Ernährung:Bio-Basilikum aus dem Aquarium

Projekt Tomatenfisch

Tilapia in einem Aquaponik-System, das die Zucht von Fischen und Pflanzen verbindet.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Mitten in Berlin züchten Unternehmer Barsche und Kräuter im selben Wasser, die Fische liefern die Nährstoffe für die Pflanzen. Die Vision: der selbstversorgende Supermarkt.

Von Kathrin Zinkant, Berlin

Der Supermarkt der Zukunft steht dort, wo sich Echternacht- und Leschkestraße kreuzen. Ein modernes Gebäude mit zwei Etagen, die obere ist ganz aus Glas. Hinter den Scheiben schimmert es grün, hier wachsen Biogemüse, Salat und Kräuter direkt über den Köpfen der Kunden. Im Erdgeschoss gibt es die passenden Eiweißquellen, ökologisch direkt im Markt erzeugt, gefangen, ausgenommen und verpackt - Fisch, so frisch, dass er an der Kasse noch in Leichenstarre verharrt.

An einem schwülen Julitag sitzt Nicolas Leschke vor diesem Supermarkt, der natürlich nicht wirklich existiert, ebenso wenig wie die zwei Straßen, die nach ihm und seinem Geschäftspartner Christian Echternacht benannt sind. Der Markt samt Kreuzung hängt als Gemälde an der Wand des Büros von ECF-Farmsystems, am südöstlichen Rand des Berliner Stadtteils Schöneberg. Ob die Vision vom sich selbst versorgenden Supermarkt je Realität werden wird? "Es ist klar, dass wir nur einen Teil zur Lebensmittelproduktion beisteuern können", sagt Leschke. Das aber wollen er und Echternacht nicht nur in Berlin möglich machen.

Wenn der Fisch Stickstoff liefert, die Pflanze Stickstoff braucht - warum die zwei nicht verbinden?

Es ist knapp drei Jahre her, seit die Anlage auf dem Hof der Berliner Malzfabrik mit der Produktion des sogenannten Hauptstadtbarsches und verschiedener Gemüsepflanzen begonnen hat. Auf 1800 Quadratmetern, in einem Gewächshaus und einer Aquakultur, sind seither mehrere Dutzend Tonnen Buntbarsch und noch mehr Gemüse und Kräuter gewachsen, unter großem Beifall. Die Berliner und ihre Medien finden die Idee toll, dass man Fisch und Gemüse mitten in ihrer Stadt produzieren kann, zum Anfassen und auch noch nachhaltig. 90 Prozent Wasserersparnis gegenüber dem Landbau, extrem kurze Transportwege, 6 Tonnen weniger Plastik im Jahr als im konventionellen Betrieb - mit solchen Zahlen und einem witzigen Auftritt haben Leschke und Echternacht inzwischen auch die Supermarktkette Rewe überzeugt, die in einigen Berliner Filialen ihre Produkte vertreibt. Offenbar haben die beiden Unternehmer eine perfekte Lösung gefunden, um der globalisierten Lebensmittelindustrie ein neue Regionalität entgegenzusetzen, die kommerziell funktioniert. Mit einem Konzept, das wenige Menschen kennen. Es heißt Aquaponik.

Nur wenige Meter von dem großen Gewächshaus entfernt steht der weiße Container, mit dem die Farm vor fünf Jahren angefangen hat. "Wir haben uns für gutes Essen interessiert, für bewusste Ernährung", berichtet Leschke. An eine große Firma habe man nicht unmittelbar gedacht, sondern erst mal ausprobieren wollen, ob die Aquaponik für den Eigenbedarf funktioniert. Wie der Supermarkt der Zukunft hat der Container oben ein Gewächshaus mit Pflanzen, unten eine Aquakultur für Fisch.

Beide Techniken sind weit verbreitet in der modernen Agrarwirtschaft und nicht ganz problemfrei. Die Hydroponik kommt besonders im Urban Farming zum Einsatz und wird meist komplett ohne Erde betrieben. Neben aufwendiger Technik sind deshalb auch stickstoffhaltige Nährstoffzubereitungen nötig, damit die Pflanzen wachsen können. Die Aquakultur wiederum krankt am Überfluss der Nährstoffe. Nach Angaben des World Wildlife Fund for Nature (WWF) stammt heute fast jeder zweite Speisefisch aus der Aufzucht in Farmen. Kot, Urin aber auch Antibiotika, gelangen aus diesen Systemen oft direkt in natürliche Gewässer. In geschlossenen Systemen, in denen die Fische in Tanks wachsen und das Wasser recycelt wird, reichert sich stickstoffhaltiges Ammonium aus den Ausscheidungen an, und das ist giftig für die Fische.

Doch wenn der Fisch Stickstoff produziert und die Pflanze Stickstoff benötigt - warum nicht beide Produktionssysteme verbinden, so, wie es im Stoffkreislauf natürlicher Ökosysteme der Fall ist? Das ist die Idee der Aquaponik. Bereits in den 1980er-Jahren haben US-Wissenschaftler den Kreislauf zwischen Aquakultur und Hydroponik mit ein paar Hilfsmitteln geschlossen. Es wurden Biofilter entwickelt, um das Ammonium aus den Fischabwässern in Nitrat für die Pflanzen zu verwandeln. Man hat Sedimenter konstruiert, um Feststoffe abzuscheiden. Und man experimentierte mit verschiedenen Süßwasserfischen und Pflanzen, um die idealen Paarungen der Aquaponik zu finden. Tatsächlich gibt es seither in den USA auch viele Privatpersonen, die für den Eigenbedarf Aquaponik betreiben, im Grunde so, wie Leschke und Echternacht es vor gut fünf Jahren in Berlin versucht haben.

Die ultimative Herausforderung der Aquaponik sind Tomaten

Doch obwohl das alles ganz simpel klingt, reicht es eben nicht, ein paar Schläuche und Filter zusammenzustecken. Diese Erfahrung haben auch Leschke und Echternacht machen müssen, die sich nach eigener Angabe als "Autodidakten" auf dieses technisch recht anspruchsvolle Feld der Nahrungsmittelproduktion gewagt hatten. In ihrem ersten Aquaponik-Container wuchsen zwar Karpfen und einiges an Gemüse, aber so richtig wollten Fisch und Pflanze nicht harmonieren. Also suchte sich das Team Expertise aus der Forschung, vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, kurz IGB, in Berlin-Friedrichshagen.

Das Institut war 1992 aus verschiedenen Einrichtungen der ehemaligen DDR entstanden, bereits in den 1980er-Jahren hatte man sich auch dort mit der Aquaponik befasst und verschiedene Konzepte erforscht, um das Zusammenspiel von Fischen und Pflanzen zu optimieren. Die Aquaponik hat eben auch ihre Tücken. Einfache Kreisläufe leiten das Abwasser direkt vom Fisch zur Pflanze, entladen dort die nötigen Nährstoffe und führen das ungenutzte, gereinigte Wasser wieder den Fischen zu, ohne große Rücksicht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse beider Lebensformen. Tatsächlich aber mögen Kulturfische eher pH-neutrales Wasser, während einige Pflanzen besser bei einem leicht sauren pH-Wert gedeihen. Wobei sich pflegeleichte Gewächse wie Kräuter oder Salat kaum an solchen Diskrepanzen stören. Unterschiede in der Nährstoffkomposition des Wassers sind vor allem für anspruchsvollere Pflanzen wie Paprika oder Zucchini von Bedeutung - und für die Tomate, die Königsdisziplin der Aquaponik.

Neben dem Hauptstadtbarsch wird auch Hauptstadtbasilikum mit großem Erfolg vermarktet

"Wenn man Tomaten ernten kann, schafft man auch jedes andere Hydroponik-Gemüse", sagt Werner Kloas vom IGB. Kloas ist federführend für die Aquaponik am Institut verantwortlich und koordiniert ein europäische Projekt mit Namen INAPRO, das die gemeinsame Kultivierung von Fisch und Pflanze für den professionellen Einsatz erforscht, auch in Regionen der Welt, in denen Landwirtschaft aufgrund des Klimas schwierig ist. Hervorgegangen sei das Mammutvorhaben vor zehn Jahren aus einem Gespräch bei einer Tasse Kaffee. "Wir haben über neue Lösungsansätze gesprochen", erinnert sich Kloas. "Und irgendwann erzählt mein Kollege Bernhard Rennert von einem Zweikreislaufsystem, das er in der DDR entwickelt hatte und mit dem sich auch Tomaten in Aquaponik züchten ließen." Der Trick von Rennerts Konzept: Die Aquakultur wird nicht direkt mit der Hydrokultur verbunden, sondern lediglich über ein Ventil. So bleiben die Kreisläufe getrennt - und lassen sich auch jeweils auf die Ansprüche von Pflanze und Tier optimieren.

Im sozialistischen Deutschland hatte man sich für Rennerts Nachhaltigkeitsprojekt nicht erwärmen können, es landete in der Schublade. Am IGB aber dauerte es nach dem Pausengespräch im Jahr 2007 nur Monate, bis die Wissenschaftler Forschungsgeld beschafft und die erste Anlage gebaut hatten. Sie nannten das Projekt "Tomatenfisch" und meldeten ihr Zweikreislauf-System 2008 zum Patent an. Zum Patentanspruch gehört auch eine Kühlfalle, die das verdunstete Wasser aus dem Pflanzenkreislauf zurückgewinnt und wieder den Fischen zuführt. Damit wird noch mehr Wasser gespart. ECF-Farmsystems hat die Kühlfalle des patentierten Modells weggelassen, über den Rest ihrer Aquaponik-Anlage sagt Christian Echternacht, die Systeme ähnelten einander, würden sich "im Detail" aber unterscheiden. Welche Details das sind, könne er nicht sagen. 2015 hatte das IGB die Kooperation beendet, weil man "unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen" verfolge.

Im Gewächshaus der ECF-Farm gedeiht unterdessen kein Gemüse mehr, sondern seit Februar ausschließlich Basilikum, 8000 Töpfe pro Woche. Dass ein ausgefeiltes Zweikreislaufsystem dafür nach wissenschaftlicher Einschätzung gar nicht nötig ist, kommentiert ECF-Sprecher Echternacht sehr allgemein. "Grundsätzlich sind wir im Zwei-Kreislauf System gegenüber einem Einkreislaufsystem wesentlich flexibler." Das Aquaponik-Konzept der Stadtfarm verfängt ja weiter, die beiden Unternehmer empfangen mittlerweile Interessenten aus ganz Europa. Und neben dem Hauptstadtbarsch bringen sie eben auch das Hauptstadtbasilikum mit großem Erfolg an die Kunden. "Wir schlagen sogar bio - obwohl unser Basilikum noch etwas teurer ist ", sagt Leschke stolz.

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