Firmenpleiten:Zombie-Firmen bedrohen die Wirtschaft

Insolvenzrecht für Mitarbeiter - Wenn die Firma pleite geht

Das I-Wort "Insolvenz" hat eine extrem negative Konnotatin - dabei wäre es gut, würden manche Firmen einfach pleite gehen.

(Foto: dpa-tmn)
  • In Deutschland gibt es 17 702 Firmen, die nur noch existieren, weil sie sich derzeit so viel billiges Geld leihen können.
  • Diese "Unternehmenszombies" schaden ihren Wettbewerbern - und unter Umständen sogar ganzen Lieferketten.

Von Catherine Hoffmann und Michael Kläsgen

Die Pleite genießt in Deutschland einen denkbar schlechten Ruf. Auf dem hässlichen "I-Wort" für Insolvenz lastet der Ruch des Scheiterns, des persönlichen Versagens. Und welcher Unternehmer möchte sich das schon unterstellen lassen? Deshalb gilt in der Öffentlichkeit das Credo: Je weniger Pleiten, desto besser. So gesehen, könnte man meinen, läuft in Deutschland alles bestens. Seit 2009 geht die Zahl der Firmeninsolvenzen stetig zurück. Damals zählten die Statistiker von Creditreform, einem Dienstleister, der regelmäßig die Bonität von Unternehmen bewertet, noch 32 930 Firmenpleiten, im vergangenen Jahr waren es ein Drittel weniger: 21 560.

In Wirklichkeit verbirgt sich hinter dieser vermeintlich guten Nachricht eine schlechte. Viele Unternehmen werden nur künstlich am Leben erhalten. Sie machen seit Langem Verluste, verschwinden aber trotzdem nicht vom Markt. Sie verdienen nicht einmal mehr so viel Geld, dass sie für den Verschleiß ihrer Maschinen aufkommen können, trotzdem werkeln sie weiter. Sie haben kaum mehr Eigenkapital und kommen seit Langem ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach - dennoch finden sie Investoren, die sie finanzieren.

Die Rede ist von Unternehmen, die es nach den Regeln der Marktwirtschaft nicht mehr geben dürfte, die weiter existieren, Produkte herstellen und Mitarbeiter beschäftigten, obwohl sie unter normalen Umständen längst pleite sein müssten. Die Rede ist von sogenannten Unternehmenszombies, von untoten Betrieben. Sie sind statistisch erfasst. Ihre Zahl lag im vergangenen Jahr bei 17 702 Firmen.

Der Grund für ihr untotes Dasein sind die extrem niedrigen Zinsen und die gute Konjunktur in Deutschland. Mit ihrer Niedrigzinspolitik sorgt die Europäische Zentralbank (EZB) dafür, dass Banken genügend Geld haben, um Kredite zu günstigen Konditionen zu vergeben. Davon profitieren vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen, da die großen längst unabhängig von den Banken sind; sie können sich direkt am Kapitalmarkt finanzieren. Das Problem dabei ist nur: Die kleinen Firmen sind nicht so stabil wie die großen.

"Es gibt einen Bodensatz von schwachen Unternehmen in Deutschland, die dank der günstigen Finanzierungssituation überleben", sagt Michael Bretz, Mitglied der Geschäftsleitung bei Creditreform. Selbst wenn ein Betrieb in Zahlungsnöte gerät, halten die Banken ihn häufig über Wasser. Denn im Falle einer Pleite müssten sie ihre Kredite an Zombie-Firmen als "non-performing" klassifizieren oder gar abschreiben, was die ohnehin dünne Kapitaldecke vieler Geldhäuser strapazieren würde. Daher schleppt man kranke Unternehmen lieber durch. "Ich habe es in letzter Zeit häufiger erlebt, dass bei Unternehmen, die kurz vor der Insolvenz standen, doch noch Kredite verlängert wurden oder ein Investor mit frischem Geld eingestiegen ist", sagt Insolvenzverwalter Volker Böhm aus Nürnberg.

Günstige Kredite an "unproduktive Schrottfirmen"

Die Zombies gehen einen gefährlichen Pakt mit den Banken ein, und die EZB hilft dabei. Der Ökonom Viral Acharya, der bis vor Kurzem noch an der New York University Stern School of Business lehrte und heute Vizegouverneur der indischen Zentralbank ist, hat das Phänomen gemeinsam mit Kollegen untersucht. Sie finden überzeugende Hinweise darauf, dass die Banken in Europa infolge der lockeren Geldpolitik viele günstige Kredite an "unproduktive Schrottfirmen" vergeben, wie sie die Forscher nennen. Dieses Verhalten führt zu einer ineffizienten Zuteilung von Bankkrediten: Das Kreditangebot verschiebt sich Acharya zufolge von kreditwürdigen, produktiven Unternehmen zu weniger produktiven, notleidenden Firmen - mit gravierenden Folgen.

"Die Niedrigzinspolitik der EZB destabilisiert die Banken und sie schadet der Wirtschaft", sagt Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Das könne man daran ablesen, dass die Produktivitätsgewinne zurückgehen, weil die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen nicht mehr tragfähig sind, die Firmen aber trotzdem nicht vom Markt verschwinden. Besonders groß ist das Problem in Italien, Portugal und Spanien. Aber auch in Deutschland gibt es Zombies.

Meist geht es um ganze Zombie-Lieferketten

Aufgrund des sogenannten Anlagenotstands, also der Tatsache, dass Investoren nicht wissen, wo sie ihr Geld anlegen sollen, stecken manche Privatleute Millionenbeträge in hochriskante, aber eben auch hochverzinste Anleihen, in Private-Equity-Investments oder Hedgefonds, die aus einer vom Staat nicht regulierten Schattenwirtschaft stammen. Dort geht es nicht immer transparent zu - mit den entsprechenden Nachteilen für Investoren und Firmen. "Eine Vielzahl von Unternehmen, die sich auf dem grauen Kapitalmarkt Geld beschafft haben, ist heute insolvent oder in wirtschaftlicher Schieflage", sagt Lucas Flöther, Sprecher des Gravenbrucher Kreises, eines Verbandes von etwa 20 führenden Insolvenzexperten.

Das Bizarre an der Sache: Die Politik scheint das so zu wollen. Sie reguliert die Banken streng, den grauen Kapitalmarkt aber kaum. Die Folge: Das bayerische mittelständische Unternehmen mit 300 Millionen Umsatz finanziert nicht mehr die Hausbank, sondern ein angelsächsischer Hedgefonds. "Die strategischen Entscheidungen werden jetzt beim Lunch in London getroffen", wie ein Insolvenzberater sagt. Irgendwann folge der Ausverkauf.

Namen von Unternehmenszombies zu nennen ist heikel. Niemand will eine Firma in die Pleite reden. Aber alle Insider nennen die Zulieferindustrien, und zwar in allen Branchen. Meist geht es um ganze Lieferketten. Wie verletzlich diese sind, ließ sich neulich beobachten, als ein kleines Problem blitzschnell auf alle Glieder in der Kette durchschlug: BMW konnte vorübergehend 8000 Autos nicht bauen, weil der Autozulieferer Bosch keine Aluminium-Gussteile für Lenkgetriebe liefern konnte, weil er selber aus Italien nicht mit Lenkgehäusen beliefert worden war. Bosch übernahm den italienischen Lieferanten kurzerhand.

Die Zombies belasten die gesunden Unternehmen

Daran sieht man, wie schnell Unternehmen am Ende der Lieferkette betroffen sein können. In dem Fall BMW. Ähnlich könnte es Klamottenläden und Boutiquen ergehen, die man aus der Innenstadt kennt. Die Textilbranche steckt wegen der geringen Margen seit Jahren in Schwierigkeiten. Viele Textileinzelhändler finanzieren sich in der Regel über Lieferantenkredite. Ist das Vertrauen bei denen angeknackst, nimmt der Druck zu. So könnte es auch Kaufhof nach der Kürzung des Kreditlimits durch Warenkreditversicherer Euler Hermes gehen. Und wie es heißt, dürften auch Ketten wie Esprit, C & A, Peek & Cloppenburg, Tom Taylor oder Jack Wolfskin darauf angewiesen sein, bei den Kreditversichern mit guter Bonität geratet zu werden.

Je länger die Phase des billigen Geldes anhält und je länger die Unternehmen ihre Probleme verschleiern, desto größer kann der potenzielle Schaden für sie werden, wenn das Geld irgendwann teurer wird. "Je früher die Insolvenz angemeldet wird, desto besser sind die Sanierungschancen", sagt deshalb Insolvenzverwalter Flöther. Firmen in Schieflage laufen die besten Mitarbeiter davon, Geschäftspartner springen ab, die Finanzlage verschlechtert sich weiter und das Eigenkapital schmilzt. Wenn die Insolvenz zu lange verschleppt wird, ist es kaum mehr möglich, die Firma wieder auf die Beine zu stellen und die Gläubiger zu entschädigen. "Wir können das Unternehmen dann nicht mehr retten", sagt Flöther.

Doch leider ist das "I-Wort" trotz aller Gesetzesreformen weiterhin mit dem Stigma des Scheiterns behaftet. Gerade Inhaber schämten sich oft noch deswegen. Angestellte Geschäftsführer, sagt Flöther, prüften die Finanzlage der Firma hingegen schon kritischer. Aber, könnte man einwenden, was ist eigentlich so schlimm daran, wenn marode Unternehmen weitermachen und Mitarbeiter und Zulieferer beschäftigen?

Die Antwort ist einfach: "Sie belasten gesunde Unternehmen", erkärt Ottmar Hermann, Partner bei HWW, einer der größten deutschen Insolvenzkanzleien. Auch Firmen, die Verluste schreiben, könnten Wettbewerber noch jahrelang mit niedrigen Preisen unterbieten und Produktentwicklungen anderer Firmen verhindern. Sie können sie so auf Dauern in Mitleidenschaft ziehen. Die billigen Firmenkredite wirken wie Subventionen: Sie setzen falsche Anreize, verschärfen und verzerren den Wettbewerb und blockieren Innovationen.

Die lockere Geldpolitik hebelt das Prinzip der Haftung aus

"Grundprinzipien der Marktwirtschaft werden durch das billige Geld außer Kraft gesetzt", sagt Ökonom Schnabl. Wer etwas anstellt, muss es auch ausbaden, heißt so ein Grundsatz. Und wer als Unternehmer davon profitieren will, dass er Risiken eingeht, der muss auch die Verantwortung tragen, wenn es schiefgeht. Doch das Prinzip der Haftung wird durch die lockere Geldpolitik ausgehebelt. Das ist nicht nur ein europäisches Phänomen, sondern ein globales. An den geringen Produktivitätsgewinnen der Industrieländer kann man ablesen, dass der Anteil der maroden Unternehmen zu hoch ist, dass viele ineffizient arbeiten und allenfalls mickrige Renditen erwirtschaften. Nur: Wenn Kapital und Arbeit in Firmen und Branchen gebunden werden, die nicht profitabel sind, bröckelt der Wohlstand. Die Ressourcen fehlen für neue Unternehmen und neue Branchen.

Das größte volkswirtschaftliche Risiko besteht in dem Dominoeffekt, der entstünde, wenn die Zinsen steigen oder die Konjunktur abflaut. Wegen der Unternehmenszombies hätten höhere Zinsen gravierendere Folgen, als wenn alle Firmen gesund wären. Pleiten in einer Lieferkette könnten eine ganze Branche in den Sog ziehen. An die Folgen einer Zinserhöhung mag Hermann gar nicht denken.

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