Bundestagswahl:Schulz' romantischer Blick auf die Einwanderungspolitik

SPD-Kanzlerkandidat Schulz hält Berliner Rede

Martin Schulz will das Thema Migration künftig an ein Ministerium binden.

(Foto: dpa)
  • SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellt in Berlin seine Pläne für die Integrationspolitik vor.
  • Integration gelinge nur über vernünftige Bildungs- und Sozialpolitik, die sich an alle richtet, lautet sein Grundsatz.
  • Er kündigt an, das Thema künftig an ein Ministerium koppeln zu wollen. Eine Sonderbeauftragte im Kanzleramt reiche nicht aus.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Schon die Ankündigung, dass gleich der Kanzlerkandidat der SPD sprechen soll, kommt mit einer kleinen Warnung: Es sei ein Risiko, Politiker einzuladen, die sich gerade im Wahlkampf befinden, sagt Professor Wolfgang Kaschuba, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung veranstaltet das BIM derzeit eine Vortragsreihe zum Thema Integration. Vor einer Woche war Grünen-Chef Cem Özdemir da. Nun also Martin Schulz. Der tritt auf die Bühne und beginnt, weil eben Wahlkampf ist, mit einer Stichelei Richtung CDU. Die schickt demnächst Kanzleramtschef Peter Altmaier zu der Vortragsreihe und nicht Angela Merkel. "Ich freue mich, dass der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler sprechen wird", sagt Schulz. Gekicher im Publikum.

Die Voraussetzungen für Martin Schulz sind eigentlich wunderbar. Er hat sich die Flüchtlingspolitik selbst als Wahlkampfthema auferlegt und treibt damit zumindest ein kleines bisschen die CDU vor sich her. Der Saal ist an diesem Dienstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Titel seiner Rede, "Zusammen wachsen - Ohne Angst und Illusionen gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft gestalten", verrät bereits, dass es hier jetzt nicht vordergründig um die große Weltpolitik geht, um EU-Außengrenzen, Flüchtlingslager in Nordafrika oder Obergrenzen. Es klingt nach Grundsatzrede mit Gefühl.

Deutschland als buntes Haus

"Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft", sagt Schulz immer wieder. Daraus erwachse eine Verantwortung, Flüchtlinge zu integrieren und gleichzeitig die Teilhabe von Deutschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Schulz fordert eine Bildungsoffensive: kostenlose Kitas, mehr Plätze an Ganztagsschulen, mehr Studierende mit Einwanderungsgeschichte. Das alles kennt man schon aus dem SPD-Wahlprogramm. Wo es besonders für die Berliner spannend werden könnte, wie etwa bei der Unterstützung von Brennpunktschulen, bleibt Schulz vage.

Integration gelingt nur über vernünftige Bildungs- und Sozialpolitik, die sich an alle richtet - so lässt sich die Rede von Schulz zusammenfassen (hier im Video zu sehen). "Wenn wir die Chancen für alle erhöhen, kommt das auch der Einwanderungsgesellschaft als Ganzes zugute", sagt er. Möglich sei das natürlich nur mit der SPD. Schulz verspricht, die Themen Integration und Teilhabe an ein Ministerium andocken zu wollen. Eine Sonderbeauftragte im Kanzleramt reiche nicht aus. Das Innenministerium käme für die Aufgabe jedoch nicht infrage, sagt Schulz. Zu lange sei über Flüchtlinge und Migranten unter dem Sicherheitsaspekt diskutiert worden, damit müsse jetzt Schluss sein. Für diese Aussagen bekommt Schulz Applaus.

Der SPD-Kanzlerkandidat malt Bilder von Deutschland als buntem Haus mit klaren Hausordnungen. Vom öffentlichen Dienst als Spiegel der Gesellschaft. Wo sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gerne der kühlen Analyse bedient, liebt Schulz Anekdoten, das Durchexerzieren von Einzelfällen. Das funktioniert auch, wenn das Format stimmt. Wie am Sonntag in der RTL-Wahlarena. Aber Schulz steht hier in Berlin nun auch vor einem Fachpublikum, Menschen, die sich seit Jahren mit Integration und Migration beschäftigen. Sie sind bereit, Wahlkampfgetöse oder Verallgemeinerungen zu verzeihen.

Aber nicht die fehlende Struktur in Schulz' Rede. Am Anfang sagt er selbst, man dürfe "nicht alles in einen Topf" werfen. Dann tut er es selbst: Bafög, Digitalisierung, prekäre Beschäftigung, Rüstungsausgaben versus Sozialausgaben, Diskriminierung, Ungleichheit, Feinde der Demokratie, Islamisten, rechtsextreme Ausschreitungen in den USA, Einwanderungspolitik, Fluchtursachenbekämpfung, lange Wartezeiten auf den Asylbescheid - alles wichtig, alles hat miteinander zu tun. Nur gelingt es Schulz nicht, über eine bloße Aneinanderreihung der Themen hinauszukommen.

"Vor der Kohle sind alle schwarz"

Und zwischendurch eine Anekdote: Schulz erinnert sich an seine Jugend. Sie handelt vom tollen Miteinander zwischen Deutschen, Türken, Italienern und auch Griechen. Von Kindern, die gemeinsam spielten. Von Vätern, die gemeinsam unter Tage im Bergbau malochten. "Unter Tage mussten sich die Männer aufeinander verlassen können, sie haben sich gegenseitig ihr Leben anvertraut." Es habe keine Rolle gespielt, wo jemand herkam oder welche Sprache er sprach. Dadurch sei eine Gemeinschaft entstanden, die weder sozial noch räumlich getrennt gewesen sei.

Es ist ein ziemlich romantischer Blick auf die Geschichte. Einige der heutigen Probleme beim Thema Integration und Teilhabe lassen sich auch auf die Einwanderungspolitik der Sechziger- und Siebzigerjahre zurückzuführen, aus der Schulz' Anekdote stammen dürfte. Damals wurden gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Westdeutschland geholt. Die Deutschen ließen Migranten durchaus spüren, dass sie hier nur geduldet waren. Bundeskanzler Helmut Kohl wollte ursprünglich die Zahl der Türken in Deutschland halbieren. Identitätskrisen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen sind heute keine Seltenheit unter den Älteren. Und die Sprachprobleme ließen sich keinesfalls so leicht durchbrechen, wie es Schulz skizziert.

Dann sagt er auch noch mit Blick auf die Bergarbeiter: "Vor der Kohle sind alle schwarz." Es soll ein Witz sein. Keiner lacht. "Herr Schulz, weiß offensichtlich nicht, was es heißt, in Deutschland schwarz zu sein", sagt eine Zuhörerin später. "Nicht lustig."

Bei der anschließenden Mini-Diskussion muss sich Schulz der Debatte um seine Partei stellen. Yasemin Shooman, Leiterin der Akademieprogramme des Jüdischen Museums Berlin, fragt, wie das mit der interkulturellen Öffnung so sei in der SPD. Nach der Diskussion um Thilo Sarrazin hätten Sigmar Gabriel und Andrea Nahles eine Migrantenquote von 15 Prozent in Parteigremien versprochen. Wie sieht es denn aus? Schulz weiß es nicht. Er fragt einen Parteikollegen, der im Publikum sitzt: "Haben wir nicht", wiederholt er dessen Worte.

Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft will von Schulz nun genau wissen, welche konkreten Leitlinien sich die Politik geben müsse, um beispielsweise Flüchtlinge so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen. Schulz kommt um die Antwort herum, weil der Moderator ihm wieder eine Gefühlsfrage stellt. Wie man denn jetzt wegkomme von dieser ideologischen Unterteilung zwischen "die" und "wir" - Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund auf der einen und "Biodeutsche" auf der anderen Seite. Schulz druckst herum. "Ja, man muss es offen ansprechen." Pause, Blick zur Decke. "Also, sich immer wieder zur Gleichberechtigung bekennen." Pause, wieder Blick zur Decke. "Aufstehen für die Bereitschaft, unsere Nachbarn anzuerkennen." Schulz schwurbelt minutenlang vor sich hin, bis der Moderator ihn schließlich ausbremst, man müsse jetzt mal zum Ende der Debatte kommen. "Die Rede war ja auch recht lang." Fast eine Stunde. Schulz will noch einen letzten Stich setzen: "Der Peter Altmaier ist sicher ein bisschen kürzer".

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