Wandern mit Teenagern:Wenn der Berg nervt

Reise Berg nervt

Illustration: Alper Özer

Früher war der Sohn als erster am Gipfel, heute lässt er sich bitten. Es gibt ja schließlich kein Wlan beim Aufstieg. Was ist passiert? Die Pubertät. Was kann man tun, wenn locken, mitreißen und erpressen nicht mehr hilft? Einiges!

Von Violetta Simon

Seit es einigermaßen geradeaus laufen kann, hat das Kind seine Eltern in die Berge begleitet. Begeistert und ausdauernd hüpfte es von Stein zu Stein, wurde auf dem Weg zum Gipfel immer wieder motiviert, fotografiert, auch mal getragen - und schließlich mit einem Kracherl und einem Kaiserschmarrn belohnt.

Die Einkehr ist bis heute ein wesentlicher Faktor beim Bergsteigen geblieben - für die Motivation der Eltern. Dem Kind kann das Kracherl und der Kaiserschmarrn in luftiger Höhe inzwischen gestohlen bleiben. Missmutig stapft es hinter seinen Erzeugern her, Kopfhörer im Ohr, die personifizierte Lustlosigkeit auf Beinen. "Warum habt ihr mich hierher verschleppt", fragt der vorwurfsvolle Blick.

Was passiert ist? Nun, die Pubertät: Zwischen dem Jungen und den einst heiß geliebten Bergen steht eine Wand aus Hormonen.

Auslöser für die aktuelle Krise: eine Woche Urlaub im Kaisergebirge, eine Woche Wlan-freie Zone. Für Erwachsene ein Traum, ein Albtraum für einen 13-Jährigen. "Eins sage ich euch, das ist das letzte Mal, dass ich da mitfahre", verkündet er nach den ersten hundert Metern auf der Salzburger Autobahn. Das großzügige Angebot, einen Freund mitzunehmen, hatte er entsetzt ausgeschlagen: "Seid ihr irre? So lange ohne Internet - das kann ich doch keinem zumuten!"

Am Drahtseil herrscht im Kopf mediale Sendepause. Und die Familie wird zum Team

Die Eltern schauen sich an. Ist es also schon so weit? Das ging schnell.

Machen wir uns nichts vor: Alles hat seine Zeit. Die ersten Jahre lassen sich Kinder noch mitreißen ("Schau mal, da oben: eine Bergelfe!"), verlocken ("Am Gipfel gibt es ein Eis"), überreden ("Komm schon, die Aussicht da oben ist sicher gaaanz toll"), notfalls erpressen ("Dann ist ,Minecraft' aber gestrichen!"). Doch irgendwann ist Schluss, darauf sollte man sich einstellen.

Bis dahin gibt es allerdings durchaus ein paar Motivationshilfen, die im Übrigen auch den Eltern neue Perspektiven eröffnen. Zum Beispiel gewinnen Berge eindeutig an Attraktivität, wenn man sie nicht erwandern muss, sondern erklettern kann. Eisenleitern und Drahtseile machen aus einer Bergtour ein Abenteuer.

Klettersteige führen entlang an Wasserfällen (zum Beispiel der recht anspruchsvolle Klettersteig am Dalfazer Wasserfall am Achensee), durch Schluchten (zum Beispiel das Schluchtenscheißerl in der ebenfalls anspruchsvollen Ottenalm-Direttissima im Kaisergebirge) - oder beides (zum Beispiel der Höllenrachen - ein kurzer und einfacher, aber spektakulärer Steig, der über tosendes Wasser in eine Höhle führt).

Man findet sie in sämtlichen Bergregionen und allen möglichen Schwierigkeitsgraden, vor allem in sicherem Abstand zu den unliebsamen Forstwegen und ausgetretenen Wanderpfaden. Und das Schönste: Beim Suchen von Tritten und Platzieren von Karabinern herrscht im Kinderkopf vorübergehend mediale Sendepause: kein Platz für Whatsapp und Snapchat. Der Weg wird zum Ziel, die Familie zum Team. Und so mancher Vater, so manche Mutter wird sich wundern, wie diszipliniert und konzentriert das Kind auf einmal bei der Sache ist, wenn es im Krebsgang auf einem Drahtseil eine Schlucht überquert.

Aufgeben? Oder den Abenteuerfaktor erhöhen?

Es ist also durchaus möglich, sein Kind am Berg noch ein paar Jahre dabei zu haben. Ist der Sohn oder die Tochter dem Klettergurt in Kindergröße jedoch entwachsen, sollte man eine Neuanschaffung gut überdenken. Und dann, was tun: Nachgeben? Aufgeben? Oder den Joker ziehen - und den Abenteuerfaktor ein weiteres Mal erhöhen.

In dem Fall wird man allerdings einige Prinzipien vorübergehend auf Eis legen müssen. Zum Beispiel, dass man in den Bergen zu Fuß geht. Will man Teenager in Richtung Gipfel bewegen, sollte man zu Kompromissen bereit sein, was den Rückweg betrifft - und damit ist nicht die Gondel gemeint. Selbst die Fahrt im Schlitten einer Sommerrodelbahn wie beispielsweise am Blomberg oder am Hocheck kann als öde abgetan werden. Da ist schon etwas mehr Fantasie gefragt. Vom Kitzbüheler Horn bei St. Johann in Tirol etwa führt nicht nur ein beeindruckender Klettersteig, sondern auch eine gut fünf Kilometer lange Piste wieder hinunter, die man mit Mountaincarts entlangbrettern kann. Die überdimensionalen Dreiräder brauchen weder Motor noch Pedale, denn in Fahrt kommen sie ganz von selbst. Helm, Scheibenbremsen und Fangzäune sorgen dafür, dass der Spaß nicht ausartet. Nach einer knappen halben Stunde Abfahrtsgerüttel steht im elterlichen Körper zwar kein Knochen mehr auf dem anderen. Dafür ist der Teenager begeistert.

Gelenkschonender und zugleich wesentlich schneller - aber auch teurer - kommt man mit dem Flying Fox ins Tal. Solche Stahlseilrutschen sind unter anderem in Leogang im Salzburger Land, am Hocheck bei Oberaudorf oder an der Alpspitz im Allgäu zu finden. Sitzend oder bäuchlings eingehängt, fliegt man mit bis zu 140 Sachen über Wälder und Almen.

Wer diese Art der Bespaßung nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, möge sein Glück mit der Methode "Verhandeln und Kompromisse" versuchen. Vereinbaren Sie, dass jeden Tag ein anderes Familienmitglied für die Freizeitgestaltung zuständig ist. Bieten Sie Ihrem Kind an, dass es zum Ausgleich für jede Wanderung einen Tag nach seinen Vorstellungen verbringen darf - sei es Spaßbad, Kino oder Rumhängen. Statt traditionell einzukehren, kann man nach der Bergtour selbst gemachte Burger grillen.

Das Ganze funktioniert allerdings nur bei einer gewissen Bereitschaft. Vielleicht wird man keine Begeisterungsstürme ernten mit der Botschaft "Kinder, heute geht's in die Berge!" Aber es ist möglich, dass die anfängliche Unlust sich in die Erkenntnis verwandeln kann, dass der Tag "trotz allem eigentlich ganz okay war".

Auch die drohende Krise im Kaisergebirge konnte auf diese Weise umschifft werden.

Mit etwas Glück fällt auf der Hütte das Internet aus. Und alle spielen Mau Mau

Doch was, wenn ein ganzes Wochenende bevorsteht? Ein 13-Jähriger ist in der Regel noch zu jung, um ihn drei Tage und zwei Nächte alleine zu Hause zu lassen - auch wenn er das anders sieht. Hier empfiehlt sich eine Hüttenwanderung, idealerweise mit Familien, die Kinder im selben Alter haben. Zwei Tage Felsen, Geröllfelder, Klettersteige; zwei Nächte Matratzenlager oder Stockbetten.

"Also gut, wenn es sein muss", sagt der Teenager. "Aber nur, wenn ein Freund mitkommt." Die Eltern atmen erleichtert auf. Wenn's weiter nichts ist.

Auf dem Rücksitz werden unter den Jugendlichen beunruhigende Fakten ausgetauscht und Bedenken erörtert. "Boah, wahrscheinlich gibt es auf so einer Hütte nirgends Steckdosen, außer auf der Toilette." - "Keine Panik, ich habe drei Powerbanks dabei." - "Bestimmt haben die nicht mal Internet." - "Aber dafür habe ich sechs Spiele auf mein Handy runtergeladen."

Mit ein wenig Glück hat die Hütte dann doch Wlan-Anschluss, wie zum Beispiel das Solsteinhaus im Karwendel oder die Oberland Hütte in den Kitzbüheler Alpen. Mit noch mehr Glück fällt das Internet immer wieder aus, sodass sich am Ende des Tages alle an einem Tisch versammeln und eine beinahe vergessene Tradition aufleben lassen: Mensch ärgere dich nicht, Halma, Mau Mau spielen.

Sicher kein Wlan und auch kein warmes Wasser hat die Nördlinger Hütte im Karwendel. Sie befindet sich auf 2238 Metern Höhe. Dafür hat der Wirt Sinn für Humor (das Waschbecken und die Klokabine werden als "Wellnessbereich" ausgewiesen) und die Zimmer mit Daunenbettdecken sind gemütlich. Und wenn einem am nächsten Morgen der Sonnenaufgang in der Bergkulisse den Atem verschlägt, lassen sich sogar die Teenager zu einem kollektiven "Wow" hinreißen.

Das ist der Moment, der einem später dabei helfen wird, das Richtige zu tun: Loslassen, alleine weitersteigen und fest daran glauben, dass die Berge noch immer stehen werden, wenn es so weit ist: Dass beim Kind, das dann längst kein Kind mehr ist, die Lust auf den Berg zurückkehrt.

Klettersteige und Hochseilgärten: Eine Auswahl an Klettersteigen, die über Seilbrücken und Schluchten führen, bietet die Webseite www.bergwelten.com. Eine reizvolle Alternative für Anfänger sind Hochseilgärten, die oft auch mit dem Sessellift zu erreichen sind. Die Anlage Area 47 im Ötztal etwa verläuft unterhalb einer Brücke über die rauschende Ache. Der Waldseilgarten in Oberaudorf am Hocheck ist beschaulicher. Die Bewegung auf Seilkonstruktionen, Netzen und Holzbalken fördern Konzentration und Feinmotorik. Da die Parcours in der Regel auf unterschiedlichen Höhen verlaufen, eignen sie sich für jedes Niveau und die ganze Familie.

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