Kindesentziehung:Mutter entführt Kinder nach Syrien - drei Jahre Haft

Prozess gegen Mutter wegen Kindesentziehung

Vor Gericht gab die 40-jährige L. zu, dass sie mit ihren Kindern nach Syrien gereist sei.

(Foto: dpa)
  • Eine 40-Jährige aus Nürnberg ist im September 2014 mit ihren vier kleinen Kindern nach Syrien gereist.
  • Sie sprach sich nicht mit dem Vater ab, der sie dann wegen Kindesentziehung anzeigte. Nun wurde sie zu drei Jahren Haft verurteilt.
  • Das Gericht verhandelt gerade nur wegen der Kinder. Falls die Frau auch Kontakt zu Islamisten hatte, könnte ein weiterer Prozess folgen.

Von Olaf Przybilla

Unstrittig ist wenig im Prozess gegen die 40 Jahre alte Dana L., eine Mutter von vier Kindern. Eines aber räumt die Angeklagte am Amtsgericht Nürnberg gleich unumwunden ein: Ja, sie ist im September 2014 mit ihren Kindern - das jüngste war noch nicht mal ein Jahr alt, die anderen zwei, vier und sieben - nach Syrien ausgereist, ohne sich darüber mit dem Kindsvater abzusprechen. Wegen Entziehung Minderjähriger wird sie deshalb zu drei Jahren Haft verurteilt.

Unstrittig war von vornherein auch, dass die Frau nicht damit rechnen durfte, frei zu kommen. Gegen sie ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München zusätzlich wegen des Verdachts, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben. Sie befindet sich deshalb in Untersuchungshaft. L. soll Kontakt gehabt haben zur Terrormiliz Islamischer Staat, später, als sie dieser entsagte, zur radikalislamischen Al-Nusra-Front. Käme es in der Sache zur Anklage, wäre das Oberlandesgericht München zuständig.

Die Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe ist also nicht Gegenstand der Verhandlung in Nürnberg, das macht das Verfahren kompliziert. Es wird nicht einfacher dadurch, dass der Weg der Nürnbergerin nach Syrien und wieder zurück verschlungen war. Er führte über die Türkei und den Sudan, die Heimat ihres Ehemanns und des Vaters der vier Kinder. Die Partnerschaft mit ihm war schwierig, sagt die 40-Jährige, ohne ins Detail zu gehen. Jedenfalls sei sie vor fast drei Jahren mit den Kindern nach Syrien geflohen, als sich Gelegenheit geboten habe und ihr Mann nichts davon merken konnte. Insofern treffe das, was man ihr vorwerfe, durchaus zu.

Alles andere aber entbehre jeder Grundlage: Es stimme nicht, dass ihre Kinder, wie in der Anklage behauptet, in Syrien "Kälte, Angst und Hunger" ausgesetzt gewesen seien. Es stimme nicht, dass die Kinder nachts von giftigen Insekten heimgesucht wurden. Es stimme auch nicht, dass eines ihrer Kinder von Gewehrkugeln getroffen worden sei. Auch stimme es nicht, dass sie Kontakt zum IS gehabt habe. Und dass, wie es in der Anklageschrift heißt, "zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt eine Rakete auf die gemeinsam bewohnte Unterkunft" niedergegangen sein soll - das stimme so ebenfalls nicht. Ja, sagt die Angeklagte mit fester Stimme, es habe da einmal einen Raketenbeschuss gegeben. Sie und ihre Kinder hätten zu der Zeit allerdings auf dem Land gelebt, nicht in der Stadt, wo die Rakete niederging. Von dem Geschoss haben man nur gehört.

Die Richterin am Schöffengericht lässt sich anmerken, dass sie das alles wenig zu überzeugen vermag. Schon dem Antrag der Verteidigung, der 40-Jährigen die Fesseln wenigstens im Prozess abzunehmen, kommt das Gericht nur in Teilen nach. An den Beinen bleibt sie auch während der Verhandlung gefesselt. Es gebe einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, argumentiert die Richterin. Der Anwalt hält die Fesselung für eine "Vorverurteilung" und erklärt, seine Mandantin werde damit stigmatisiert.

Warum entführt eine Mutter ihre Kinder in ein Kriegsgebiet, will der Staatsanwalt wissen. Sie habe Syrien immer schon geliebt, sagt die Angeklagte. Ohne es zu kennen oder überhaupt je gesehen zu haben, fragt der Ankläger nach. Nun, antwortet L., sie habe "religiöse Gründe" gehabt. Habe es sich aber bald anders überlegt, weil sie "Gewissensbisse" gequält hätten. Immerhin habe sie ihrem Mann die Kinder weggenommen; und immerhin hätten ihre Kinder plötzlich ohne Vater aufwachsen müssen. Hunger, wie vom Staatsanwalt behauptet, hätten die Kinder aber nicht leiden müssen. Sie habe "als alleinerziehende Mutter" Hilfspakete aus der Türkei bezogen. Von einer Organisation, an deren Namen sie sich nicht erinnern könne.

Der Vater kommt nicht zum Prozess

Der Mann von L. hat bei der Polizei angegeben, seine Frau habe sich schon in Franken religiös radikalisiert. Von ihm stammen auch wesentliche Teile der Schilderung, wonach die Kinder in Syrien Angst und Hunger ausgesetzt waren. Er habe das wohl aus "Wut und Verzweiflung" über die Entführung der Kinder gesagt, erklärt die Angeklagte. Vor Gericht erscheint der Vater nicht. Zwar ist er aus dem Sudan angereist. Sein Platz im Saal 28 aber bleibt leer.

So bleibt am Ende vieles im Dunkeln. Die Kinder seien traumatisiert, sagt der Staatsanwalt, die 40-Jährige habe "fanatisch und egoistisch" gehandelt. Ob allerdings die IS-Vorwürfe zutreffen, darüber erlaubt sich auch das Gericht kein Urteil. "Wir wissen zu wenig", sagt die Richterin. Das Urteil in der Sache Kindesentführung ist bereits rechtskräftig. Alles Weitere wird wohl erst am OLG München entschieden.

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