Rocker-Affäre:Missstände zudecken

Plakataktion 'Refugees welcome!'

Christian Longardt, 57, war von 2012 bis 2015 Teil einer Doppelspitze und ist seitdem alleiniger Chefredakteur der Kieler Nachrichten mit einer verkauften Auflage von 87 571 Exemplaren.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Ein schwerwiegender Verdacht: Hat die Landespolizei in Schleswig-Holstein auch Journalisten der "Kieler Nachrichten" bespitzelt, um an Informationen über Whistleblower aus den eigenen Reihen zu gelangen? Die Redaktion ist davon überzeugt.

Von Thomas Hahn

Jetzt steckt Christian Longardt also mittendrin in einem Krimi. Der Chefredakteur der Kieler Nachrichten (KN) findet das einerseits ganz gut. Was kann einem leitenden Journalisten schon Besseres passieren, als dass seine Zeitung ganz nah dran ist am Puls einer Geschichte, in der es um Kabale und Rechtsbruch geht. Und in der sogenannten Rocker-Affäre um Vorwürfe der Aktenmanipulation in der Landespolizei von Schleswig-Holstein sind die Reporter der KN seit über zwei Monaten die führenden Berichterstatter.

Andererseits hätte Longardt nichts dagegen, wenn er etwas weniger direkt damit befasst wäre. Recherchen, die das Rocker-Milieu betreffen, sind ohnehin nie lustig. Aber mittlerweile gibt es Anzeichen dafür, dass die Kieler Polizeiführung so akribisch den Informationslecks in ihren Kreisen nachspürt, dass die Überwachung auch die KN-Journalisten trifft. Es besteht zum Beispiel der Verdacht, die Polizei habe einen Peilsender an Longardts Auto angebracht, um dessen Fahrten zu Informanten verfolgen zu können. Der Chefredakteur sagt: "Das wäre eine klare Einschränkung meiner journalistischen Freiheit, wenn die Polizei schaut, wohin ich fahre."

Es gibt noch keine Gewissheiten in dieser seltsamen, verzweigten Geschichte, die der Chefredakteur Longardt und seine KN-Kollegen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Erst am Montag hat der Innenminister Hans-Joachim Grote von der CDU in einer eigens anberaumten Pressekonferenz "nach den mir vorliegenden Erkenntnissen" dementiert, dass es besagte Überwachungen von Journalisten gegeben habe. Aber der Vorwurf ist nun mal da, er strahlt über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus. "Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass Journalisten der Kieler Nachrichten abgehört und ausgespäht wurden, ist das ein krasser Verstoß gegen die Pressefreiheit", urteilt der Deutsche Journalisten-Verband und fordert "die lückenlose Aufklärung der Affäre". Schon der Umstand, dass Innenminister Grote zum Dementi mit einer ganzen Mannschaft aus hohen Beamten antrat, unter anderem mit Landespolizeidirektor Ralf Höhs und dem Polizeiabteilungsleiter des Innenministeriums, Jörg Muhlack, zeigte, dass der Staat hier um seine Glaubwürdigkeit ringt.

Longardt amüsiert es ein bisschen, dass das Medienecho auf die Recherchearbeit seiner Zeitung erst jetzt lauter wird, da von Journalistenüberwachung die Rede ist. Die Rocker-Affäre, der Ausgangspunkt der aktuellen Recherche, birgt eigentlich den viel dickeren Skandal. Der Bürgerrechtler Patrick Breyer hat sie aufgedeckt, wenige Tage vor der Landtagswahl am 7. Mai, sozusagen in einer seiner letzten Amtshandlungen als Fraktionsvorsitzender der Piraten, ehe seine Partei mangels Stimmen aus dem Kieler Landtag flog.

Die Affäre geht auf eine Messerstecherei zwischen Rockern der Gruppe "Bandidos" und der Gruppe "Red Devils" im Januar 2010 zurück, bei der eine Person lebensgefährlich verletzt wurde. Nach Breyers Erkenntnissen sollen anschließend Aussagen unterdrückt worden sein, die Tatverdächtige entlasteten. Die Polizeiführung soll so einen Informanten möglicherweise gesetzeswidrig geschützt haben. Die KN nahmen sich des Falles an und berichteten aus gut unterrichteten Quellen über ein "Netzwerk der Polizeiführer" mit Muhlack, Höhs und Landeskriminalamts-Chef Thorsten Kramer, das interne Kritiker mobbe oder wegbefördere. Und das viel Energie darauf verwende, jene Polizeibeamte ausfindig zu machen, die Missstände und Insiderwissen nach außen tragen.

So wurde die Affäre zur Medienaffäre. Denn die Überwachung von sogenannten Whistleblowern betrifft auch jene Journalisten, an die sie ihre Informationen weitergeben. "Abhörmaßnahmen gegen Whistleblower enden oft bei Journalisten und sind de facto Abhörmaßnahmen gegen Journalisten", sagt Annegret Falter, die Vorsitzende des Vereins Whistleblower-Netzwerk. Breyer sagt: "Man möchte verhindern, dass Missstände aufgedeckt werden."

Kaum eine Enthüllung kommt ohne die Informationen von Insidern zustande, die als letztes Mittel gegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen oder anderen Missbrauch in Behörden, Institutionen oder Firmen die Öffentlichkeit wählen. Für die Verantwortlichen solcher Missstände sind die Informanten Verräter, für die Allgemeinheit Aufklärer, die dazu beitragen können, diese Missstände zu beheben. Die Debatte über einen gesetzlichen Schutz für Whistleblower ist im Gange. "Noch gibt es in Deutschland keinen", sagt Annegret Falter. Stattdessen riskierten Journalisten als Abnehmer brisanten Materials eine Anzeige wegen Datenhehlerei nach Paragraf 202d im Strafgesetzbuch. Eine Gruppe aus Juristen, Journalisten und Bloggern hat seit Januar eine Verfassungsbeschwerde laufen gegen das Gesetz, das seit Ende 2015 in Kraft ist.

In der Kieler Affäre geht es also auch um die Frage, wie Behörden interne Missstände unter den Teppich kehren wollen. Mit Folgen für die Öffentlichkeit. Auch Patrick Breyer hätte als Abgeordneter im Landtag einige relevante Probleme nicht angehen können, wenn sie ihm nicht vorher gesteckt worden wären. "Die parlamentarische Kontrolle hängt genauso wie die öffentliche Kontrolle durch die Presse vom Informantenschutz ab", sagt er.

Den Verdacht, überwacht zu werden, äußerten die KN erstmals vor knapp vier Wochen in einer Anfrage an den damals noch amtierenden Innenminister Stefan Studt (SPD). Der antwortete allerdings nicht, sondern leitete den Verdacht an die Staatsanwaltschaft weiter. Dann passierte erst mal nichts, bis KN-Geschäftsführer Sven Fricke auf die Idee kam, Spezialisten mit einem Funkwellendetektor in Büros und Autos nach Wanzen suchen zu lassen. An Longardts Auto schlug das Gerät aus. Diverse Insider bestätigten den KN, dass Polizeifachleute raffinierte Minipeilsender an einem Auto, wie es Longardt fährt, im linken vorderen Radkasten platzieren und bei Bedarf auch schnell wieder abnehmen könnten. Die Untersuchung fand an einem Samstag statt, am Montag wollte Longardt den Wagen in einer Werkstatt genauer untersuchen lassen. Da war das Funksignal wieder weg. Longardt schilderte die Vorgänge auch in einem Interview mit seiner eigenen Zeitung.

Polizeiabteilungsleiter Muhlack widerspricht den KN-Recherchen. Besagte Peilsender könne und dürfe die Polizei nicht anwenden. Und Innenminister Grote hat angekündigt, die gesamte Rocker-Affäre durch "eine externe Begutachtung" prüfen zu lassen. Das überregionale Interesse an der Whistleblower-Verfolgung mit möglicher Journalistenüberwachung scheint ihm Beine gemacht zu haben.

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