd: "Das ist unsere eigene kleine Energiewende." Eine App zeigt ihm in Echtzeit, wie viel Energie sein Haus verbraucht, wie viel Strom seine Photovoltaik-Anlage produziert - und wie viele Kilowattstunden seine Hausbatterie im Keller speichert. "Wir wollen unseren Strom ökologisch selbst produzieren und unabhängig von Konzernen sein", sagt der 51-jährige Kaufmann.

Vor sechs Wochen hat Geitner auf dem Dach seines Hauses im Nürnberger Stadtteil Zerzabelshof eine Photovoltaik-Anlage installiert - und im Keller an einen Stromspeicher angeschlossen. Ein Stromspeicher? Der weiße mannshohe Kasten sieht aus wie ein Sicherungs-Kasten, er kann aber bis zu zehn Kilowattstunden Strom speichern. Immer mehr Menschen kaufen sich eine derartige Hausbatterie, im Jahr 2016 wurden in Deutschland etwa 25 000 installiert. Für 2017 rechnet das Bonner Marktforschungsinstitut EuPD Research mit etwa 30 000 verkauften Hausspeichern. Das wäre ein Wachstum von 24 Prozent. Und für die Zeit nach 2020 prophezeien Branchen-Vertreter einen Boom, weil dann bei vielen Solaranlagen-Besitzern die subventionierte Einspeisevergütung ausläuft.

Derzeit gibt es etwa 1,6 Millionen Photovoltaik-Anlagen in Deutschland. Bislang können die wenigsten Besitzer ihren damit erzeugten Strom speichern. Stattdessen müssen sie ihn einspeisen - und das künftig eben ohne staatliche Zuschüsse. Da kann sich der Kauf einer Hausbatterie lohnen, denn es ist günstiger, selbstproduzierten Strom selbst zu verbrauchen als ihn externen Anbietern abzukaufen.

Der Wettlauf um diese potenziellen Neukunden läuft, im Rennen sind namhafte Firmen wie Varta, LG Chem oder die Siemens-Tochter Caterva. Es tummeln sich aber auch etliche Firmen, die aus einer ganz anderen Branche kommen, nämlich der Autoindustrie: Daimler, Tesla oder der chinesische Elektroautobauer BYD ( siehe nebenstehenden Text). Das Geschäft ist noch ganz jung, ihm wird aber zugetraut, die Stromversorger-Branche kräftig durcheinanderzuwirbeln. Das Stichwort lautet: dezentrale Versorgung. So mancher Start-up-Unternehmer prophezeit sogar, dass herkömmliche Stromkonzerne oder Stadtwerke bald überflüssig sein werden. Wenn jedermann seinen Strom selbst herstellen und speichern kann, seien Großkraftwerke und riesige Stromleitungen über Land nicht mehr nötig. "Die dezentrale Versorgung mit regenerativen Energien ist besser als Strom aus dem Großkraftwerk", sagt Stefan Geitner, "das wird auch die Zukunft sein."

So wie er denken immer mehr Menschen. Weg von den Konzernen und ihren teuren Tarifen, hin zum selbstproduzierten billigeren Strom. Bislang hatten Betreiber von privaten Photovoltaik-Anlagen ein Problem: Es wurde immer dann Strom produziert, wenn der Hausbesitzer nicht zu Hause war - nämlich tagsüber, wenn die Sonne schien. Nun kann er diese Energie speichern bis zum Abend, wenn er heimkommt und sie braucht. Bislang musste er den Strom mittags ins Netz einspeisen für zwölf Cent - und abends wieder für 29 Cent einkaufen.

Aufbau einer Solaranlage - doch wohin mit dem überschüssigen Strom, wenn die Förderung ausläuft? (Foto: imago)

Dieses Verlustproblem hat Stefan Geitner ausgeschaltet. Er ist bei einer Versicherung im Risiko-Management tätig. Vor dem Kauf hatte er wochenlang recherchiert, gerechnet und verglichen. Dann hat er sich für ein Fabrikat der Firma Sonnen GmbH entschieden. Das Unternehmen aus dem Allgäuer Örtchen Wildpoldsried existiert erst seit 2010, gilt aber europaweit als Marktführer mit einem Anteil von 22 Prozent. Geschäftsführer Philipp Schröder gibt den forschen Erneuerer, der mit alter Technologie aufräumt: "Wir glauben, der Wandel kommt jetzt."

Der 33-Jährige trägt ein lichtblaues Businesshemd - und einen schlichten grauen Kapuzenpulli darüber. Halb Managertyp, halb Nerd, schnell verwandelbar, immer flexibel. Schröder war einst Deutschland-Chef von Tesla, er versteht etwas von Marketing. Und so wird aus der Sonnen GmbH ein Unternehmen, das die Welt vor dem Klimawandel rettet ("Unser Ziel ist es, saubere und billige Energie für alle anzubieten") und den Kunden eine saubere Alternative bietet ("Die Leute vertrauen den Konzernen und der Politik nicht mehr"). Überhaupt hätten sich die Konzerne "längst aufgelöst", sagt er. Ihr altes Geschäftsmodell werde es "so nicht mehr geben".

Große Worte für einen Jungunternehmer, dessen Firma 350 Mitarbeiter beschäftigt und bislang nur Verluste eingefahren hat. Dennoch sagt er den Milliarden-Konzernen den Kampf an. Er stellt nicht nur Hausbatterien her, sondern tritt auch als Stromanbieter auf. Für eine Flatrate von 19,99 Euro pro Monat liefert er den Kunden Strom frei Haus. "Das ist das Ende der Stromrechnung", tönt Schröder. Im Gegenzug bekommt Sonnen Zugriff auf die Speicher und verknüpft alle Kunden zu einer Art virtuellem Kraftwerk.

Derzeit läuft ein Pilotprojekt mit dem Netzbetreiber Tennet und 6000 Besitzern von Sonnen-Hausbatterien - einer davon ist Stefan Geitner. Die Mitglieder dieser "Community" können ihren Strom untereinander tauschen; zum Beispiel, wenn der eine im Süden zu viel hat und der andere im Norden zu wenig. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für Stromkunden und Start-ups - und birgt neue Gefahren für die Stromversorger. Werden demnächst eine Million Minikraftwerke die Großkraftwerke überflüssig machen?

Hausbatterien Immer mehr Menschen installieren in ihrem Keller einen Stromspeicher, um Geld zu sparen und unabhängiger von Energie-Konzernen zu sein. Hersteller und Investoren erwarten einen Boom nach 2020 (Foto: SZ)

"Auf jeden Fall", sagt Alex Melzer vom Internet-Start-up Zolar GmbH aus Berlin, das Solarsysteme diverser Hersteller installiert. "Die Speicher werden noch viel billiger, in fünf bis zehn Jahren hat jedes Haus eine Solaranlage auf dem Dach und einen Speicher im Keller." Und dies nicht aus ökologisch-idealistischen Gründen, "sondern weil es sich rechnet". Martin Ammon vom Bonner Marktforschungsinstitut EuPD Research ist da vorsichtiger. "Der Markt wächst", sagt der Volkswirt, "aber er ist auch limitiert." Das Potenzial liege zunächst bei 60 000 Hausbatterien pro Jahr. Ein limitierender Faktor könnte das Zögern der Käufer sein: So mancher hofft auf fallende Preise und weitere Fortschritte in der Technologie und wartet deshalb mit der Investition ab.

Deutschland ist bislang mit Abstand der größte Markt

Bislang ist die Bundesrepublik weltweit der größte Markt. 2016 wurden neben den 25 000 deutschen Batterien im Rest von Europa und in Australien jeweils 7000 aufgestellt, in den USA 4500. Das sind noch überschaubare Zahlen. Doch Philipp Schröder ficht das nicht an, er hofft auf einen Boom, wenn von 2020 an Solarstrom-Produktion nach und nach aus der EEG-Förderung herausfällt. "In drei Jahren wollen wir eine halbe Milliarde Umsatz machen", kündigt der Sonnen-Chef an, "und in zehn Jahren eine Million Kunden versorgen."

Schröders Optimismus teilen namhafte Investoren: Bei einer Finanzierungsrunde Ende 2016 sammelte er nach eigenen Angaben 67 Millionen Euro ein. Eingestiegen sind unter anderem GE Ventures, die Risikokapital-Gesellschaft des US-Konzerns General Electric, und der chinesische Windturbinenhersteller Envision Energy. Davon erhofft sich Schröder auch den Eintritt in den chinesischen Markt. Die nächste Finanzierungsrunde stehe schon bevor, sagt Schröder. Eventuell sogar ein Börsengang. Die Investmentbanken stünden bei ihm Schlange. "Viele Banken wollen sich mit uns im Clean-Tech-Bereich positionieren", sagt er. Aber er habe sie um Geduld gebeten. Der neue Finanz-Chef der Sonnen GmbH, der als einziger im Management Erfahrungen mit Börsengängen hat, ist erst seit Anfang Juli dabei.

Stefan Geitner aus Nürnberg ist mit seiner neuen Anlage hochzufrieden. Er hat eine Erdwärmepumpe, die im Winter viel Energie verbraucht. An all den sonnigen Tagen dieses Sommers hat er überschüssigen Strom in seine "Community" eingespeist, den er im Winter ohne Zusatzkosten zapfen kann. "Für mich rechnet sich das", sagt er, "ich hatte früher eine Stromrechnung von etwa 2000 Euro pro Jahr." Jetzt zahlt er nur noch 19,99 pro Monat.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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