Überwachung in Berlin:Bitte lächeln, Sie werden überwacht

In Berlin startet ein Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennung. Datenschützer warnen, doch die Polizei plant schon den nächsten Schritt.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Der Mann ist ganz aufgebracht, er fuchtelt mit den Armen: "Ich will nicht überwacht werden. Ich will meine Freiheit", sagt er zu dem Polizisten, der in der Westhalle des Berliner Bahnhofs Südkreuz steht. Der Beamte bleibt ruhig, er könne ja da langgehen, sagt er und zeigt auf weiße Punkte mit blauen Pfeilen.

In einem umstrittenen Pilotprojekt testet das Bundesinnenministerium seit Dienstag gemeinsam mit der Bundespolizei in dem Bahnhof die technischen Möglichkeiten der Gesichtserkennung. Drei Kameras wurden dafür zusätzlich installiert. Sie filmen Teile des Eingangsbereichs sowie eine der Rolltreppen, die zum Gleis führt. Wer nicht erfasst werden möchte, muss der Beschilderung folgen. Der Weg in die Anonymität abseits der Kameras führt zur Eingangstür des Pralinenladens, vorbei am Schreibwarenladen bis zu den elektrischen Flügeltüren. Auch dort zeigen Hinweisschilder den Ankommenden, wo Gesichter gescannt werden und wo nicht.

Das Projekt in Berlin ist Teil einer Vision von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Er möchte die Gesichtserkennung künftig nutzen, um Terroristen, Gefährder und Straftäter aufzuspüren. "Wir haben derzeit zwar Videoüberwachung an Bahnhöfen. Wir haben aber bislang nicht die Möglichkeit, das Bild von beispielsweise einem flüchtigen Terroristen in die Software einzuspielen, sodass ein Alarm eingeht, wenn er irgendwo an einem Bahnhof auftaucht", sagte de Maizière. Was bei einem solchen Alarm passieren soll, hat die Bundespolizei recht vage in einer Mitteilung formuliert: "Einsatzkräfte können anschließend zielgerichtet Maßnahmen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten gegen diese Person treffen."

Ein Amazon-Gutschein für 25 Tage Überwachung

Für das Pilotprojekt lassen sich nun 300 Probanden sechs Monate lang überwachen. Im Gegenzug erhalten sie einen Amazon-Gutschein für 25 Euro, wenn sie den Testbereich an 25 Tagen betreten. Wer besonders eifrig ist, dem winkt der Bundespolizei zufolge ein "Hauptpreis". Dazu zählen unter anderem eine Apple-Uhr und, wie passend, eine Videokamera. Bei den Teilnehmern handelt es sich vor allem um Pendler, die sowieso regelmäßig den Bahnhof Südkreuz benutzen. Die Bundespolizei hat deren Fotos in eine Datenbank eingespeist. Wenn eine Kamera in der Westhalle einen Teilnehmer ins Visier nimmt, dann gleicht eine Software das Gesicht mit den hinterlegten Fotos ab. Bei Übereinstimmung wird ein Alarm ausgelöst. Die Versuchsteilnehmer tragen außerdem einen Transponder bei sich, nicht größer als eine Kreditkarte. Er sendet ein Signal, wenn sich die Probanden im Bahnhof befinden. Dadurch können die Beamten die Software auf Fehler hin überprüfen. Gut möglich, das die Software einen der Probanden nicht erkennt, obwohl er durch die Westhalle gelaufen ist. "Wir wollen erst mal nur testen wie zuverlässig die Technik ist", sagt Jens Schobranski, Pressesprecher der Bundespolizei. Wie die Technik schließlich eingesetzt werde, das müsse der Gesetzgeber entscheiden.

Genau darum sorgen sich die Gegner der Pläne von Innenminister de Maizière. Das Pilotprojekt sei "für sich genommen noch nicht als schwerwiegender Eingriff zu sehen", sagt die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Andrea Voßhoff. Die Testpersonen hätten sich schließlich freiwillig gemeldet. Dennoch hat die Bundesdatenschützerin "grundsätzliche Bedenken gegen automatisierte Gesichtserkennung", da sie einen erheblichen Grundrechtseingriff darstelle. Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk verweist auf das "enorme Missbrauchsrisiko". Das verfassungsrechtlich verbriefte Recht, sich unbeobachtet und anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen, drohe ausgehöhlt zu werden. "Hinzu kommt, dass mit der Technik auch eine erhebliche soziale Kontrolle auf Menschen ausgeübt werden kann." Auch die Linke-Fraktion im Bundestag kritisiert das Projekt. "Was soll dieses Pilotprojekt erreichen, wenn die Technologie als solche schon rechtliche Bedenken auslöst?", fragt Frank Tempel, der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag.

Anwälte sehen vor allem den Gruselfaktor

Auch der Deutsche Anwaltverein ist erklärter Gegner der automatischen Gesichtserkennung. Er hat anlässlich des Starts des Pilotprojekts zur Pressekonferenz geladen. Ein Hersteller von Gesichtserkennungssoftware führt deren Funktionsweise vor. Eine Kamera filmt alle Personen, die sich in einem kleinen Zelt versammelt haben. Aufnahmen der Gesichter erscheinen auf einem großem Bildschirm. Die Erfolgsquote seiner Software liege bei immerhin 90 Prozent, sagt der Hersteller. Er versucht, nicht allzu zu stolz zu klingen, schließlich geht es bei der Veranstaltung des Deutschen Anwaltvereins eher um den Gruselfaktor seines Produkts: Bilder im Sekundentakt, detaillierte Nahaufnahmen, Kontrolle. "Dieses Scannen führt zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung", sagt der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg.

Im Bahnhof Südkreuz ist indes kaum etwas von diesem Gefühl zu spüren. Die meisten Reisenden laufen kreuz und quer durch den blauen Bereich, dort, wo Gesichter erfasst werden. Eine ältere Dame, die auf dem Weg ins Berliner Umland ist, sagt: "Mich stört das nicht. Ich finde das mit der Überwachung gut. Wer nichts zu verbergen hat, muss nichts befürchten." Damit teilt sie die Meinung vieler Bürger. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 sprachen sich 60 Prozent der Bundesbürger in einer Umfrage für mehr Videoüberwachung aus.

Im Fall des Berliner U-Bahntreters führten Videoaufnahmen zu dessen Identifizierung und Verurteilung. Derzeit kämpft ein Berliner Bürgerbündnis sogar für eine weitergehende Videoüberwachung. Eine spezielle Software soll demnach auch bestimmte Verhaltensweisen erkennen können oder die plötzliche Ansammlung von Menschen. Die Polizei bekäme dann einen entsprechenden Hinweis, so der Wunsch des Bündnisses.

Genau dieses Vorgehen will das Innenministerium gemeinsam mit der Bundespolizei später in einem weiteren Projekt testen. "Ein Dieb verhält sich zum Beispiel völlig anders als ein Reisender", sagt Pressesprecher Schobranski. Außerdem sollten die technischen Möglichkeiten getestet werden, bestimmte Gefahrensituationen zu erkennen. Handelt es sich bei einem zurückgelassenen Koffer lediglich um ein Gepäckstück oder womöglich um eine Bedrohung? Ein Starttermin für dieses nächste Vorhaben steht noch nicht fest.

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