G 20:Endlich etwas Offenheit

Man tut der Polizei nichts Gutes, wenn man sie nach dem Hamburger Einsatz für sakrosankt erklärt und wenn, wie geschehen, die Zahl der beim Einsatz verletzten Polizisten dramatisiert wird. Es war an der Zeit, dass wieder Offenheit im Bezug auf dieses Thema spürbar wird.

Von Jan Heidtmann

Der Große Festsaal ist mit das Prunkvollste, was das Hamburger Rathaus zu bieten hat. Die opulenten Gemälde an der Wand zeugen von der Seele dieser Stadt, der Hanse, und zu dieser Seele gehört ja auch die geschäftige Liberalität der Kaufleute. Deshalb ist es gut, dass der Innenausschuss der Bürgerschaft diesen Ort für seine Sondersitzung gewählt hat: Der Innensenator, der Polizeipräsident und sein Einsatzleiter gaben den Abgeordneten Auskunft über das Vorgehen der Beamten beim G-20-Gipfel. Wen dies interessierte, der konnte das Treffen im Internet live mitverfolgen. Es ist das erste Mal seit dem Ende des Gipfels, dass im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz wieder etwas von der Offenheit dieser Stadt spürbar wurde. Es war an der Zeit.

Bereits wenige Stunden nach dem Einsatz hatte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz einen unseligen Ton gesetzt, rückhaltlos verteidigte er Strategie und Taktik der Polizei. Seitdem versucht er mit aller Macht, seine Deutung durchzusetzen, zuletzt mit der Aussage, "Polizeigewalt hat es nicht gegeben". Stattdessen wurde der Einsatz der Polizisten in den vergangenen zwei Wochen auch von offizieller Seite derart glorifiziert, dass es einen an die Feuerwehrleute in den Trümmern des World Trade Centers erinnerte. Die Bild-Zeitung sammelte gar für eine Urlaubreise für jeden der "fast 500 verletzten Polizisten".

Die Zahl der verletzten Polizisten war halb so hoch

Einsatzleiter Hartmut Dudde selbst war es, der diese Zahl mit in die Welt gesetzt hatte - nun erhöhte er sie noch einmal auf fast 600. Die Nachrichtenseite Buzzfeed ermittelte, dass während der Ausschreitungen nur halb so viele Beamte verletzt wurden - offenbar auch durch das eigene Pfefferspray und Tränengas; zudem sind all die Beamten dazugezählt, die schlicht nicht mehr weiterkonnten. Der allergrößte Teil der Polizisten sei nach kurzer Behandlung wieder einsatzbereit gewesen.

Jeder verletzte Beamte ist einer zu viel, und zu Recht gibt es vermutlich keinen vernünftigen Menschen, der in den Tagen des Gipfels mit einem der Polizisten hätte tauschen wollen. Es war ein Einsatz an der Grenze des Möglichen, manche Beamte waren mehr als 60 Stunden auf den Beinen. Und die Gewalt, die vom sogenannten Schwarzen Block ausging, sie ist nicht zu rechtfertigen. Es widerspricht jedoch jeder Lebenserfahrung, dass es bei mehr als 20 000 Polizisten unter diesen Bedingungen kein Fehlverhalten gab. Das musste selbst Scholz widerwillig einräumen. Dabei geht es nicht um Polizeigewalt, ein Begriff, der zu strukturell ist. Aber es geht um Beamte, die anscheinend unnötig gewalttätig geworden sind.

Wer sich von den Indizien ein Bild machen will - im Internet kursieren zahlreiche Videos und Augenzeugenberichte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in 27 Fällen wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt. Auch hier gilt die Unschuldsvermutung; aber über all das muss genauso offen gesprochen werden können wie darüber, ob die Besatzung der Roten Flora die Gewalt unterstützt hat oder nicht. Die Polizei darf nicht sakrosankt geredet werden.

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