Anthrax:Neuer Milzbrand-Erreger tötet Menschenaffen

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Ein Forscher nimmt Proben von einem Schimpansenschädel. (Foto: Joachim Puls/filmsalz)
  • Eine neue Form von Milzbrand droht die Menschenaffen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste auszurotten.
  • Forscher fanden den Erreger auch in toten Tieren in Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik.
  • Unklar ist bislang, ob die Krankheit beim Menschen nicht auftritt oder bislang schlicht übersehen wurde.

Von Kai Kupferschmidt

Das erste Mal ist Fabian Leendertz dem Killer vor 16 Jahren begegnet. Der Tierarzt, der heute am Robert-Koch-Institut in Berlin arbeitet, war damals im Regenwald der Elfenbeinküste unterwegs, um Daten für seine Doktorarbeit zu sammeln. Er folgte einer Gruppe von Schimpansen im Taï-Nationalpark, als ein Alphamännchen namens Leo sich zuerst übergab, dann auf einen niedrigen Ast kletterte, herunterfiel und starb. Fünf weitere Schimpansen verendeten in den folgenden Monaten. Leendertz wusste es damals noch nicht, doch es war der erste Hinweis auf einen bislang unbekannten, gefährlichen Erreger.

Wie gefährlich, das zeigen die Forscher nun in einer aktuellen Studie im Fachblatt Nature: Der Erreger könnte in den kommenden 150 Jahre die Menschenaffen in diesem Teil Afrikas ausrotten. Zunächst sah es so aus, als handele es sich um herkömmlichen Milzbrand (Anthrax) - eine Krankheit, die von den Sporen des Bakteriums Bacillus anthracis ausgelöst wird und auch für den Menschen tödlich ist.

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Der Erreger ist eine häufige Todesursache im Tierreich, hin und wieder kommt es bei Huftieren zu Massensterben. Doch normalerweise findet er sich in trockeneren Gebieten wie der Savanne - und nicht im Regenwald. Erst weitere Untersuchungen ergaben, dass es sich bei der Krankheit um eine neue Form von Milzbrand handelt, verursacht von einem eng verwandten Bakterium namens Bacillus cereus. In der neuen Studie zeigen die Forscher nun, dass dieser Erreger im Regenwald eine enorme Rolle spielt.

"Milzbrand, Ebola oder vom Menschen eingeführte Erkältungsviren könnten ihr Sargnagel sein"

Die Wissenschaftler untersuchten Hunderte Knochen- und Gewebeproben von Säugetierkadavern, die in den vergangenen 26 Jahren im Nationalpark entdeckt und aufbewahrt wurden. Sie fanden das Erbgut des Erregers in 81 Kadavern und in 26 Knochen. Darunter waren verschiedene Affenarten, Waldantilopen und ein Stachelschwein. Etwa 40 Prozent aller toten Tiere, die die Forscher untersuchten, wurden von dem Erreger getötet. Es ist eine beeindruckende Zahl. Als hätten Polizisten einen Mörder erwischt und dann festgestellt, dass er für die Hälfte aller ungeklärten Fälle in ihrer Stadt verantwortlich ist.

Die Forscher fanden den neuen Erreger auch in toten Tieren in Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik. Doch am schlimmsten wütet er im Taï-Nationalpark. Er könnte das Ende für die etwa 400 Schimpansen dort bedeuten. Der Mensch habe die Schimpansen bereits durch Wilderei und Umweltzerstörung an den Rand des Aussterbens getrieben, sagt Tom Gillespie, Ökologe an der Emory University in Atlanta. "Krankheiten wie Milzbrand, Ebola oder vom Menschen eingeführte Erkältungsviren könnten ihr Sargnagel sein", sagt er.

Um die Tiere zu retten, müssen die Wissenschaftler nun möglichst schnell verstehen, wie sich der Erreger ausbreitet. Doch über Bacillus cereus ist bislang wenig bekannt. Das Bakterium kommt weltweit in Bodenproben vor, galt bislang aber als vergleichsweise harmlos. Es kann beim Menschen eine Lebensmittelvergiftung auslösen. Ursache sind häufig Reisgerichte, die lange standen. Doch der Stamm im Urwald hat eine Besonderheit: Er besitzt zwei Erbgutringe, sogenannte Plasmide, auf denen praktisch alle Gene vorhanden sind, die auch Bacillus anthracis zum Killer machen.

Bacillus anthracis gehört zu den am besten untersuchten Bakterien der Welt. "Seine Geschichte ist ein regelrechtes 'Who is Who' der Infektionsforschung", sagt Gillespie. Der Erreger wurde von Robert Koch entdeckt und von Louis Pasteur bei ersten Impfstoffversuchen verwendet. Später wurde er aus Angst vor Missbrauch als Biowaffe intensiv erforscht. Erst recht, nachdem im September 2001 in den USA Briefe mit Milzbrand-Sporen an Politiker und Nachrichtensender geschickt wurden. Fünf Menschen starben damals. Tiere infizieren sich mit dem Erreger meist beim Grasen, wenn sie die langlebigen Sporen einatmen oder fressen. Doch Tiere können sich auch beim Aasfressen anstecken.

Passiert das gleiche nun mit dem Erreger im Regenwald? "Wir suchen zurzeit intensiv nach der Quelle der Infektionen und testen alles, was die Schimpansen essen", sagt Leendertz. Auch andere Möglichkeiten kommen in Frage. So könnten etwa Aasfliegen zur Ausbreitung der Krankheit beitragen, sagt Leendertz.

Unklar ist auch noch, ob die Krankheit beim Menschen nicht auftritt oder bislang schlicht übersehen wurde. Wie auch immer die Antwort darauf lauten mag - die neue Studie zeigt, wie begrenzt das Wissen des Menschen über den Regenwald noch immer ist, sagt William Karesh, Forscher bei der EcoHealth Alliance, einer Nichtregierungsorganisation in New York. Ein Großteil der Forschung an Wildtieren sei im Grasland gemacht worden, wo es einfacher ist, Tiere zu beobachten. "Es gibt noch so viel zu lernen über den Regenwald", sagt Karesh. "Hier bekommen wir das erste Mal einen flüchtigen Blick darauf."

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