Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom:Skandal bei Frontal

Ein ADS-Mittel könnte mit dem Tod von vier Kindern in Deutschland zusammenhängen, behauptet das Magazin "Frontal21". Doch ist das wirklich so?

Werner Bartens

Das Mittel soll beruhigen - jetzt sorgt es für Aufregung. Schließlich könnte ein Medikament gegen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) mit dem Tod von vier Kindern in Deutschland zusammenhängen. Das behauptet zumindest das ZDF-Magazin "Frontal21" in seiner Ausgabe vom 9. Dezember. Der Wirkstoff Atomoxetin - als Strattera von der Firma Lilly vertrieben - steht unter Verdacht.

Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom: Arzneimittel für Kinder müssten besonders streng überwacht werden.

Arzneimittel für Kinder müssten besonders streng überwacht werden.

(Foto: Foto: AP)

Der TV-Redaktion zufolge seien die vier Kinder an Suizid, Herzinfarkt und Gehirnschlag gestorben. Zudem habe es "234 Verdachtsfälle von zum Teil gefährlichen Nebenwirkungen" gegeben. Das Magazin beruft sich auf "interne Unterlagen" des für Medikamentenkontrolle zuständigen Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm).

Nachfragen beim Bfarm ergeben ein anderes Bild. "Wir hatten zunächst Berichte über zwei tödliche Verläufe in Deutschland", sagt Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit. "Schließlich blieb ein Fall eines 16-Jährigen übrig, der sich umgebracht hat." Die TV-Redaktion wisse das, warum trotzdem von vier Todesfällen die Rede ist, sei unklar.

Bis November lagen dem Bfarm 237 Berichte über Nebenwirkungen vor - darunter Herzrhythmusstörungen, Sehschwäche, Übelkeit. "Das ist nicht viel angesichts der Häufigkeit, mit der Strattera verschrieben wird", sagt Hagemann. "Über ADS-Mittel werden zudem mehr Nebenwirkungen berichtet, weil das Leiden so im Blickpunkt steht."

Dass Strattera Nebenwirkungen hat, ist nicht neu. "Die Suizidalität war bekannt", sagt der pharmakritische Arzneimittelexperte Gerd Glaeske von der Uni Bremen. Im September 2005 - ein Jahr nach der Zulassung - ordnete das Bfarm den Warnhinweis an, dass "durch dieses Arzneimittel suizidales und feindseliges Verhalten in seltenen Fällen begünstigt oder ausgelöst werden kann." Die Firma musste einen Brief an Ärzte verschicken, in denen vor dem Mittel gewarnt wurde.

Neue Nebenwirkungen, wie "Frontal21" berichtet? Die US-Arzneibehörde FDA warnte vor Leberschäden, im Arzneiverordnungsreport 2008 stehen als "häufigste unerwünschte Wirkungen" Magendarmbeschwerden, Herzrasen, Bluthochdruck und Krampfanfälle.

Im September 2008 hatte die FDA dem Direktor von Elli Lilly geschrieben, dass die Werbeunterlagen des Unternehmens "falsch und irreführend", seien. Die Wirksamkeit von Strattera werde übertrieben, während "wichtige Risiken kleingeredet" würden. Das erwecke den Eindruck, so die FDA, dass Strattera sicherer und wirkamer sei, als belegt ist.

Natürlich ist die ADS-Therapie umtritten, sagen Experten. Und natürlich müsse man Arzneimittel für Kinder besonders streng überwachen. "Wir haben alles: Über-, Unter-, Fehlversorgung", sagt Gerd Glaeske. Noch immer seien die Hälfte der fast 400.000 ADS-Diagnosen in Deutschland nicht belegt, der gesellschaftliche Druck von Lehrern, Eltern und Erziehern lasse Ärzte zu schnell zum Rezeptblock greifen.

Wichtig sei die gründliche Abklärung. "Wurde die Diagnose sorgfältig gestellt, besteht kein Grund zur Beunruhigung, wenn Strattera verordnet wird", sagt Hagemann.

Das Bfarm hat eine Erklärung abgegeben. Darin warnt es nicht vor Strattera, sondern weist Vorwürfe von "Frontal 21" zurück, nicht sorgfältig gearbeitet zu haben. Dieser Vorwurf könnte auf das ZDF zurückfallen.

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