Prozess:56-Jähriger soll Frau am U-Bahnsteig mit Wodka-Flasche angegriffen haben

  • Ein 56-Jähriger soll im Januar dieses Jahres am U-Bahnsteig am Hauptbahnhof eine Frau mit einer leeren Wodka-Flasche geschlagen haben.
  • Bei der Verhandlung des Falles vor dem Münchner Amtsgericht räumt der Angeklagte ein, vor dem Vorfall mehrere Flaschen Wodka getrunken zu haben.

Von Susi Wimmer

Manche Leute gehen ins Kabarett, eine wesentlich kostengünstigere Variante der Unterhaltung ist an der Nymphenburger Straße beheimatet. Wenn etwa ein Angeklagter im Brustton der Überzeugung versichert, er sei quasi nüchtern gewesen, zwei Flaschen Wodka seien für ihr noch gar nichts, "in Polen hab ich das 40 Jahre lang getrunken". Oder wenn eine Richterin mit sanfter Stimme, später dann im Crescendo, am Telefon auf ein Opfer einreden muss, es möge doch bitte, bitte, zur Gerichtsverhandlung erscheinen. Dann ist man in den Sälen des Münchner Amtsgerichts angekommen.

Der ganze Zuschauerraum ist am Mittwochvormittag vollgestopft mit Schülern, im Sitzungssaal A 219 beginnt der erste Akt. Angeklagt ist Marek J., ein 56 Jahre alter Mann aus Polen, gelernter Konditor. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte gefährliche Körperverletzung und Beleidigung vor. Er soll im Januar dieses Jahres am U-Bahnsteig am Hauptbahnhof eine Frau mit einer leeren Wodka-Flasche angegriffen, diese soll den Schlag mit ihrer Hand abgewehrt haben. Nicht unwichtig für die Beweisaufnahme ist das Gutachten der Rechtsmedizin. "Aber wir kriegen keinen Sachverständigen", sagt Richterin Sylvia Silberzweig, "die Rechtsmedizin hat heute Betriebsausflug".

Dann erzählt Marek J., wie er am 26. Januar mit einem Freund ein paar Flaschen Wodka getrunken habe und gegen 16.45 Uhr mit der U-Bahn heimfahren wollte. Er stand vor der Zugtüre, das Piepen ertönte schon, da habe ihn von hinten eine Frau mit einer gelben Weste in den Zug geschubst. Da sei er ausgestiegen, habe von der Frau eine Entschuldigung verlangt, aber sie habe ihn provoziert.

"Rufen Sie die Polizei", verlangte er daraufhin. Und die kam dann auch. Von einem Schlag oder einer unflätigen Bemerkung gegenüber der Frau will er nichts wissen. "Vielleicht dachte sie, wenn ein Mensch betrunken ist, kann man ihn missachten", sagt er. Schlussendlich wolle er einen Lügendetektor-Test beantragen, dem die Dame und er sich unterziehen sollten.

"Der Lügendetektor bin ich", erwiderte Richterin Silberzweig. Sie habe die Videos vom Bahnsteig gesichtet, aber man könne mit den Bildern weder die Anklage noch die Aussage von Marek J. untermauern. "Die Videos haben keinen Beweiswert." Da die Geschädigte auf Vorladung nicht erschienen war, telefonierte die Richterin gut zehn Minuten lang mit dem Opfer und versuchte, es zum Kommen zu überreden. Vergeblich. Die Sitzung wurde vertagt. Vorhang. Ende erster Akt.

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