Umzugsgeheiß für Flüchtlinge:"Sonst drohen wir Zwang an"

Gut integrierte Asylbewerber müssen von kleinen Gemeinden in Großunterkünfte umziehen, etwa von Egling nach Geretsried. Die Helfer sind einmal mehr schockiert.

Von Claudia Koestler

Plötzlich muss alles ganz schnell gehen: Kleidung in eine Tasche stopfen, Unterlagen zusammenraffen, Spielzeug in Tüten verstauen und alles ab in den Kofferraum der Helfer. In einer Hauruck-Aktion müssen derzeit Asylbewerber aus kleinen Unterkünften in Gemeinden ihre Sachen packen und umziehen - den Anfang machen Flüchtlinge in Egling. Viele von ihnen haben nämlich kürzlich Post von der Regierung von Oberbayern erhalten mit einer Aufforderung, in große Gemeinschaftsunterkünfte etwa in Geretsried zu wechseln. In manchen Fällen lagen zwischen Zustellung des Bescheids und dem angeordneten Umzugsdatums nicht einmal drei Tage.

Dass bereits in der Gemeinde integrierte Asylbewerber so Knall auf Fall ihre gewohnte Umgebung verlassen sollen, schockiert die Freiwilligen der Eglinger Helferkreise: "Das ist eine absolute Ohrfeige", sagt Katharina Bernlochner, Asylkoordinatorin in Egling. Die Ehrenamtlichen seien "wütend, frustriert und traurig". Denn nicht nur werde den Asylbewerbern viel zu wenig Zeit für die Umzüge eingeräumt. Viele der Betroffenen wollen ihre inzwischen gewohnte Umgebung und ihre dezentralen Herbergen nicht gegen meist kleinere Zimmer in Großunterkünften mit bis zu 250 weiteren Asylbewerbern eintauschen. Die Helfer sind aber auch verärgert, weil sie nicht vorab über den Unterkunftswechsel informiert wurden, nun aber in aller Eile die Umzüge stemmen müssten.

Obendrein, so betont Bernlochner, konterkariere die Aktion jegliche Integrationsbemühungen und -erfolge der Ehrenamtlichen in der Asylarbeit. "Wir haben uns zwei Jahre um Integration vor Ort bemüht, jetzt wird dies durch solche Aktionen zunichte gemacht", sagt die Asylkoordinatorin. Zum Beispiel mussten die Flüchtlinge mit Nachbarn oder bei Aktivitäten im Ort Deutsch reden oder sich zumindest bemühen. In den Gemeinschaftsunterkünften bestehe dazu kaum mehr Notwendigkeit, wenn Landsmänner und -frauen in einer Unterkunft unter sich sind und sich einfacher in der Muttersprache verständigen können.

Umzugsgeheiß für Flüchtlinge: Bislang lebten Asylbewerber in Egling in dezentralen Unterkünften und fühlten sich dort wohl und integriert. Nun müssen einige von ihnen mit ihren Kindern in die Großunterkunft nach Geretsried umziehen und dafür Arbeitsstellen und Betreuungsplätze aufgeben.

Bislang lebten Asylbewerber in Egling in dezentralen Unterkünften und fühlten sich dort wohl und integriert. Nun müssen einige von ihnen mit ihren Kindern in die Großunterkunft nach Geretsried umziehen und dafür Arbeitsstellen und Betreuungsplätze aufgeben.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Eines betont Bernlochner: "Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir die Leute nicht umziehen lassen wollen." Aber: "Die Sinnhaftigkeit und Art und Weise ist das Problem." Zum Beispiel bei Joana, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die Nigerianerin ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und hatte die Flucht nach Europa angetreten, weil sie in ihrem Land als Sklavin verkauft wurde, aber entkommen konnte.

Seit knapp zwei Jahren lebte sie nun in der Gemeinde Egling und hatte sich in ihrer dezentralen Unterkunft gut eingelebt. Sie und ihre Kinder hatten Räume jeweils für sich. Das Umzugsgeheiß nach Geretsried in die Gemeinschaftsunterkunft war für die Familie "ein Schock", wie Joana sagt. Nicht nur, weil die Familie nun dort wesentlich weniger Platz hat. Für die beiden jüngeren Kinder sei es ebenfalls emotional schwierig, plötzlich den Kindergarten zu wechseln.

In Egling fallen diese Plätze nun weg, während sie in Geretsried schwer zu finden sind. "In einer anderen nigerianischen Familie musste eine sechsjährige Tochter aufgrund des Umzugsbescheids sogar noch die Schule wechseln, so kurz vor den Ferien", sagt Bernlochner.

Noch im Mai hätte das Landratsamt den Asylkoordinatoren versichert, dass die dezentralen Unterkünfte nicht aufgelöst würden. So könne man doch nicht mit Menschen umgehen, ärgert sich Bernlochner über den Paradigmenwechsel. Sie kritisiert, dass den Helfern gedankt werde, indem man sie vor vollendete Tatsachen stelle: nämlich die Umzüge zu bewältigen. "Die offizielle Seite verlässt sich wieder auf die Ehrenamtlichen." Die leisteten seit Jahren beste Arbeit. Mit solchen Aktionen aber würden sie verprellt, nicht motiviert, gibt die Asylkoordinatorin zu bedenken: "Man macht damit die Leute mürbe."

Nach Angaben des Landratsamtes erfolgten die derzeitigen Umzüge "gemäß des Ministerratsbeschlusses vom vergangenen Sommer, der auch für das Handeln des Landratsamtes maßgeblich ist." Allerdings erhielten nicht alle Asylbewerber derzeit solche Aufforderungen, wie die Kreisbehörde erklärt: "Die Auswahl erfolgt nach sozialen Gesichtspunkten." Beispielsweise sei wichtig, ob jemand, der arbeitet, weiter seinen Arbeitsplatz gut erreichen kann. Kindern sollte der Schulwechsel erspart bleiben. Das Landratsamt wähle Personen im Vorfeld nach solchen Kriterien aus und meldet diese der Regierung. "Die Regierung weist die Personen dann den Unterkünften zu und versendet die Bescheide circa zehn bis 14 Tage im Vorfeld", heißt es seitens des Landratsamts.

Auszug aus der Umzugsaufforderung für Eglinger Asylbewerber

Helfer kritisieren die Sinnhaftigkeit der Aktion.

(Foto: Claudia Koestler)

Hilfen für den Umzug gebe es nur in Ausnahmefällen, etwa bei Behinderung: "Ansonsten sind die Asylbewerber selbst für den Ortswechsel verantwortlich, da die Fahrtkosten in ihren monatlichen Leistungen enthalten sind." Das aber ist aus Sicht Bernlochners zu kurz gedacht und nicht so einfach zu bewerkstelligen: "Die Asylbewerber haben hier Kinder gekriegt, die haben in zwei, drei Jahren Habseligkeiten angesammelt. Eine Frau mit drei Kleinkindern kann nicht mit dem Bus umziehen, bei aller Selbständigkeit." Bleibt die Frage, was nun mit den dezentralen Unterkünften wie etwa in Egling passiert, insbesondere, wenn dort unbefristete Mietverträge abgeschlossen wurden. Das Landratsamt spricht hierzu von "Spielraum" für weitere Asylbewerber, respektive für die Unterbringung von Fehlbelegern.

Dass im Fall von Joana die sozialen Gesichtspunkte wie der Kindergartenwechsel der Jüngsten nicht zum Tragen kamen, lässt Bernlochner ratlos zurück. "Wieder ein Beispiel dafür, dass es doch klüger wäre, uns Helfer einzubinden in solche Entscheidungen." Das aber sei nicht geschehen, wie auch der Bescheid keine zehn bis 14 Tage vorher angekommen sei. Inzwischen haben die Helfer der Gemeinde Egling unter großen persönlichen Mühen in zig privaten Fahrten Joanas Hausstand nach Geretsried gebracht. Joanas Wunsch aber bleibt: "Ich möchte so gerne wieder zurück. Es war für uns einfach besser in Egling."

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