Abgasaffäre:Geschummelt? Wir doch nicht

Audi A7

Der Abgasskandal ist längst kein VW-Thema mehr - es betrifft eine ganze Branche.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Die gesamte Autoindustrie würde am liebsten so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen. Aber zuerst muss sie den Dieselskandal aufklären - denn es geht um mehr als nur verkaufte Autos.

Kommentar von Thomas Fromm

Es sagt schon sehr viel aus über diese Branche, wie vehement große Autobauer auf Distanz zu Volkswagen gehen, seit dort im Herbst 2015 der Dieselskandal aufgeflogen war. Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Beispiel legte sich schnell fest und beteuerte öffentlich, in seinem Haus gebe es so etwas nicht.

Das war im Januar 2016. Heute gehen Ermittler dem Vorwurf nach, wonach der Stuttgarter Autobauer zwischen 2008 und 2016 über eine Million Autos mit zu hohen Schadstoffemissionen verkauft haben könnte. Um Gottes willen, wir doch nicht!

Oder Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne, der auch nicht gerne mit den Wolfsburgern in einen Topf geworfen werden möchte. "Wer uns mit dem deutschen Unternehmen vergleicht, hat etwas Illegales geraucht", sagte der Auto-Manager, der ein Freund plakativer und markiger Sätze ist. Vor ein paar Wochen hat das US-Justizministerium Fiat Chrysler im Auftrag des US-Umweltamtes EPA wegen möglicher Abgas-Tricksereien verklagt. Die Behörden vermuten eine illegale Software zur Abgaskontrolle in über 100 000 Dieselautos. Wer hat hier einen Joint geraucht?

Fast zwei Jahre nachdem die VW-Abgasaffäre in den USA aufflog, ist noch immer vieles im Nebel. Klar ist aber: Dieselgate ist kein alleiniges VW-Thema, VW steht nur beispielhaft für eine ganze Branche. Ein Wirtschaftszweig, in dem es vielen Verantwortlichen jahrelang wohl ziemlich egal war, wie viel gesundheitsgefährdende Gifte ihre Limousinen und Geländewagen in die Städte pumpen, solange auf dem Papier alles stimmte. Die einen sind möglicherweise mehr, die anderen weniger skrupellos vorgegangen. VW hatte eine Spezialsoftware in seinen Dieselmotoren versteckt, um offizielle Abgastests auf dem Prüfstand zu fälschen. Andere haben es - vielleicht - ähnlich gemacht. Und wieder andere mögen es technisch eventuell auch ganz anders gemacht haben oder auch gar nicht.

Unterm Strich aber haben viele von ihnen etwas gemeinsam: Sie lieferten in den vergangenen Monaten bei Tests Stickoxidwerte, die weit über dem Erlaubten liegen. Nur sprechen möchte keiner darüber. Wer zu viel redet, macht sich verdächtig. Und so schaut man lieber mitleidig nach Wolfsburg: Ja, wirklich dumm gelaufen für die Kollegen.

Jeder aber hofft, nicht der Nächste zu sein, und alle weisen die Anschuldigungen empört weit von sich. Bei Renault gehen Ermittler übrigens dem Verdacht nach, dass man hier schon seit Beginn der 90er-Jahre in großem Stil Abgasbetrug begangen haben könnte. Ein Vierteljahrhundert Dieselschummelei? Mon dieu!

Nicht zufällig reden plötzlich alle so gerne über E-Mobilität

Peugeot, Renault, Nissan, Opel, Ford - die Liste der Hersteller, bei deren Autos verdächtig hohe Stickoxide gemessen wurden, wird seit Monaten immer länger, und das zeigt: Nicht nur VW hat ein Problem, eine ganze Branche hat ein Problem. Nicht nur die Dieseltechnologie steckt in der Image-Falle - die ganze Industrie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ohne Glaubwürdigkeit aber lassen sich nur schwer Autos verkaufen.

Nun ist dies traditionell eine Gute-Laune-Branche, die viel von Marketing, Hochglanz und ausgefeilter Werbeästhetik lebt. Auch deshalb würden viele das Thema Diesel jetzt am liebsten weglächeln und zur Tagesordnung übergehen. Nicht zufällig sprechen Konzernmitarbeiter in diesen Monaten lieber über Dinge wie autonomes Fahren, Elektroautos und den großen Umbruch als über die Vergangenheit mit Dieselstinkern. So einfach sollte man es den Herstellern jetzt aber nicht machen. Wenn der Verdacht besteht, dass jahrelang viel mehr giftige Diesel-Stickoxide in die Umwelt gejagt wurden, als in den Werbebroschüren versprochen, dann muss das bis zum Schluss aufklärt werden. Bei Fiat, beim US-Autobauer General Motors und seiner Tochter Opel. Und bei Daimler.

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