Überwachung:Wie Gesichtserkennung funktioniert

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Videoüberwachung wird intelligenter: Computer lernen, einzelne Menschen zu erkennen. Ein Albtraum für Datenschützer.

Von Simon Hurtz

Es waren Sätze, die Polizisten aufstöhnen und Datenschützer aufatmen ließen. "Biometrische Gesichtserkennungssysteme im öffentlichen Raum sind derzeit nicht einsatzfähig", sagte Jörg Ziercke. "Ihre Erkennungsleistung ist nicht ausreichend genug. Außerdem ist das Potenzial einer Falscherkennung zu hoch." Das war 2007. Damals war Ziercke Präsident des Bundeskriminalamts, das gerade einen Test am Mainzer Hauptbahnhof beendet hatte. Kameras sollten die Gesichter von Passanten identifizieren - und versagten: Bei schlechten Lichtverhältnissen lag die Erkennungsrate bei deutlich unter 20 Prozent.

Zehn Jahre später ist die Technologie weiter. Jürgen Pampus von der Dresdner Firma Cognitec schätzt die Trefferquote selbst unter schlechten äußeren Bedingungen auf mindestens 70 Prozent. Sein Unternehmen beliefert etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder Spielcasinos, wo die Gesichtserkennung eingesetzt wird, um Trickbetrüger zu überführen. Die Gesichter dürften allerdings nicht verdeckt sein. Schals, Hüte oder Sonnenbrillen könnten die Erkennungsraten drastisch reduzieren. Ähnlich lautete das Fazit der US-Behörde NIST, die für Technologiestandards zuständig ist: Selbst mit besserer Technik sei es nahezu unmöglich, Personen auf Videoaufnahmen mit absoluter Sicherheit zu identifizieren.

Smartphones nutzen das Verfahren bereits zur Identifizierung des Nutzers

Die Kameras, die nun am Berliner Bahnhof Südkreuz eingesetzt werden, sind den Kameras in Mainz überlegen. Sie zeichnen mit höherer Auflösung auf und liefern auch bei wenig Licht noch brauchbare Bilder. Computer rechnen jedes erfasste Gesicht in ein sogenanntes biometrisches Datum um. Das heißt, sie vermessen Merkmale wie den Augenabstand und wandeln diese in digitale Muster um. Bei der Gesichtserkennung vergleicht die Software also nicht zwei Fotos, sondern Prüfsummen. Diese sogenannten Hashwerte sind für jedes Gesicht einzigartig. Deshalb knüpft das Datenschutzrecht solche Datenverarbeitung an hohe Auflagen. So müssen Betroffene entweder einwilligen, oder es muss ein "erhebliches öffentliches Interesse" gegeben sein.

Grundsätzlich gilt: Je größer die Datenbank, mit der die Gesichter abgeglichen werden, desto langsamer und fehleranfälliger das Verfahren. Am zuverlässigsten arbeitet die Software, wenn sie nur ein einziges Gesicht prüfen muss. Das geschieht etwa, wenn sich Smartphone-Nutzer per Selfie identifizieren oder Fluggäste die Sicherheitskontrollen passieren. Dann wird das digitale Muster des Fotos am Flughafen mit dem Hashwert des Reisepasses verglichen. So wird dies bereits an mehreren europäischen Flughäfen praktiziert.

In Berlin ist der Datenabgleich komplexer. Für das Projekt haben sich etwa 300 Freiwillige fotografieren lassen. Sollte der Modellversuch auf ganz Berlin ausgeweitet und echte Datenbanken von Terroristen und Schwerverbrechen herangezogen werden, dann stiege die Verwechslungsgefahr. Die Berliner Verkehrsbetriebe transportieren fast drei Millionen Fahrgäste pro Tag - bereits Fehlerquoten im Promillebereich reichten, um etliche Unschuldige in Verdacht zu bringen. Deshalb soll der Test in Berlin zeigen, ob ein Regelbetrieb in technischer Hinsicht möglich wäre, ungeachtet aller datenschutzrechtlichen Bedenken.

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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