Menschenrechte:Wieder sperrt die Türkei einen Deutschen ins Gefängnis

  • Der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner sitzt in türkischer Untersuchungshaft.
  • Seine Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss nennt die gegen ihn erhobenen Terrorvorwürfe "abwegig".
  • Amnesty International spricht von einem "Moment der Wahrheit": Der Einsatz für Menschenrechte sei in der Türkei zum Verbrechen geworden.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die Menschenrechtsaktivisten hatten sich einen ruhigen Platz für ihr Seminar gesucht. Es war der 2. Juli, als sie sich im Ascot Hotel auf Büyükada trafen, einer der verträumten Prinzeninseln im Marmarameer vor Istanbul. Ein Ort zum Luftholen, die Großstadt in Sichtweite.

Der Berliner Peter Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi leiteten einen Workshop - es sollte um Datensicherheit in der Menschenrechtsarbeit gehen, aber auch um den Umgang mit Stress und Druck. Darauf hat sich der 45-jährige Deutsche spezialisiert. Auch die Amnesty-Landesdirektorin für die Türkei, İdil Eser, nahm teil.

Am letzten Tag, dem 5. Juli, gegen 10 Uhr drang die Polizei ins Hotel ein, und führte die acht Menschenrechtler und die beiden Seminarleiter ab. Sie sollen einer Terrororganisation angehört und sie unterstützt haben. "Absurd", meinte man bei Amnesty damals. In der Nacht zu Dienstag ordnete ein Istanbuler Richter nun Untersuchungshaft für sechs der zehn Seminarteilnehmer an, darunter: Steudtner. Vier wurden unter Auflagen vorerst freigelassen. Sie dürfen das Land nicht verlassen und müssen sich dreimal die Woche bei den Behörden melden.

Wieder kommt ein Deutscher im Land von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wegen des Terrorvorwurfs ins Gefängnis. Der bekannteste Fall bislang ist jener des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. Der war im Februar festgenommen worden und sitzt seither in U-Haft.

Erdoğan betont gern die Unabhängigkeit der türkischen Justiz

Der Präsident selbst hatte die Menschenrechtler in die Nähe der Putschisten gerückt, die am 15. Juli 2016 vergeblich versucht hatten, ihn und seine Regierung zu stürzen. Am Wochenende feierte das Land den ersten Jahrestag. Erdoğan sagte in einer seiner Ansprachen, er wisse, wer hinter Terrororganisationen wie der Gülen-Bewegung, die er für den Putschversuch verantwortlich macht, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stehe. Und er sagte: "Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen."

So spricht Erdoğan, wenn das Volk vor ihm steht. Yücel bezeichnete er bereits als Agenten und Terroristen und verkündete: So lange er an der Macht sei, werde Yücel jedenfalls nicht nach Deutschland ausgeliefert. Wenn er aber mit Politikern aus dem Ausland redet, mit Kanzlerin Merkel zum Beispiel, betont er die angebliche Unabhängigkeit der türkischen Justiz.

Aber daran glaubt auch Amnesty International schon lange nicht mehr. Anfang Juni war bereits der Vorsitzende in der Türkei, Taner Kılıç, festgenommen worden. Nun İdil Eser. Damit sitzen erstmals in der Geschichte von Amnesty zwei führende Vertreter ihrer Organisation im selben Land in Haft.

"Das ist keine legitime Untersuchung, das ist eine politisch motivierte Hexenjagd", sagte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, am Dienstag. "Heute haben wir gelernt, dass es in der Türkei ein Verbrechen geworden ist, sich für Menschenrechte einzusetzen. Das ist ein Moment der Wahrheit, für die Türkei und für die internationale Gemeinschaft." Shetty forderte die Regierungschefs weltweit zu einer härteren Gangart gegen die Behörden in der Türkei auf.

Steudtners Lebensgefährtin nennt die Vorwürfe "abwegig"

In Deutschland haben sich die Familie und Freunde von Peter Steudtner zusammengetan. "Es ist abwegig, ihm die Unterstützung einer bewaffneten Terrorgruppe zu unterstellen", teilten sie in einer gemeinsamen Erklärung mit, in der sie die Freilassung der Männer und Frauen fordern. Steudtners Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss sagte der SZ: "Menschenrechtsarbeit ist kein Verbrechen." Sie und ihre Familie lebten seit der Festnahme ihres Partners in dem Zustand der "Sorge und Ungewissheit".

Wenn "ihr Mann" für Seminare unterwegs sei, halte sie engen Kontakt zu ihm. Steudtner engagiert sich seit vielen Jahren in der Friedensarbeit. Er lebte auch mehrere Jahre in Mosambik, bevor er sich als Trainer, Fotograf und Dokumentarfilmer selbständig machte. Er ist oft in Krisengebieten unterwegs. Seit 2014 hat er sich zusätzlich in den Bereich IT- und Datensicherheit eingearbeitet. Den Auftrag in Istanbul übernahm er bereitwillig. Als seine Frau am 5. Juli ihren Partner nicht erreichen konnte, wurde sie unruhig. Erst am Abend erfuhr sie von der Festnahme.

Für Amnesty International steht fest: "In Erdoğans Türkei soll es keine Zivilgesellschaft, keine Kritik und keine Rechenschaftspflicht geben." Tatsächlich hat die Regierung in Ankara der Zivilgesellschaft seit dem Putschversuch vor einem Jahr einen herben Schlag versetzt. Neben den Massenentlassungen und Massenverhaftungen sind mehr als 1000 Vereine verboten worden, 129 Stiftungen und 19 Gewerkschaften.

Hunderttausende auf Oppositionsmarsch von Ankara nach Istanbul

Auch die Türkeivertretungen der politischen Stiftungen aus Deutschland sehen sich immer häufiger Anfeindungen ausgesetzt, etwa wenn die Regierungspresse sie in Verbindungen mit mutmaßlichen Terroristen setzt, krude Verschwörungstheorien verbreitet und nicht einmal davor zurückschreckt, deren Adressen zu veröffentlichen.

Andererseits: Als Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu kürzlich zum Protestmarsch von Ankara nach Istanbul aufbrach, war es ihm gelungen, am Ende Hunderttausende hinter sich und seiner Forderung nach mehr Gerechtigkeit zu versammeln. Nur Peter Steudtner, seinem Kollegen und den anderen Menschenrechtlern hat das bis jetzt offenkundig wenig geholfen.

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