Klassikkonzert:Pilgerfahrt der Erkenntnis

Die Bamberger Symphoniker spielen Bruckner in St. Florian

Von Egbert Tholl, St. Florian

Die Pilgerstätte liegt im Verborgenen. Wenn man Glück hat, ist die Gruft noch geöffnet und man kann in der kühlen Tiefe unter der Kirche Anton Bruckner besuchen. Hier liegt er, so wie er sich das gewünscht hat, direkt unter seiner Orgel weiter oben und in einem freistehenden Sarkophag, der seltsam hohl und blechern klingt, wenn man daran klopft. Dahinter in einer Nische sehr ordentlich gestapelt Gebeine und viele Schädel, angeblich aus römischer Zeit. Gemessen daran muss vor 2000 Jahren ganz schön viel los gewesen sein in St. Florian. Heute wirkt der nette Ort in der Nähe von Linz eher verschlafen, aber hier steht halt das riesige Chorherrenstift, in dessen enormer Kirche Anton Bruckner erst als Sängerknabe und später als Stiftsorganist wirkte. Deswegen ist die Kirche Pilgerstätte aller Bruckner-Orchester; die Münchner Philharmoniker waren mit Celibidache hier und werden mit Gergiev zurückkehren. Nun spielen die Bamberger Symphoniker, der Dirigent Herbert Blomstedt schenkt sich das Konzert mit Bruckners fünfter Symphonie zum 90. Geburtstag.

Der bezaubernde ältere Herr war tatsächlich aufgeregt vor dem Abschlusskonzert der Bamberger, die diese in vier Dome führte. Er ist zum ersten Mal in St. Florian, und lockert die Stimmung bei der Anspielprobe erst einmal damit auf, dass er den Symphonikern berichtet, er habe gerade eine Stunde in Bruckners Bett gelegen. Dann versichert er dem Hornisten, er könne eine bestimmte Stelle im ersten Satz ruhig laut spielen, "Sie sind da allein und stören niemanden". Es folgt ein Tutti-Ausbruch in fast gewaltsamer Lautstärke.

Im Konzert, im hinteren Drittel des Kirchenschiffs sitzend, kann man dann nicht unbedingt konstatieren, eine irgendwie feinsinnige Analyse der Symphonie zu erleben. Der Nachhall von gefühlt einer halben Minute fügt die Musik zu einem Klangmonolithen zusammen, der jedes Detail in sich verschwinden lässt. Und doch spürt man, bei aller Gewalt und sämigen Streicherflüssen, wie klar Blomstedt und die Musiker irgendwo da weit vorne agieren müssen, sonst würde alles nur noch ein Brei, mal dick, mal dünn sein.

Es geht ohnehin um ein ganz anderes Erleben. Und dieses ist großartig. Gerade wenn man normalerweise mit Bruckners monströsen Klangklötzen, zusammengebaut mit der Macht der steten Wiederholung, nichts anfangen kann, hat man hier dann sein Paulus-Erlebnis. Der erste Satz wirkt auf einmal viel zu kurz, die Musik verliert den Aspekt ihrer Herstellung, sie ist einfach da in dieser Kirche, in der viele Engel von den Emporen musizieren, die meisten haben Trompeten, da ist einer, der streicht eine Gambe. Man begreift, weshalb Bruckner so komponierte, wie er das tat. Seine Symphonien, gern als Klangkathedralen bezeichnet, in denen man spazieren gehen kann, sind Vertonungen dieses Raums. Deshalb wirkt die Fünfte hier mit den Bambergern auch vollkommen schlüssig. Sie wird zu einem transzendentalen Erlebnis, gerade weil man keine Details unterscheiden kann, sondern nur reinen, von den Musikern grandios erschaffenen Klang hört. Der Zustand dieser Symphonie könnte auch drei oder vier Stunden dauern, es würde nicht stören, so freundlich fühlt sie sich hier an.

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