Allgemeine Geschäftsbedingungen:Das will keiner lesen

Allgemeine Geschäftsbedingungen: Die Menschheit - hier symbolisiert durch Legofiguren - hat die Chance, dem Desaster noch zu entgehen, meint Harald Welzer.

Die Menschheit - hier symbolisiert durch Legofiguren - hat die Chance, dem Desaster noch zu entgehen, meint Harald Welzer.

(Foto: Graham Barclay/Bloomberg)

Die langen AGB-Texte im Internet sind schlimm. Es gibt Ideen, wie Unternehmen das juristische Kleingedruckte besser formulieren können. Jetzt müssen die Firmen nur noch mitmachen.

Von Felicitas Wilke

Auf einmal ist alles verständlich. Und das fühlt sich nicht beruhigend an. Wer Fotos und Videos hochlädt, das lässt Instagram seine Nutzer wissen, der besitze diese zwar weiterhin, aber "wir können andere überall auf der Welt sie auch verwenden lassen". Der Dienst darf außerdem: Anderen Unternehmen verraten, wer wessen Freunde sind, und wer welche Vorlieben hat. Und "dir Anzeigen zusenden", die zu diesen Vorlieben passen. "Du kannst uns nicht davon abhalten."

Im Auftrag der britischen Kinderbeauftragten hat die Rechtsanwältin Jenny Afia Anfang 2017 die Nutzungsbedingungen von Instagram übersetzt; von mehr als zehn Seiten juristischem Fach-Englisch in eine Seite mit Sätzen, die auch die vielen jugendlichen Nutzer des Fotodienstes und Nicht-Juristen verstehen können. Erst auf diese Weise dürfte manchen klar geworden sein, worauf sie sich einlassen. Genug zu tun gäbe es für die Anwältin auch hierzulande. Eine Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet zeigt, dass 60 Prozent der Befragten das Kleingedruckte nicht oder kaum lesen. Der Grund liegt für viele in der schwierigen Sprache und den zu langen Texten.

"Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen vieler Unternehmen bewegen sich auf dem sprachlichen Niveau einer Doktorarbeit in Politikwissenschaften", sagt Frank Brettschneider. Der Professor der Universität Hohenheim prüft seit Jahren die Texte von Unternehmen auf ihre Verständlichkeit. Während Firmenchefs mittlerweile anschaulicher kommunizieren und auch die Broschüren und Webseiten der Konzerne leichter zu verstehen sind, tue sich bei den AGB wenig. "Die Sätze bestehen teilweise aus mehr als 100 Wörtern und sind stark verschachtelt", kritisiert Brettschneider. Statt aktive Verben zu verwenden, tummelten sich im Kleingedruckten zudem Wortungeheuer im Nominalstil, sie heißen Vermögensverhältnis, Werthaltigkeit, Geschäftsbedingung.

Dabei sollen die AGB die Dinge eigentlich gar nicht komplizierter machen als sie sind. Ihr Zweck liegt qua Bürgerlichem Gesetzbuch darin, Vertragsbedingungen "für eine Vielzahl von Verträgen" vorzuformulieren statt sie jedes Mal individuell festlegen zu müssen. Verstehen kann sie fast niemand, weil oftmals alle denkbaren Eventualitäten ins Kleingedruckte aufgenommen werden, die in einem Vertragsverhältnis auftreten können. "Wenn sich in ihren AGB Formulierungen finden, die man zum Nachteil der Verbraucher auslegen könnte, laufen die Unternehmen Gefahr, von Konkurrenten, der Wettbewerbszentrale oder der Verbraucherzentrale abgemahnt zu werden", sagt der Berliner Rechtsanwalt Thomas Schwenke. Jede Eventualität entspricht also etwa einem Schachtelsatz. "Im Zweifel formulieren die Juristen die AGB lieber unverständlich und rechtssicher als verständlich und abmahnbar", sagt Schwenke.

Im Zweifel drücken sich Firmen lieber unverständlich aus, aber sparen sich eine Abmahnung

Mit gutem Willen und einem kleinen Budget könnten die Unternehmen dennoch einen Schritt auf ihre Kunden zugehen. Rechtsanwalt Schwenke hat bereits im Auftrag von Firmen deren AGB in verständliches Deutsch übersetzt und aus langen Absätzen mit mehr als 200 Wörtern fünf kurze und einfache Sätze gemacht (siehe Kasten). Die verständlichen AGB können die unverständlichen zwar nicht ersetzen, sondern nur ergänzen, um als Unternehmen juristisch auf der sicheren Seite zu bleiben. Dennoch würden die Verbraucher dann schon eher ahnen, worum es geht.

Das Problem: Der gute Wille fehlt oft. Denn solange es für die Unternehmen keinen Anreiz gibt, nachvollziehbarere Geschäftsbedingungen zu formulieren, ändern sie auch nichts, sagt Schwenke. Diese Erfahrung hat auch Kommunikationswissenschaftler Brettschneider gemacht: "Die AGB sind ein wunder Punkt bei vielen Unternehmen", sagt er. Selbst wenn sie in anderen Bereichen daran arbeiteten, verständlicher zu kommunizieren - bei den AGB höre es auf. Sich mit der Rechtsabteilung auf kurze, juristisch saubere Sätze zu einigen ist komplex, argumentierten sie, und: Es liest ja ohnehin kaum jemand. Beim Beispiel Instragram kann man zudem vermuten, dass das Unternehmen gar nicht aufzeigen will, wie viele Daten die Nutzer aus der Hand geben. In diesen Fällen kommunizieren Konzerne aus taktischen Gründen unverständlich.

Doch auch die Verbraucher tragen zu komplexen AGB bei, indem sie einfach auf "bestätigen" klicken statt sich beim Unternehmen über unverständliche Sätze zu beschweren. Das kann schief gehen: Vor zwei Wochen willigten bei einem Festival in Manchester 22 000 Menschen ein, im Gegenzug für Wlan 41,7 Tage lang die Toiletten vor Ort zu putzen. Mit der Aktion wollte der Netzbetreiber Purple die Besucher sensibilisieren, das Kleingedruckte genauer zu lesen. Die gute Nachricht: Hierzulande könnte man die Festivalbesucher nicht dazu zwingen, zum Wischmopp zu greifen. Das Gesetz schützt Verbraucher davor, Dinge tun zu müssen, mit dem sie nicht hätten rechnen können, sagt Anwalt Schwenke. Der Gesetzgeber ahnt also selbst, dass nicht jeder eifrig die AGB liest. Das ändert aber nichts daran, dass Instagram alles darf, was es in seinen ellenlangen Nutzungsbedingungen schreibt. Und dass es die wenigsten Menschen zu interessieren scheint.

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