Polen:Wie die EU Polen auf den rechten Weg zurückbringen kann

Polen: In den vergangenen Tagen waren landesweit Zehntausende Polen auf die Straßen gegangen, um gegen die Justizreform zu protestieren.

In den vergangenen Tagen waren landesweit Zehntausende Polen auf die Straßen gegangen, um gegen die Justizreform zu protestieren.

(Foto: Alik Keplicz/AP)

Selbstverständlich ist der Weg der PiS-Führung ein Verstoß gegen die Werte der EU. Doch Brüssel hat keine effektiven Druckmittel gegen Warschau. Nun ist die Stunde der Diplomaten angebrochen.

Von Thomas Urban

Es war keine Überraschung: Der polnische Präsident Andrzej Duda hat erst einmal die umstrittene Justizreform gestoppt. Dafür gab es mehrere Gründe: Die Massenproteste in Warschau und in anderen Städten gegen den Versuch der mit absoluter Mehrheit regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die Gewaltenteilung völlig aufzuheben; die Angst, in der EU isoliert zu sein; Druck, aber auch gutes Zureden von Vertretern anderer EU-Staaten; schließlich den seit einiger Zeit offenkundigen vorsichtigen Kampf Dudas gegen seinen Ruf, eine willfährige Marionette des PiS-Führers Jarosław Kaczyński zu sein.

Da die EU kaum effektive Druckmittel gegenüber Warschau hat, ist nun die Stunde der Diplomaten gekommen: Sie müssen gemeinsam mit Vertretern der Regierung in Warschau einen Weg finden, wie Polen wieder in den Rahmen der von der EU vorgegebenen Rechtstaatlichkeit zurückfindet, ohne dass die Führung an der Weichsel ihr Gesicht dabei verliert. Selbstverständlich ist der Weg, den die PiS-Führung eingeschlagen hat, mehr als ein Irrweg: Er ist ein Verstoß gegen die Werte der europäischen Staatengemeinschaft.

Zu den dringenden Problemen gehört dabei auch das Suchen nach einem gemeinsamen Nenner im Umgang mit Migranten, ein Thema, das Brüssel, aber auch Berlin im Hinblick auf Osteuropa unsensibel angefasst hat. Beispielsweise Frans Timmermans, der Vizepräsident der Europäischen Kommission, der drohte, dass jedes EU-Land, das sich nicht nach einem von Brüssel vorgegebenen Schlüssel an der Aufnahme von Asylbewerbern beteiligt, für jeden nicht Aufgenommenen 300 000 Euro zahlen müsse. Das ist das Jahresbudget eines Kindergartens in Polen, stellte dazu ein Kommentator im regierungskritischen Sender TVN fest und vergaß auch nicht den Hinweis, dass damit nur nationalistische Kräfte gestärkt würden.

Die Suche nach der kulturellen Identität prägt die polnische Gesellschaft

In der Migrantenfrage wird im Westen Europas sträflich unterschätzt, wie sehr das Suchen nach der kulturellen Identität die Gesellschaften prägt, die zwei Generationen zum Sowjetblock mit seiner geistigen Repression gehört haben, besonders auch in Polen. Dabei gibt es durchaus Ansatzpunkte, dass sich West- und Osteuropäer in der EU näher kommen. Beispielsweise erklärte die polnische Führung sich bereit, eine größere Anzahl von Flüchtlingen, deren Bedrohung außer Frage steht, aufzunehmen, nämlich Christen und Juden aus dem Orient. Dies wäre doch ein Anfang.

Über eines sollten die Straßenproteste in Polen nicht hinwegtäuschen: Das Regierungslager sitzt auf absehbare Zeit fest im Sattel, die Opposition ist schwach und zerstritten. Der Anführer der spontan entstandenen Massenbewegung KOD hat sich als kleiner Gauner entpuppt, der in die eigene Tasche gewirtschaftet hat. Die oppositionelle konservative Bürgerplattform (PO), die kurioserweise in einem Teil der westlichen Medien das Etikett "liberal" bekommt, muss sich neu aufstellen; nach dem Weggang ihres starken Manns Donald Tusk, der in Polen ein innenpolitisches Chaos hinterlassen hat, weist sie weder glaubwürdige, noch charismatische Führungsfiguren auf.

In den anderen EU-Staaten, auch in der Bundesrepublik, hat man zu lange den Fehler gemacht, die Nationalkonservativen um Kaczyński, deren Wirtschaftspolitik übrigens klassisch sozialdemokratisch ist, nicht ernst zu nehmen oder gar zu ignorieren. Sie wurden kaum zu Konferenzen eingeladen, nicht in binationale oder internationale Gremien und Stiftungen eingebunden. Man hat so die Chance versäumt, ihnen das Funktionieren der EU, aber auch die heutigen Deutschen näher zu bringen.

Die deutsche Botschaft in Warschau: Abladeplatz für unliebsame Diplomaten

Die deutsche Botschaft in Warschau war immer wieder ein Abladeplatz für Spitzendiplomaten, die die Außenminister nicht auf anderen Posten sehen wollten. Es hatte nach der Eröffnung der deutschen Botschaft unter Willy Brandt 1972 fast vier Jahrzehnte gedauert, bis das Auswärtige Amt es 2011 endlich erstmals schaffte, einen gut Polnisch sprechenden Botschafter an die Weichsel zu entsenden. Für Paris oder Rom wäre es undenkbar, dass der deutsche Botschafter nicht exzellent Französisch oder Italienisch spräche.

Es ist keineswegs so, dass die PiS Polen aus der EU führen möchte, das Land ist auf die Zuschüsse angewiesen. Auch in der ersten Kaczyński-Regierung vor einem Jahrzehnt zeigte sich Warschau aller emotionaler Spannungen um meist drittrangige Fragen zum Trotz letztlich doch pragmatisch. Hier sollten die EU und auch Berlin weitermachen. Aufgrund ihrer tragischen historischen Erfahrungen haben Polen traditionell ein sehr stark ausgeprägtes Ehrgefühl. Diesem Respekt zu zollen, ist die Voraussetzung, um Kompromisse zu finden, Drohungen und Hysterie vor allem aus deutschem Munde bewirken das Gegenteil.

Der Weg über Präsident Duda erscheint da vielversprechend: Dudas Frau ist Germanistin, er selbst hat sie in der Vergangenheit viele Male bei deutsch-polnischen Schulbegegnungen begleitet; er ist zweifellos proeuropäisch eingestellt und hat ein positives Deutschland-Bild.

Und schließlich sollte man nichts unversucht lassen, um auch mit Jarosław Kaczyński direkt zu reden. Dieser möchte keineswegs einen katholischen Gottesstaat errichten, sondern einen Staat mit einer korruptionsfreien Verwaltung. Allerdings hat er dafür nicht den richtigen Weg eingeschlagen.

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