Kommentar:Kleiner Sieg für IHK-Kritiker

Lesezeit: 2 min

Das Bundesverfassungsgericht nickt die Beitragspflicht für IHK-Pflichtmitglieder ab. Eine Niederlage der IHK-Krtiker? Nein, ein kleiner Sieg.

Von Wolfgang Janisch

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der den Industrie- und Handelskammern das Prüfsiegel des Grundgesetzes verleiht, beginnt mit einem historischen Exkurs. In Frankreich waren die ersten Chambres de Commerce b ereits 1596 gegründet worden. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich "Kommerzdeputationen" oder "Handelskollegien", denen der König von Preußen 1848 eine gesetzliche Grundlage verlieh. Und in der Bundesrepublik gab es sie schon immer, sogar schon vor Erlass des IHK-Gesetzes von 1956.

Das soll heißen: Die Selbstverwaltung im Gewerbe hat eine lange Tradition, die man nicht ohne Not abschneiden sollte. Von den kritischen Geistern, die dem Kammerwesen seit Jahren Demokratiedefizite, Intransparenz und einseitige Verbandspolitik vorwerfen, wird der Hinweis auf die Historie eher so gelesen werden: alter Zopf, verkrustete Strukturen, Arroganz der Macht. Was in ein paar Jahrhunderten eben so zusammenkommt.

Revolution? Ja gern, aber bitte innerhalb des Systems

Hat das Bundesverfassungsgericht die Argumente der Kritiker beiseitegewischt, die der Pflichtmitgliedschaft ein Ende bereiten wollten? Beide Kontrahenten scheinen das so zu sehen: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht sich "vollumfänglich" bestätigt, während die Rebellen vom Bundesverband für freie Kammern die Beschwerden als "vollständig" gescheitert einstufen.

Vollständig gescheitert? Liest man den 46-Seiten-Beschluss sorgfältig, dann steckt in der Niederlage auch ein kleiner Sieg für die Kritiker. Zum Beleg dafür, dass Kammern Positionen unterpflügen, die ihnen nicht genehm sind, haben die IHK-Gegner auf die Branche der erneuerbaren Energien hingewiesen; deren Positionen würden von den Kammern regelrecht "konterkariert". Noch chancenloser seien etwa Weltläden, die sich auf fairen Handel verpflichteten. Dazu das Verfassungsgericht: Es könne zu einer "dauerhaften Beeinträchtigung von Minderheitsinteressen" führen, wenn eine IHK solche Positionen hinter einem Mehrheitsinteresse verschwinden lasse. Ein vollständiges Scheitern klingt anders.

Das Bundesverfassungsgericht mahnt also ausdrücklich Minderheitenschutz im Kammerwesen an. Konflikte dürfen nicht zugekleistert und Gegensätze nicht einfach kaschiert werden. Eine Kammer, die im Interesse aller Mitglieder agiert, muss mehr Vielfalt wagen, indem sie auch die Position kleinerer Gruppen darstellt, notfalls in Form eines Minderheitenvotums. Der Erste Senat, zusammengesetzt aus acht Richtern mit acht eigenen Meinungen, weiß, wovon er spricht; Sondervoten sind in Karlsruhe seit 1970 zulässig.

Gewiss, darin steckt auch ein Stück Juristenrhetorik, die das Sein gern am Sollen ausrichtet. Ein bisschen Buntheit im Kammerwesen, verordnet aus Karlsruhe, wird die tiefen Zerwürfnisse nicht glätten, zu vielfältig ist die Kritik. Auseinandersetzungen wird man auch in Zukunft oft vor Gericht austragen müssen - dazu lädt der Beschluss übrigens ausdrücklich ein. Gemütlich ist das nicht, aber immerhin erfolgreich. Mehrfach mussten sich die Kammern von der Justiz belehren lassen, dass Ausflüge in die allgemeine Politik nicht zu ihren Aufgaben gehören: Mütterrente und Stuttgart 21, Hochwasserschutz und die Lage in Südafrika sind nicht ihr Geschäft.

Letztlich steckt in dem Karlsruher Beschluss aber ein eindringliches Bekenntnis zur Selbstverwaltung. Darin spiegelt sich ein Staatsverständnis, das Zuständigkeiten dort belässt, wo die Aufgaben am besten bewältigt werden können. Entscheiden soll, wer am nächsten dran ist. In den Kommunen ist es die Bürgernähe der Stadträte und Oberbürgermeister, im Gewerbe ist es die Sachnähe der gewählten Kammervertretung. Warum eine regionale Verankerung der Wirtschaftspolitik in Zeiten der Europäisierung an Bedeutung verloren haben soll, erschließt sich nicht, schreibt das Gericht; wahrscheinlich ist das Gegenteil richtig.

Die Botschaft aus Karlsruhe lautet also: Werft das Kammerwesen nicht weg. Es ist, wenigstens im Prinzip, ein gelungenes Beispiel für die sinnvolle Aufteilung von Verwaltungskompetenz - und dafür, dass in einem funktionierenden Staatswesen nicht der Staat alles selbst richten muss. Es ist kein Zufall, dass die Nazis den Kammern damals die Selbständigkeit genommen haben. Revolution? Ja gern, aber bitte innerhalb des Systems. Umwandlung statt Umsturz. Im Hamburg haben die Rebellen im Plenum der Handelskammer einen der Ihren an die Spitze gewählt. In anderen Bezirken hoffen die Kammerkritiker auf ähnliche Erfolge. Dazu benötigt man Mehrheiten. Das Verfassungsgericht braucht man dazu nicht.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: