Geldpolitik:Hoch gestapelt

EZB-Zentrale in Frankfurt am Main

Wer baut die höchsten Türme in Euroland? Das EZB-Gebäude in Frankfurt am Main, hier reflektiert von einem Spiegel.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Europäische Zentralbank häuft Staatsanleihen in Massen an. Das könnte juristisch heikel werden: Es gibt Klagen beim Bundesverfassungsgericht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Europäische Zentralbank hat die Finanzwelt mal wieder vertröstet. Im Herbst soll entschieden werden, wie es weitergeht mit der extrem lockeren Geldpolitik. Monat für Monat kauft die EZB für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und an-dere Papiere. Rechnet man dies in Stapel aus 500-Euro-Scheinen um, dann ergäbe dies 60 Türme monatlich, jeder so hoch wie das neue EZB-Gebäude in Frankfurt - 200 Meter. Bis zum Jahresende wird wei-tergebaut, mindestens. Und es mehren sich die Mahnungen, die Sache langsam zu einem Ende zu bringen, aus ökonomischen Gründen. Über die rechtlichen Grenzen des EZB-Mandats wird dagegen kaum gesprochen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht hatten juristische Leitplanken für die Geldpolitik der Zentralbank errichtet, aber die waren weit gesteckt. Juristisch ist also alles in Ordnung. Oder?

Es könnte sein, dass dieser Eindruck täuscht. Beim Bundesverfassungsgericht sind nämlich noch mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Wie stets, hat der CSU-Politiker Peter Gauweiler geklagt, vertreten durch seinen kongenialen Partner, den Freiburger Professor Dietrich Murswiek. Hinzu kommen drei Klägergrup-pen, die von den Professoren Christoph Degenhart, Markus Kerber und Karl Albrecht Schachtschneider vertreten werden, ebenfalls alte Bekannte aus früheren Verfahren. Sowie eine Gruppe um den Ökonomie-Professor Bernd Lucke, der einst die AfD gegründet und sie dann verlassen hatte. Mit einer Entscheidung aus Karlsruhe ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung noch im August zu rechnen. Und weil die Richter stets skeptisch beobachten, ob die Währungshüter wirklich auf dem Pfad der geldpolitischen Tugend wandeln, könnte damit die Debatte über die Grenzen des EZB-Mandats neu entfacht werden.

Ist das noch Geldpolitik zur Wahrung der Preisstabilität? Oder verbotene Haushaltsfinanzierung?

Denn es war der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle und mit dem fürs Europarecht zuständigen Peter Huber, der im Spiel um die EZB-Kompetenzen den ersten Zug ausgeführt hat. Im März 2014 legte das Karlsruher Gericht dem EuGH die Frage vor, ob sich das 2012 angekündigte OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") der EZB zum notfalls unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen noch innerhalb der Europäischen Verträge bewegt. Es war die erste und bisher einzige Vorlage des Verfassungsgerichts an den EuGH - und das höchstrichterliche Pingpong-Spiel endete zur Karlsruher Zufriedenheit: Der EuGH entschied, dass die eigentlich unabhängige EZB letztlich doch unter gerichtlicher Kontrolle stehe. Ihr geldpolitischer Spielraum blieb nach dem Urteil groß. Aber er ist nicht unendlich.

Die große Frage für das neuerliche Verfahren lautet: Ruft das Verfassungsgericht erneut den EuGH an? Es wäre jedenfalls eine gute Gelegenheit - Karlsruhe könnte die Probe aufs Exempel machen. Denn während es im OMT-Verfahren letztlich bei Mario Draghis legendärer Ankündigung "whatever it takes" geblieben war, haben es die Richter nun mit einem Kaufprogramm im Realbetrieb zu tun, noch dazu mit einem, das schwindelerregende Höhen erreicht - bis zum Ende des Jahres summiert es sich auf knapp 2,3 Billionen Euro. Dietrich Murswiek, der das Bild mit den Geldstapeln ersonnen hat, kommt auf einen 456 Kilometer hohen Turm aus 500er-Scheinen. Damit ist man weit draußen im Weltall, auch ökonomisch.

Ist das noch Geldpolitik zur Wahrung der Preisstabilität, die der EZB obliegt? Oder ist es verbotene Haushaltsfinanzierung? Es scheint so, als habe sich auch unter den Befürwortern der EZB-Linie längst ein augenzwinkerndes Einverständnis herausgebildet, dass die Zentralbank damit zwar ihr Mandat aus den Europäischen Verträgen überdehne und sich auf dem verbotenen Terrain der Wirtschaftspolitik bewege, aber den Staaten und Unternehmen letztlich billiges Geld verschaffe. Und wer profitiert, kritisiert nicht gern.

Juristisch ist die Sache trotzdem kompliziert. Denn Kontrolle hin oder her: Natürlich kann es für eine unabhängige Zentralbank keine juristische Detailaufsicht geben, noch dazu in einem Gebiet, in dem die Fachleute einen Spielraum für ökonomische Beurteilungen behalten müssen. Wie also definiert man die Grenzen?

Die beiden Gerichte haben dazu einen Kriterienkatalog für die rechtliche Prüfung herausgearbeitet. Wichtigster Punkt: Staatsanleihenkäufe am Sekundärmarkt dürfen nicht vorher angekündigt werden. Das nun laufende Programm hat indes klar umrissen, wie viel und was gekauft wird; das Volumen steht fest, ebenso der Länderschlüssel, nach dem gekauft wird. Ist das bereits ein Verstoß gegen das Ankündigungsverbot? Murswiek sieht das so, und zwar deshalb, weil die Ankäufe - wiewohl im Detail nicht festgelegt - letztlich berechenbar seien. Die Finanzierungskonditionen würden damit unter das Marktniveau gedrückt.

Aus ähnlichen Gründen haben die Gerichte eine Mindestfrist zwischen der Emission der Anleihen und ihrem Ankauf auf dem Sekundärmarkt gefordert. Aber weil die EZB die Frist geheim halte, sei weder ihre Einhaltung noch überhaupt ihre Existenz überprüfbar, kritisiert Murswiek. Als weiteres Prüfkriterium gilt schließlich, die EZB solle Staatsanleihen nicht bis zur Endfälligkeit halten. Der Freiburger Professor argumentiert, dass die Zentralbank in einer strukturellen Falle sitze, die sie sich selbst gestellt habe. Sie könne nämlich die Papiere gar nicht mehr vorzeitig auf den Markt schmeißen, ohne die Märkte zusammenbrechen zu lassen - und damit den Zweck der lockeren Geldpolitik zu vereiteln.

Sollte das Verfassungsgericht erneut den EuGH anrufen, wird sich das Verfahren mindestens bis zum nächsten Jahr hinziehen; mag sein, dass bis dahin bereits die Endphase des Kaufprogramms eingeläutet ist. Aber den Richtern geht es nicht allein um den Billionenturm, sondern um ein Langzeitprojekt: Die mächtig gewordene Institution namens EZB, die zum politischen Faktor geworden ist, soll nicht im rechtsfreien Raum agieren dürfen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: