Salzburger Festspiele:Mehr als nur virtuos

In Salzburg positioniert sich Igor Levit endgültig abseits des braven Pianistensternchen-Daseins. Dabei schafft er das scheinbar Unmögliche: Die moderne Musik des 20. Jahrhunderts erklingt bei ihm mitreißend, nahbar und greifbar.

Von Rita Argauer

Beim ersten Applaus grinst Igor Levit hintergründig. Der Kommentar, den er mit der Schauspielerin Dörte Lyssewki und dem Streichquartett "Klangforum Wien" da gerade mit Arnold Schönbergs "Ode to Napoleon Buonaparte" gelandet hat, saß. Das Werk für Streichquartett, Klavier und Sprecher ist ein echauffiertes Stück. 1942 im New Yorker Exil komponiert, zieht es eine klare Linie von Lord Byrons Text-Vorlage zum Wahnsinn Hitlers. Heute klingt es wie eine süffisante Abhandlung über Regenten, die von ihrer eigenen Großartigkeit berauscht sind. Die Parallele zum politischen Tagesgeschehen dürfte dabei ganz nach Igor Levits Geschmack sein, der sich immer wieder politisch äußert, den Klassikbetrieb oft aufschüttelt und mittlerweile weit entfernt ist von den bloßen Virtuosen, die es in der Generation des 31-Jährigen zuhauf in den Konzertsälen gibt.

Deshalb geht es dem Pianisten - zumindest in Schönbergs Stück - auch nicht darum, seine pianistischen Fähigkeiten ans Publikum zu bringen. Er überlässt dem Streichquartett die musikalische Hauptrolle und agiert im Hintergrund. Er haut Akkorde und Rhythmen dazwischen, treibt die Musiker an und erfüllt so eher die Rolle eines Schlagzeugers in einer Band: Er sorgt dafür, dass der Klang mit der nötigen Schubkraft beim Publikum ankommt.

Wie Lotte Lenya in Brechts "Salomon Song" zählt Lyssewki in dieser Musik all die Herrscherpersönlichkeiten auf, die in Byrons Ode an sich selbst scheitern. Die Diktion ist dabei ständig auf dem Niveau, welches Lenya an ausgewählten Stellen erreichte, wenn sie zur Emphase des Textes aus der Melodie ausbrach. Hier im Konzertsaal des Salzburger Mozarteums herrscht nun eine ständige Emphase. Bis zur letzten Strophe, in der der "yes - one - the first - the last - the best", der "Cinninatus of the West" auftaucht. Byron bezog das auf George Washington als positives Beispiel. Bei Lyssewki quellen diese Zeilen über vor Zynismus ob des selbsternannten Besten, der gerade das Weiße Haus regiert. Der Es-Dur-Schlussakkord ist hier nicht heroisch, sondern ironisch, nach dem furios musizierten Schönberg, dessen Sechstongruppen hier rein gar nichts Akademisches mehr haben, sondern unterhalten.

Hier trifft pianistischer Technik-Wahnsinn auf revolutionären Pathos

Und das ist der zweite Coup, den Levit hier landet: Moderne Musik, Musik des 20. Jahrhunderts erklingt bei ihm mitreißend, nahbar und greifbar. Obwohl er in seinen zwei Solistenkonzerten ein Programm spielt, das ihm kein Konzertveranstalter außerhalb von Festspielen abkaufen würde - schlicht, weil der die Karten dafür vermutlich schwer losbrächte. Etwa zwei Mal 80 Minuten Schostakowitsch. Mit dessen 24-teiligem Fugen-Präludien-Zyklus bestreitet Levit sein erstes Festspiel-Solistenkonzert. Ausschließlich Schostakowitsch und nur dessen Tonart-Form-Exerzitien, beinahe drei Stunden lang. Doch Levit ist am Klavier ein Formwandler, er verfügt mittlerweile über so unterschiedliche Facetten an diesem Instrument und kann diese stilistisch flexibel nach einander einsetzen, ohne dass er dabei eine interpretatorische Linie verlieren würde. Das ist außergewöhnlich. Und das ist gleichsam eine Grundvoraussetzung, um ein solches Programm zu stemmen. Da trifft dann Gouldsche Bach-Hackerei auf samtene Düsternis und elegante Unscheinbarkeit. Mal klingen die ausladenden Fugen dieses Zyklus' wie Fantasien voll glitzernder Glückseligkeit. Mal bricht Furor in die strenge Form ein, vielleicht auch die Wut über ein politisches System, mit dem im Nacken Schostakowitsch all seine Kunst schaffen musste. Zurück zur Politik also, die Levit in diesen beiden Konzerten nie ganz loslässt.

Die Energie im zweiten Konzert hält er dann mit Beethovens "Eroica-Variationen" hoch, die bei ihm weder in Ehrfurcht gehemmt sind noch an Werktreue ersaufen: Er schmettert, was vielleicht etwas viel ist, was aber, umrahmt von Schönberg und seinem Parade-Stück, Frederic Rzewskis "The people united will never be defeated", Sinn macht. Darin trifft dann pianistischer Technik-Wahnsinn auf revolutionäres Pathos, das hier aber durch seine kleinteilige Variation der Massenbewegungs-Schwere entledigt wird und als glimmendes Gegenstück zum formstrengen Auftakt mit Schostakowitsch fungiert.

Levit positioniert sich mit diesen beiden Konzerten endgültig jenseits des braven Klaviersternchen-Daseins: Wer Levit will, bekommt Ungewöhnliches und Eigenes, aber das mit intellektueller und technischer Brillanz. Moderne Musik, die oft abstrakt und verschlossen wirkt, darf zugänglich sein. Und wenn jemand über eine solche Ausdrucksvielfalt, sowohl technisch als auch geistig, verfügt, wie Levit das in Salzburg präsentiert, ist das Mitnehmende und das kleine bisschen Überschwang auch nicht billig oder anbiedernd, sondern hinreißend.

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